Mülltrennung gestern. Und heute?
Mülltrennung gestern. Und heute?
Meine Großeltern wurden kurz vor Beginn des 20. Jahrhunderts geboren, haben wenig Schule besucht, drei Kinder zu Zeiten von Schulgeld großgezogen und zwei Weltkriege überlebt. Als Kind lernte ich bei meiner Oma, dass man Glas, Papier und Aluminium sammeln konnte – hatte man genug beisammen, ging es damit ab zur Sammelstelle und sie bekam dafür ein paar Groschen. Sie sammelte und wurde ob des wertvollen Rohstoffs belohnt. Es ist also nicht neu, Müll zu trennen.
Der Müll in unserer Welt
Warum aber sind nur die Deutschen wahre Meister der Mülltrennung? Eine schottische weibliche Führungskraft bei einem großen Automobilzulieferer war einmal Gast in einer meiner Podiumsdiskussionen und erzählte mit hoher Emotionalität, wie sehr sie zu Hause in Schottland immer mit ihrer Mutter schimpft, weil die nichts trennt – wie alle dort. Sie fand dieses Trennsystem so toll, so sinnvoll und so zukunftsweisend. Ok ok, ich habe verstanden. Wir sollen in diesem Forum nur darüber nachdenken, was jeder einzelne Mensch so in seinem kleinen Leben tun kann. Dennoch erlaube ich mir diese Frage, denn sie offenbart sofort ein großes Problem der Dauerdiskussion um nachhaltiges Leben. Denn so sehr wichtig es ist, bei sich zu beginnen, so gleichsam wichtig ist es, die Gemeinschaft zum Mitmachen zu bewegen.
Mülltrennung – eine Frage der Organisation
Die Tatsache, dass Mülltrennung bei uns funktioniert, liegt daran, dass wir sie detailliert organisiert haben. Dazu hochrentabel, denn seit die Grünen glauben, diese Mülltrennung erfunden zu haben – was ich ja bewiesen habe, dass dem so nicht ist -, ist es ja so, dass niemand von uns Sammlern auch nur einen Cent dafür bekäme. Außer für Flaschenpfand. Wenn also dieses erfolgreiche System nur in wenigen Ländern funktioniert und sich sonst niemand ein Beispiel daran nimmt, wie soll dann bei einem so wichtigen Nachhaltigkeitsthema wie die Entsorgung von Abfällen die Welt gerettet werden?
Ich meine das sehr ernst. Natürlich bin auch ich dafür, alles zu tun als Privatperson, was man einzeln tun kann. Das ist viel; da lauern noch viele Aspekte. Aber ich komme immer wieder zu dem Punkt, wo ich mich frage, was das gute Beispiel nützt, wenn 99% dem nicht folgen. Weltweit gesehen. Denn es sind lediglich fünf Länder Spitze, und ausnahmsweise ist Deutschland hier sogar Spitzenreiter mit Südkorea, Slowenien, Österreich sowie Belgien als Top 5 der guten Müllentsorgung. Diese fünf machen zusammen knapp 157 Millionen Menschen aus – und sind damit 0,00224286% der Gesamtbevölkerung von angenommenen sieben Milliarden.
Entsorgungspolitik und Mülltrennung
Vor fünfundzwanzig Jahren fragte mich ein vietnamesischer Kollege, was man für sein Land tun könne. Ich antwortete: Eine funktionierende Abfallwirtschaft herstellen. Er guckte mich an wie ein Auto und rief: ´Woher weißt du das?` Es gibt selbst in der Hauptstadt noch nicht einmal Papierkörbe auf den Straßen. Woraufhin ich ihm sagte, dass ich oft genug in wunderschönen Hotels in allerlei Ländern übernachtet hätte mit toller Fassade, dollem Ambiente – man dürfe nur nirgendwo nach hinten herausschauen. Auch Kläranlagen hätten die wenigsten Länder. Ein weites Feld, das zu beackern wäre.
Müll bleibt intransparent
Durch weiteren Austausch kamen wir auf die Idee, hier etwas gemeinsam bewegen zu wollen. Er fragte, was die Voraussetzungen seien. Ich antwortete: „a) Land, denn man braucht viel Fläche; b) Geld, denn dies zu entwickeln braucht Zeit und viel Kraft und vor allem c) den politischen Willen. Und da ihr eine Diktatur seid, braucht man also mehr Kontakte nach ganz oben.“ Er meinte, Land hätte seine Familie genug, um ein Exempel zu statuieren. Kontakte zur Parteispitze seien auch kein Problem. „Gut,“ meinte ich, „dann schauen wir mal, ob das Geld von Deutschland durch kluge Kooperationen kommen kann.“ Um eine lange Geschichte nun kurz zu machen: Wir wurden bitter enttäuscht, lernten aber viel. Die vielen Vereinbarungen bilateraler Art sahen allerlei Unterstützungen auf dem Papier vor, die Realität erwies sich aber als nicht ganz so schön wie es geschrieben stand: Kleine feine Projekte für mediale Berichterstattung schienen genug Green Washing, und unternehmerisch gab es kein wirkliches Interesse. Der Markt der Abfall- und Entsorgungswirtschaft ist extrem zersplittert, stark kommunal und damit auch nicht als Einzelunternehmen stark genug für Auslandsinvestitionen. Davon gibt es bis heute erstaunlich wenig. Denn nach meiner Einschätzung ist eine funktionierende, flächendeckende Entsorgungspolitik das A und O einer wohlhabenden, zufriedenen Gesellschaft. Und einer nachhaltigen Gesellschaft.
Jede*r kehre vor der eigenen Türe
Kommen wir mal lieber wieder zum Einzelnen und seinem Beitrag zurück. Wir trennen doch alle in Deutschland, oder? Also überwiegend. Glaube ich. Aber das mit dem Glauben ist ja so eine Sache. Denn sobald der gemeine Mensch sich außerhalb seiner eigenen vier Wände bewegt, dann schmeißt er alles von sich, was er nicht mehr braucht. Also völlig bar jeglichen Feingefühls, dass es andere gibt, dass Natur verschandelt wird, dass andere diesen Dreck entsorgen müssten etc. Ich will mich jetzt nicht über die Griller aufregen in öffentlichen Parks (hat was mit Respekt vor dem Gemeinwesen zu tun) oder darüber, dass ich noch gelernt habe, immer alles, was ich mitgebracht habe, auch wieder mitzunehmen (hat was mit Erziehung zu tun) und dass ich das Gefühl nicht loswerde, dass derartige Verhaltensweisen zu Hause nicht mehr vermittelt werden. Sondern ich möchte schließen mit dem Gedanken: Meiner Oma wäre das nicht passiert.