Umdenken in der Stadtplanung: Wie geht Klimaquartier?
Man könnte meinen Abreißen, Bauen und Begrünen seien die wichtigsten strukturellen Bau-Merkmale einer Stadt. Doch in der Klimakrise müssen wir Stadt und Quartier anders denken. Klimaquartier ist das Schlagwort, das ich hier beleuchten möchte. Es fasst mehr zusammen als das Wohnen alleine, denn ein Klimaquartier ist quasi ein Superorganismus, mit vielen hoch potenten Eigenschaften.
Doch bevor wir sinnvoll über Klimaquartiere sprechen können, müssen wir ein paar Dinge klären.
Inhaltsverzeichnis
Statusbestimmung
Was ist Bauen?
In keinem Sektor gibt es dabei wohl so viele Mythen und Mißverständnisse wir im Bausektor. Zum einen wird „bauen“ erst mal mit bezahlbarem Wohnraum konnotiert. Wohngebäude sind dabei nur ein Beitrag des Bausektors. Es gehören dazu genauso öffentliche Gebäude, Bürogebäude aber auch Straßen, Brücken und Tunnel.
Weiter wird fast ausschließlich auf den Neubau fokussiert und die Sanierung von Bestandsgebäuden hinten angestellt. Das ist sogar in Gesetzen abgebildet, denn es gibt ein Baurecht aber kein Umbaurecht. Und wenn dann über „Sanieren“ gesprochen wird, dann ist meist „Dämmen“ gemeint. Wenn klimaneutrales Wohnen angesprochen wird, meint es meist nur den Betrieb der Wohnungen, nicht deren Bau oder die Entsorgung. Und last not least ist Bauen und Wohnen ein ganz wichtiger Aspekt der Stadtentwicklung, so wichtig, als dass man Bauen und Sanieren nicht alleine privaten Investoren überlasen sollte. Es gibt viel zu tun.
Neubau als Klimakiller
Ich habe es schon anklingen lassen, meint man Energieverbrauch beim Wohnen wird meist nur auf das Heizen und die Zubereitung von Warmwasser referenziert. Aber alleine die Herstellung unserer Baumaterialien verschlingt Unmengen an Energie und setzt CO2 en masse frei. Die Herstellung einer Tonne Beton ZB knapp 600kg CO2. Dafür hat sich jetzt ein neues Wort etabliert: Graue Energie
Aber nicht alleine die Baumaterialen, der Neubau an sich ist eine enorme klimatische Belastung. Zunächst ist dort die (neu) versiegelte Fläche, weitere Straßen und zusätzlicher Verkehr durch die Bautätigkeit und danach durch den Zuzug neuer BewohnerInnen. Was die wenigsten aber auf dem Schirm haben ist, dass neue Wohnungen ja auch eingerichtet werden müssen. Ich vermute mal, dass der Anteil derjenigen, die sich die Möbel second hand besorgen verschwindend gering ist. Arne Steffen, Architekt und geschäftsführender Partner des Büros werk.um architekten in Darmstadt, erläutert in der Sendung Planet Wissen das Thema Ressourcenverbrauch beim Neubau, wie wir eine Menge versteckter Energiekosten mitgeliefert bekommen. So wundert es also auch nicht, dass die Energiebilanz so aussieht.
Bauen und Sanieren – es ist kompliziert
Dabei ist die Sanierung von Altbauten, also nicht nur die energetische Sanierung, sondern auch die Ertüchtigung des Gebäudes insgesamt, ein sinnvoller Schritt für den Klimaschutz. Dass Abriss und Neubau häufig unter dem Grund der Kostenersparnis dem Sanieren vorgezogen werden, ist staatlich geduldete Augenwischerei. Denn fürs Sanieren dafür gab es bisher meist kein Geld. Als wurstend Redaktionsteam hatten wir 2021 Kontakt mit einem Düsseldorfer Unternehmer, der sich in diesem Bereich spezialisiert hat und sagte: „Je runtergerockter so ein Gebäude ist, desto besser rechnet sich die Sanierung“. Also ab in die Ruine?
Der überraschend große Beitrag zum Müll und Energieverschwendung kommt dabei durch den Abriss von Altbauten, besonders von Betonbauten. Besser wäre es also wiederverwendbare Bauteile zu nutzen. Das sogenannte modulare System. Dabei fordert zB Imke Woelk Architektin und Künstlerin, Wohnen und Naturschutz gemeinsam zu betrachten.
Dennoch, der Neubau bleibt ein lukratives Geschäft, mit dem gerade Gemeinden versuchen, ihre Finanzen aufzubessern. Alleine deswegen sollten Kommunen dieses Feld nicht privaten Investoren überlassen. Denn diese haben häufig andere Ziele (zB Gewinnmaximierung) als die Kommunen (zB funktionierende Stadtteile). Allerdings sind viele Kommunen verwaltungstechnisch derartig schlecht aufgestellt, dass sie den Bereich Stadtentwicklung Investoren übergeben. Mit krassen Folgen für die Allgemeinheit: zu teure, dysfunktionale Gebäude, die am Ende die SteuerzahlerInnen mehr kosten als wenn die Kommune selber tätig geworden wäre. Und enorme ökologische Schäden verursachen.
Dazu kommt, dass selbst wenn die Kommunen aktiv werden wollten, bezahlbarer Baugrund selten ist. Wenn es Pläne für die Entwicklung bestimmter Freiflächen gab, dann darf man gefasst darauf sein, dass Spekulanten die Preise in die Höhe treiben. Wie in Leipzig bei der Quartiersneuentwicklung Eutritzscher Freiladebahnhof.
Diesen Mißstand betrachtet auch Christoph Trautvetter in seinem Video „Wem gehört die Stadt?“
Für Sanieren und ein Umdenken in Sachen Bauen spricht zudem die seit 2022 in Fahrt gekommene Inflation, die Bauen insgesamt teurer macht und die Gewinnerwartungen von Investoren deutlich dämpft. In Summe spricht also mehr für Sanieren und aufwerten, als für den Neubau.
Gute Beispiele gibt es bereits, wie Timm Sassen zeigt. Die Greyfield Group geht dabei mit gutem Beispiel voran und hat ihre Geschäftsräume in einen sanierten 60iger Jahre Bau untergebracht und damit 1500t CO2 nicht weiter freigesetzt. Auch gibt es Gemeinden, wie zB das kleine Wallmerod, das seit 20 Jahren keine weiteren Neubaugebiete ausweist.
Die Erkenntnis des ungeheuren CO2 Ausstoßes im Bereich Bauen hat auch die Deutsche Umwelthilfe auf den Plan gerufen , verschiedene Archtitekten-Organisatonen und Umweltorganisationen, die zudem den Aus- und Neubau von Autobahnen ablehnen.
Stadtentwicklung: Klimaquartiere – was muß rein?
Wenn wir an Bauen und Klimaschutz denken, ist die rein energetische Sanierung von Gebäuden also zu kurz gedacht. Klar, sie ist wichtig, aber nicht alles. Denn Quartiere müssen auch Klima resilient werden, dh, den Bewohnerinnen Schutz bieten vor Hitze, Starkregenfällen und Sturm. Die wenigsten Städte in Deutschland haben bisher das Konzept Schwammstadt umgesetzt. Dabei ist die Quartiersentwicklung ein essentieller Teil der Stadtplanung. Prof. Messari-Becker (Uni Siegen) sieht dabei das Quartier als einen strategischen Handlungs-und Umsetzungsraum:
Städte sind hier übrigens auch besonders gefragt, um im Bausektor ihre Beiträge zum Klimaschutz zu leisten. Die Fachleute bewerten das überwiegend positiv, denn wenn Kommunen sich daran machen, verbessert sich die Lebens- und Aufenthaltsqualität drastisch, die Wege werden optimiert und in vielen Bereichen fallen die Autos von „ganz alleine“ weg.
Europäische Beispiele dafür sind Barcelona oder Paris. Beide Städte sind keine typischen Städte der Fahrräder, die aber eine drastische Reduktion des PKW-Verkehrs umsetzen. Dafür braucht es vor allem eine Bürgermeisterin mit Visionen und Durchsetzungswillen.
- Ideen und Strategien zur kommunalen Aufrüstung gegen den Klimawandel.
- Sanieren statt Abriss
- Einsatz erneuerbarer Energien
- Ökosystemleistungen der Pflanzen mit einbeziehen
- Verkehrsberuhigung
- Quartiersentwicklung
- Einbezug der BewohnerInnen in die Planung und Umsetzung
- Gesellschaftlicher Zusammenhalt
In der Stadtplanung git es viele Überlegungen, wie ein funktionierendes Quartier aussehen kann. Einig ist man sich aber in folgenden Punkten: Eine Stadtentwicklung der vergangenen Jahrzehnte, bei der fast ausschließlich auf das Auto und die Schaffung für Raum dafür gesetzt wurde, ist vorbei. Die Verlagerung von Geschäften in die Peripherie der Kommunen führt zu verödenden Innenstädten und Angsträumen. Ein funktionierendes Quartier ist vor allem eines: Verkehrsberuhigt.
Utopien aus der Vergangenheit bis Heute
Ähnliches hatte der Brite Enebezer Howard bereits 1902 entworfen, die sogenannte Gartenstadt. Der Unterschied hierzu ist, dass verschiedene Zentren ringförmig angeordnet werden und durch verschiedene Verkehrswege miteinander verbunden werden. Zwischen den Zentren leigen Agrarflächen.
In NRW gibt es etwa einhundert sogenannte Klimaschutzsiedlungen. Diese bieten bestenfalls Einzellösungen für Neubauensembles, meist aber keine Quartierslösungen und sehen deutlich anders aus als die Utopie, die der Spiegel Jungendlichen nahe brachte (Abb.6).
Klimaquartiere sind vor allem eines: grün und (noch) utopisch. Projekte gibt es rund um die Welt oder wie von dem Architekten Vincent Callebaut, Ideen, wie Paris grüner werden kann
Neue Konzepte für Quartiere
In den allermeisten Fällen ist es nicht so, dass Quartiere komplett auf der grünen Wiese entstehen. Jedenfalls nicht, wenn das Ganze nachhaltig sein soll. Dann muß im Bestand neu geplant werden, die Planung den topografischen Gegebenheiten angepaßt werden, Flächen entsiegelt, Verkehr beruhigt und Flächen zur Gewinnung regenerativer Energien bereit gestellt werden. Ideen zum modernen Wohnen gibt es viele. Genauso wie Klima-Anpassungsmaßnahmen für Städte. Wie zB stellvertretend für viele Veröffentlichungen hier im Lancet. Genauso gibt es viele Leitfäden für das Nutzen des öffentlichen Grüns unter Ökosystemleistung oder nature based solutions.
Das Wohnen insgesamt trägt maßgeblich zu den Treibhausgas Emissionen bei. Das ist zum einen das Bewohnen der Immobilie, bei der auch geheizt werden muß und aber auch in ganz wesentlichem Maße der (Neu) Bau derselben, das Einrichten und das Errichten der dazugehörigen Verbindungswege.
Es sind aber nicht alleine die Gebäude, die nicht nachhaltig sind, sondern auch unsere Ansprüche ans Wohnen an sich. So hat sich die Wohnfläche pro Kopf von 34,9 qm in 1991 auf 47,7 qm in 2021 erhöht. Das sind fast 13qm mehr in nur 30 Jahren!
Plant man also ein neues Quartier, so wird meist wie beim Fraunhofer Institut nur nach der Energie geschaut. Dabei wird ein wesentlicher Aspekt der Stadtentwicklung vernachlässigt, nämlich dass wir auch eine Verkehrswende schaffen müssen und dafür den Bestand an Fahrzeugen drastisch reduzieren werden. Dass so etwas geht, haben die Österreicher in der Wiener Vorstadt Aspern gezeigt. Sie haben noch vor Baubeginn der Wohnungen, eine U-Bahn Linie dorthin verlegt. Und auch sondt vereint der neue Stadtteil die sonstigen Aspekte des Klimaneutralen Wohnens.
Urbane Lösungen
Klimakrise schneller und drastischer als angenommen
Die Klimakrise schreitet erschreckend schnell voran und die gesetzten Klimaziele sind bereits Makulatur. Das 1,5 Grad Ziel haben wir im Sommer 2023 gerissen. Außer einer drastischen Reduktion der Treibhausgase braucht es auch eine schnelle und umfassende Umgestaltung unserer Städte. Hier können durch Quartierslösungen die Stadt der kurzen Wege realisiert werden, Autos nahezu überflüssig und der Verkehr weitgehend Emissionsfrei gestaltet werden. Weiter braucht es Anpassungsmaßnahmen in den Städten, die über das Schwammstadt-Konzept hinausgehen.
Das Dilemma besteht darin, dass die meisten Anpassungskonzepte weder schnell noch kostengünstig umgesetzt werden können. Zudem werden die Kommunen durch den Zuzug von MigrantInnen langfristig weiter gefordert. Dieses beeinflußt auch die Integration und die bestehenden sozialen Gemeinschaften. Der bestehende Wohnraum wird also anders aufgeteilt werden müssen.
Zentralisierung von Haushaltstätigkeiten
In der Betrachtung des Wohnens schauen wir meist nicht darauf, wieviel die Haushaltstätigkeiten zum Energie-, Wasser- und Ressourcenverbrauch beitragen. Allenfalls Waschmittelhersteller werden damit und dann auch lediglich mit niedriger Waschtemperatur. Aber, muß denn jede Wohnung mit funktionierender Küche und Waschküche ausgestattet sein?
In einer Stadt der kurzen Wege, wäre es doch ein Leichtes, seine Wäsche in eine zentrale Wäscherei, die Hauptmahlzeit zusammen mit KollegInnen oder FreundInnen in einem zentralen Restaurant einzunehmen und den Snack für den Abend gleich mit einpacken zu können. Arbeiten könnte man in einem zentral gelegen Open Office. Die Wohnung wäre dann primär noch zum Übernachten da und als privater Raum. Wenn wir also weniger Fläche verwenden wollen, macht es Sinn gewisse Dinge außerhalb der Wohnung zu erledigen.
Ghitas Idee vom Klimaquartier
Mein Klimaquartier zeichnet sich aber nicht nur dadurch aus, dass Kochen und Waschen verlagert werden. Durch die Zentralisierung ist auch die Energienutzung sehr viel effizienter zu gestalten und für die „kleineren“ Arbeiten in der Wohnung reichen dann auch kleinere Energie-Anlagen. So bleibt Platz, um auch das Quartier so grün wie möglich auszubauen. Und nicht nur das. Offene Flächen werden mit Laubengängen verschattet und gekühlt, alle Straßen sind mit Bäumen gesäumt, es gibt ausreichend Wasserflächen. Die Gebäude am Außenrand des Quartieres haben zusätzlich eine Schutzfunktion vor Starkregen und Wind, so dass im Inneren ein geschützter Raum entsteht. Und dort ist dann auch Raum für experimentelle Wohnkonzepte.
Weiterhin darf das Quartier schön gestaltet sein, einen oder mehrere Community Gärten haben, Kinder- und Seniorenbetreuung, kulturelle Begegnungsstätten und einen Marktplatz. Mein Quartier ist selbstverständlich Verkehrsberuhigt, die Menschen hier gehen zu Fuß, fahren Rad oder Scooter. Außerhalb des Quartiers gibt es Mobilitätspunkte mit ÖPNV Haltestellen, Car-Sharing Angeboten und eventuell einem Parkhaus. An der Peripherie befinden sich weiter Einrichtungen die von übergeordneter Bedeutung sind: Feuerwehr, Polizei, Gesundheitsdienste, weiterführende Schulen, Sportstätten, Bäder, Hotels, Kulturstätten sowie kommunale Ver- und Entsorgungsdienstleistungen.
Fazit
Die Herausforderung der kommenden Jahre sind gigantisch. Die Kommunen stehen vor leeren Kassen und großen Herausforderungen. Krieg und Inflation verknappen die Mittel und Migration wird ein Dauerthema bleiben. Um nun Städte und Gemeinden weder zu Ghettoisieren noch „reiche“ Stadtteile zu isolieren, werden alle BürgerInnen gefordert sein. Wichtig ist dabei, frei zugängliche sichere Räume für alle Bevölkerungsschichten vorzuhalten. Deswegen müssen Kommunen bei der Stadtplanung wieder das Heft des Handelns in die Hand nehmen, für Investoren verpflichtende Auflagen durchsetzen und vor allen Dingen die BürgerInnen bei ihren Vorhaben mitnehmen. Quartiere müssen nach den Bedürfnissen der Menschen entwickelt werden, Sanieren hat Vorrang vor Abriss , Verdichtung Vorrang vor Neubau. Straßengrün ist kein hübsches Beiwerk, sondern essentieller Teil im Klimaschutz und sein Erhalt mindestens so wichtig, wie die Förderung regenerativer Energien.