Der Radschnellweg RS 1 – Plan und Wirklichkeit: Ende der Mobilitätswende?
Der Radschnellweg RS 1 verdient besonderes Augenmerk, da er permanent als Game-Changer in der Mobilitätswende gehandelt wird. Für das Land NRW, das Bauträger dieser Straße ist, trägt er das Prädikat „vorrangige Infrastruktur“. Seit 2015 ist die Strecke von Mülheim nach Essen fertig gestellt. Mit dem Versprechen, diese „Rennstrecke“ schnell nach Duisburg – einige sagten sogar bis nach Venlo – und Hamm zu verlängern. Es wurde sogar gejubelt: „Bei kompletter Fertigstellung wird der RS1 die Städte im Ruhrgebiet über 101 Kilometer von Duisburg bis Hamm verbinden. Im Einzugsbereich des RS1 leben 1,65 Millionen Menschen, befinden sich 430.000 Arbeitsplätze und vier Universitäten mit rund 150.000 Studierenden.“ Schauen wir mal gemeinsam hin, ob dieser Jubel gerechtfertigt ist.
Flanieren und Verweilen
Der Radschnellweg wird auch gerne als „Autobahn“ des Rades durch das Ruhrgebiet gepriesen. Damit aber nicht ganz so schnell gefahren werden kann, gibt es eine Spur für Fußgängerinnen direkt neben dem Schnellweg. Da sind Kollisionen natürlich vorprogrammiert, vor allem wenn die Fußgängerinnen Kinder oder Hunde dabei haben, die die Abgrenzung übersehen.
Auch ansonsten ist die Bestückung mit Sitzmöbeln eher auf den Fußverkehr und Freizeitgestaltung, denn auf schnelle RadlerInnen ausgerichtet (siehe Abb.1: oben links ist das Logo des RS1 zu sehen. Es erinnert an das der Autobahnen). Offenbar ist man sich noch nicht einig darüber, ob auf Radschnellwegen schnell gefahren werden kann und darf. Oder sollen sie lieber ein vergnügliches Freizeiterlebnis bieten inklusive schöner Aussichten auf die Stadt? Immerhin aber vermerkte der Zähler am Mülheimer Hauptbahnhof für das Jahr 2021 fast eine Million Radelnde. Das berichtete mir Andreas Preker-Frank, der im Mobilitätsausschuss der Stadt Mülheim tätig ist. Er erwartet eine signifikante Steigerung des Radverkehrs über den RS1 für die kommenden Jahre.
Rauf und runter
Aber was nützt der schnelle Weg, wenn er a) nicht ausgeschildert und b) nicht erreichbar ist? Mülheim, das immerhin an einem funktionierenden Teilstück des RS1 liegt, bekleckert sich da nicht mit Ruhm. Der RS1 wird mir zwar in Google Maps angezeigt, Schilder dazu finde ich auf der Strecke nicht. Auch die Auffahrten, ein Must-have, um die schnelle Verbindung überhaupt nutzen zu können – ist nur für Eingeweihte bekannt.
Am Hauptbahnhof befindet sich eine der Rampen, mit denen man ohne abzusteigen auf den RS1 gelangen könnte. Doch Achtung! Will ich von der Stadt aus hinauffahren, fahre ich auf der falschen Seite. Will ich vom Bahnhof kommend hinauf (siehe Abb.2), versperren mir Poller den direkten Weg und verengen zusätzlich den schmalen Bürgersteig. Gegenüber vom Bahnhof ist die Max-Kölges-Straße, in beide Richtungen zu befahren. Nehme ich den Zebrastreifen, muss ich absteigen. Fußgängerinnen, E-Scooter und Radlerinnen kommen mir auf der Rampe natürlich auch entgegen. Sehr schlau gemacht!
Der Weg vom Rathausmarkt auf den RS1 ist seit Jahren ein Aufreger-Thema in Mülheim. Wer sein Rad liebt, der trägt es über die Treppen. Denn der Fahrstuhl, der alle schwerelos nach oben befördern soll, ist im Dauer-Kaputt. Angeblich Vandalismus. Die Diskussion um die Belebung des Rathausmarktes in Mülheim hebt nun eine Rampe, die vom RS1 direkt auf den Markt führen soll, wieder auf die Tagesordnung.
Ende der Ausbaustrecke schon nach der Uni erreicht
Auf dem Radweg angekommen ist die Strecke vom Hauptbahnhof bis Speldorf ausgeschildert. Nach einer Fahrt über die erneuerte Ruhrbrücke und echt sensationellen Aussichten auf Mülheim, erreicht man auf der anderen Seite der Ruhr – das Gewerbegebiet: Harbecke, Alte Dreherei, Verkehrsbetriebe, Feuerwehr, HRW. Hier beidseitig Industriebrache und Zaun. Dann Bauzaun.
Echt, das ist jetzt nicht euer Ernst, oder? Planung seit 2010, riesiges Mobilitätsprojekt und die einzig durchgängige Strecke des RS1: Essen-Mülheim endet hier? Auf der Duisburger Straße??? Es gibt da einen Schleichweg, verriet mir Gudrun Fürtges, ADFC Mülheim, der aber nicht leicht zu finden ist.
Radschnellweg RS1 – wann geht’s weiter ?
Der ADFC hat mit Fahrradinteressierten im November 2021 in Mülheim an der Ruhr einen sogenannten Mapathon veranstaltet. Innerhalb kürzester Zeit waren sich die TeilnehmerInnen einig darüber, wo und welche Radwege ausgebaut werden sollten. Am 9.3.22 übergab der ADFC das Resultat feierlich der Stadt Mülheim und vertrat es im Mobilitätsausschuss. Ein Blick auf den Plan überrascht nicht: der RS1 ist im Rahmens des städteverbindendes Netzes – übrigens vom Land NRW als vorrangige Infrastruktur markiert – in Rot dick eingezeichnet. Nur so zur Einordnung in Nord-Süd-Richtung sollen Oberhausen und Düsseldorf verbunden werden. Der RS1 ist nicht alleine.
Es sollte also längst keine Frage sein, ob, sondern wann hier weiter gebaut wird. Straßen NRW ist verantwortliche Baulastträgerin für die Radschnellwege und somit die zentrale Stelle. Allerdings ist die Planung der einzelnen Teilstücke zerstückelt. Weiterhin dürfen Radschnellwege erst so genannt werden, wenn sie bestimmten Bedingungen entsprechen (asphaltiert, beleuchtet und mehr). Und das kostet. Dies alles sieht nach typisch deutschem Over-Engineering und Verkomplizieren aus.
Eigentlich dürfte GELD aber kein Argument sein, den Ausbau weiter zu verzögern. Denn die Klimaziele sind klar benannt und eine Mobilitätswende ist unumgänglich. Wenn da nicht die Bahn wäre, die überlegt, Strecken wieder in Betrieb zu nehmen und dafür schon mal Masten aufstellt. Auf dem geplanten Radweg….
Also ehrlich, liebe Leute. SOOO geht das nicht voran. Hier ist mal klares Gas geben angesagt und vielleicht auch mal die Idee, nicht alles over-engineeren zu wollen. Weniger Perfektionismus, mehr Pragmatismus! Denn eines ist klar: der Klimawandel wartet nicht !
Bildnachweise
Abbildungen eigene Werke. Für das Titelbild von Gudrun Fürtges, die es uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Noch mal ganz viel Dank!