Die hässliche Seite der Mode
Ein Beitrag von:
Anke Fabian | Co-Autorin: Ulrike Brinkmann
Von langlebiger Kleidung zu Fast Fashion
„Ich bin zu arm, um mir Billiges leisten zu können,“ meinte meine Oma, Jahrgang 1896. Der Satz war prägend. Noch als Kind und Jugendliche in den 1960iger Jahren gab es bei uns neue Kleidungsstücke lediglich zu Weihnachten, zu Ostern und – wenn man Glück hatte – zum Geburtstag. Sie waren aus wertigen Materialien, entsprechend teuer, man musste auf Neues sparen vom kargen Lohn der harten und langen Arbeit. Also war die selbstverständliche Folge, diese Kleidung gut zu pflegen.
Inhaltsverzeichnis
Von Kleidern zu Klamotten
Heute gibt es nur noch „Klamotten“ aller Art für wenige Euros. Wertig daran ist nichts. Genau das drückt der Begriff aus: „Klamotten“ bedeutete einst zerbrochene oder wertlose Gegenstände. Das galt besonders für ärmliche Möbel oder alte Kleidungsstücke. Der zunächst saloppe Begriff hat mittlerweile eine erstaunliche Entwicklung genommen. Da sich die Aussage „ich brauche neue Kleidung“ ziemlich old fashioned anhört, sagt man selbst bei Luxusmarken lieber: „Ich brauch` mal wieder ein paar neue Klamotten.“ Aber Sprache entlarvt. Immer. Und jede/n.
Schon Kleiderschränke von Teenagern bersten heutzutage. Der „Markt“ hat es geschafft, den Wert eines Menschen an der Anzahl seiner täglich wechselnden und damit immer ´hippen` Bekleidung festzumachen. Viele dieser Textilien sind nicht mehr waschbar oder werden – mangels Wissen wie auch Interesse – falsch gewaschen und nicht gebügelt. Das Vorbild ist hier wohl die Queen, der nachgesagt wird, sie trüge nichts zweimal. Die Welt platzt aus allen Nähten vor lauter Kings und Queens. Die Gier nach dem Haben-Wollen ist dabei größer als der Verstand. Das ist gewollt und wird professionell gesteuert.
Fakten der Textilindustrie
Lamenti hin, Zahlen her:
56 Millionen Tonnen Kleidung werden pro Jahr weltweit produziert.
Der Umsatz hat sich seit 2000 mehr als verdoppelt und liegt derzeit bei nahezu 3 Billionen, Tendenz bis 2025 weiter steigend. Siehe Greenpeace Report
Der sechstreichste Mann der Welt ist Amantio Orteg. Er arbeitet am liebsten im Verborgenen ohne große Presseberichterstattung und ist der Vater einer der erfolgreichsten Textilmarken: Zara. Er treibt den Markt und lässt PRO JAHR 65.000 Modelle fertigen. Also 200 pro Tag. Dabei stehen die Designer unter dem Druck, stets neue Inspirationen umzusetzen, was das Zeug hält.
Allein in Europa hat sich die Produktionsmenge von Textilien in nur 20 Jahren verdoppelt. Und es geht weiter und wird immer mehr.
Textilproduktion hoch toxisch
Der Sitz der größten Produzenten von Fast Fashion in Europa ist Leicester, England. Hier herrschen Arbeitsbedingungen, die an den Beginn der Industrialisierung erinnern, denn sie sind katastrophal, skandalös und ausbeuterisch. Von Arbeitsschutz zu schweigen. 12 bis 14 Stunden im Akkord bei einem Lohn von circa drei Pfund die Stunde – nach vierzehn lohnfreien „Probetagen“ in der Einarbeitungsphase. Hier gilt in erster Linie das Gesetz des Schweigens. Deshalb erlaube ich mir zu sagen, dass diese Produktionsbedingungen über die gesamte Kette vom Rohstoff bis zur Verwertung mafiöse Strukturen aufweist.
Zur Produktion gehört eine Unmenge an Chemikalien, welche die Umwelt wie am Ende auch unsere Körper angreifen. Das Grundwasser im Umfeld der meisten produzierenden Textilunternehmen der Erde sind toxisch. Welche gesundheitlichen Folgen allein der Einsatz von Weichmachern hat, ist noch nicht ausreichend untersucht. Es würde mich nicht wundern, wenn der „hohe Tragekomfort“ dauerhafte Spuren in unserem Inneren hinterlässt.
Ob diese Fakten genügen können, den nötigen Wandel in Bewusstsein und Kaufverhalten zu ändern? Vermutlich nicht. Es geht nicht um meine Zeilen, denn es gibt ausreichend viele aufklärende Dokumentationen in Wort, Schrift und Bild. Aber all diese Aufklärung hat nicht die nötige Durchschlagkraft, das Bewusstsein der Masse zu verändern. Es ist keine Frage der Intelligenz oder Bildung, sondern auf etwas, auf das die Branche bewusst abzielt: ein Belohnungssystem im Gehirn. Dort wird mit allen neuropsychologischen Triggern und Tricks gearbeitet, um die Lust des “Haben-Wollens” zu entfachen. Auch die Influencer*innen üben aus ihren schönen Glamour-Welten einen enormen Einfluss auf die Käufer*innen aus. Dem allen kann der einzelne Mensch sich kaum entziehen. Wir wollen dazugehören, wollen uns einordnen, gemocht, begehrt und geliebt werden. Natürlich wollen “in” statt “out” sein. Also müssen wir mitmachen. Denn die Angst, verschmäht zu werden, weil man nicht dem neuesten Trend hinterherrennt führt zu FOMO – Fear Of Missing Out – der Furcht, etwas zu verpassen. Wir kleiden uns nicht mehr, um im Trend zu sein, sondern um Anerkennung zu bekommen.
Die Qualitätsmär
Vor knapp anderthalb Jahren wählte ich für meine alte Mutter eine Hemdbluse: schön, weit, warm. Der Griff ging zu einer Marke die bis dato mit dem Ruf „Qualität“ verbunden war. Nach nur wenigen Malen Waschen lösten sich die Ärmelbündchen bereits auf. Das ist ein weiteres Beispiel von vielen: seien es Glühbirnen, Strumpfhosen oder Reinigungspads. Vieles wird auf schnellen Verschleiss hin produziert. Die Stoffe werden dünner, schlechter verarbeitet, weniger haltbar, kleiner und vieles andere mehr. Selbst Seide von damals und Seide von heute haben nichts mehr gemein. Da ich noch immer Seidenblusen von vor dreißig Jahren trage, denen man es nicht ansieht (!) – kann ich das sogar im eigenen Kleiderschrank nachweisen. Wir zahlen heute nicht mehr für Qualität, sondern für das Label, die Marke und ihr Image. Auf dass sie auf uns positiv abstrahlen möge!
Es geht um Fast Consuming, um die Wegwerfgesellschaft. Schnelles Neukaufen, das zu einem angeblichen Ankurbeln der Wirtschaft führen soll, füllt letztendlich die Taschen einiger weniger. Das ist so absurd wie unethisch. Die Menschheit wächst weiter exponentiell. Also vermehren sich die Verbraucher. Es wäre damit rein logisch genug Arbeit und Einkommen für alle da. Wegen dieser Denkweise werde ich mitunter bezichtigt, sozialromantisch zu sein – „in deinem Alter noch so träumerisch“. Damit kann ich leben, denn ich bleibe dabei, dass jede/r Einzelne genau zu dieser Wunschentwicklung seinen verdammten eigenen Beitrag leisten kann. Durch Verzicht auf diesen Mist. Alle, die lauthals eine bessere Welt fordern, sollten ihren Kleiderschrank öffnen und sich daran messen lassen. Das wäre ein Entlarvungs-Gaudi!
Die Tricks der Textilbranche
Nachhaltigkeit ist natürlich auch in der Textilbranche ein häufig genutztes Wort: zum drüber schwätzen schön, zum konkreten Handeln zu lästig, zu uncool. Denn letzteres stört den Absatz, Umsatz und den Gewinn. Solch edel klingende Begriffe sind pure Augenwischerei. Einfach Geschwätz! Gerne Neudeutsch auch „Green-Washing“ genannt. Die Mühe, die sich die Textilfirmen zur Verbreitung und Aufrechterhaltung des eigenen guten Images geben – im Marketingsinne eines „Must-have“ – steht dabei in keinem ausgewogenen Verhältnis zur Qualität der Kleidung.
Gegenwind für Fast Fashion
Zugegeben: Nähen und Ausbessern gehört nicht zu meinen Lieblingstätigkeiten, obwohl ich das alles noch in der Schule gelernt habe. Die Änderungsschneiderin ist also ein Segen. Gutes zu bewahren, strikt auszumisten, das eigenen Kaufverhalten zu prüfen, dafür setzen sich auch immer mehr kritische Vertreter der Textilbranche ein. Die bekannte spanische Filmschauspielerin, ethische Modedesignerin und Meinungsführerin für nachhaltige Mode, Orsola de Castro fordert sogar ein „radikales Behalten“, weil sie es nicht erträgt, dass 75 Prozent aller weltweit produzierten Kleidungsstücke im Müll landen. De Castro ist zusammen mit der britischen Modedesignerin und Sozial Unternehmerin Carry Somers Mitbegründerin von Fashion Revolution und gehört zu den Kritiker*innen der ausbeuterischen und menschenverachtenden Praktiken der Fast Fashion Industrie. Im Februar 2021 erschien ihr Buch bei Pinguin auf Englisch: „Loved Clothes Last“. ( Interview zum Buch)
Nun wird es einige geben, die sagen: „Wir tun doch Gutes, wenn wir viel kaufen. Dann bekommt doch durch die Kleiderentsorgung jede/r auf der Welt was ab. Darüber hinaus sorgen wir für Beschäftigung in den Ländern, wo die großen Labels produzieren lassen.“ Das impliziert, dass ich mich schlecht fühlen muss, wenn ich nicht viel kaufe, damit vermeintlich zu Arbeitslosigkeit und damit zu noch größeren Elend in den ärmeren Ländern beitrage. Bin ich eher Sozialarbeiter, wenn ich konsumiere? Oder bin ich mehr Egoshooter und Ignorant, wenn mich Arbeits- und Lebensbedingungen anderer nicht interessieren?
Wo ist die echte Freude über etwas Neues geblieben? Die Marktforschung hat schon längst herausgefunden, dass die Zufriedenheit eines Kaufes, das kleine Glück, den Wert weniger Tage, manchmal nur Stunden, selten überschreitet. Dave Ramsey, ein US-amerikanischer Geschäftsmann und Radiomoderator mit seiner täglichen Show zu Finanzfragen bringt es auf den Punkt:
„Wir kaufen Dinge, die wir nicht brauchen mit Geld, das wir nicht haben, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht kennen.”
Dave Ramsey
Wenn man laufend Nachschub für sein vermeintliches Wohlbefinden braucht, nennt man es gemeinhin Sucht. Eigentlich ist es eine Binsenweisheit, dass Glück nicht käuflich ist. Nun mag jeder selbst nachdenken, wem der hohe Umschlag und die nicht vorhandene Kreislaufwirtschaft bei Textilien wohl wirklich nützt. Ob in Zeiten von Corona die Erkenntnis wächst, dass man gar nicht so viel braucht und es auf anderes ankommt, um sich gut zu fühlen, bleibt abzuwarten. Denn ein prägendes Verhalten ist eher schwer zu ändern. Wir lernen an Vorbildern. Die ersten sind die Eltern und Großeltern. So bleibe ich bei Naturfasern und nehme mir weiterhin den klugen Hinweis meiner Oma vom Anfang zu Herzen, denn sie wusste: Was nix kostet, ist nix. Und sie hat immer noch recht.
„Qualität statt Quantität: Kaufe weniger, wähle dafür gut aus und trage es dann auch möglichst lange.“
Vivienne Westwood, Modeschöpferin
Weiterführende Links
https://www.vogue.de/mode/artikel/who-made-my-clothes-orsola-de-castro
Die Doku zur Fast Fashion in der ARTE Mediathek bis 06.06.2021: https://www.arte.tv/de/videos/089135-000-A/fast-fashion-die-dunkle-welt-der-billigmode/
oder dauerhaft auf youtube: https://www.youtube.com/watch?v=oEdQBLHf3Ac
Buchtipp
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Anke Fabian | Co-Autorin: Ulrike Brinkmann