Umwelt im Eimer und die Taschen sind leer
Wie uns billige Lebensmittel teuer zu stehen kommen
Ein Beitrag von Bernward Geier (Journalist und 18 Jahre Direktor von IFOAM)
Seit Jahren mahnen Bürger und Verbände eine ökologische Wende in der Agrarpolitik. Im Januar 2019 demonstrieren zehntausende Bauern in Berlin und fordern das Ende der unfairen Subventionen. Dahinter steckt das Massensterben der kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe – Ein Modell das – so will die Schokoladenseite der Agrarpolitik eigentlich vermitteln – doch gerade geschützt werden soll. Das Gegenteil ist leider der Fall, denn seit 2003 haben mehr als ein Drittel aller Bauernhöfe aufgegeben und die Hälfte des Agralandes wird von 3,1 % der verbleibenen Betriebe bewirtschaftet. (vgl. Agraratlas 2019) Das traurige Resultat sind Megabetriebe, Massentierhaltung, Agrarchemie und steigende Grundwasserbelastung.
Aus dem 2020 Interview in Verbraucher konkret, das Mitgliedermagazin der Verbraucher Initiative e.V., geben wir hier einen Auszug wieder.
Sind niedrige Lebensmittelpreise nicht verbraucherfreundlich?
Nein, das ist Verbrauchertäuschung, denn die nur scheinbar billigen Preise beinhalten nicht umfassend die wirklichen Kosten, die vom Verbraucher etwa über Steuern und Wasserrechnung zusätzlich bezahlt werden.
Ihr Buch kritisiert, dass „externe Kosten” in der Bepreisung von Lebensmitteln fehlen. Welche sind das?
Das sind in erster Linie Kosten der Umweltzerstörung sowie Krankheits- und soziale Kosten. Dabei lässt sich letztendlich nicht alles in Geld kalkulieren. Wieviel Euro soll man etwa für den Verlust einer Vogelart ansetzen?
Wie ist die Erkenntnis aus Ihrem Buch zu verstehen, dass letztlich die Gesellschaft drauf zahlt?
Wie schon geschildert werden die meisten Kosten von der Gesellschaft, namentlich den Steuerzahlern, indirekt bezahlt. Die Tatsache, dass viele Kosten derzeit nicht einkalkuliert werden, bedeutet letztendlich auch Raubbau an der Zukunft unserer Kinder.
Wieviel höher wären Lebensmittelpreise, wenn Schadkosten berücksichtigt würden?
Letztendlich würden aus Einkommenssicht keine höheren Kosten entstehen, denn die externen Kosten werden ja anderweitig bezahlt. Wenn endlich Preise ökonomisch korrekt und fair kalkuliert würden, wären z. B. heute schon Bioprodukte die billigsten bzw. besser gesagt die preiswertesten.
Können Verbraucher überhaupt faire Kaufentscheidungen treffen, wenn diese Infos fehlen?
Der Verbraucher kann bei diesem komplexen Thema nicht „fair“ entscheiden. Er soll auch gar nichts entscheiden müssen, sondern es muss einfach regulatorisch gelöst werden, dass Preise uns nicht belügen, sondern die Wahrheit sagen.
Wie könnte eine faire und klimagerechte Preisgestaltung für finanziell schwächere Haushalte aussehen?
Schon heute zahlen ja auch die finanziell schwächeren Haushalte die versteckten Kosten mit. Wenn wirklich alle Konsumgüter korrekte Preise hätten, würde in der Tat das gerade auch schwächere Haushalte belasten. Hier muss gegebenenfalls vom Staat Entlastung kommen.
Ihr Rat an die Verbraucher?
Schon jetzt kann der Verbraucher, der sein Konsumverhalten an Nachhaltigkeit orientiert, dem ökonomischen Schwachsinn teilweise entgegensteuern. So sind bei den Preisen der Bioprodukte schon etliche der ansonsten externalisierten Kosten eingepreist. Vor allem aber entstehen ganz viele Kosten in einer ökologisch nachhaltigen Produktion überhaupt nicht.
Was muss sich ändern und was wären die ersten Schritte?
Die ersten Schritte wären für Verbraucher, ihren Konsum (noch mehr) auf nachhaltige Produkte auszurichten. Unternehmen müssten sukzessiv und mit einem strategischen Plan beginnen, Kosten zu internalisieren, und schließlich muss die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Wir können noch nicht alle externen Kosten kalkulieren und einpreisen, aber es gibt inzwischen schon so viel Wissen und Berechnungen, dass wir einen ersten und großen Schritt machen können.
Die Preise lügen
Warum uns billige Lebensmittel teuer zu stehen kommen
Wie teuer uns billige Lebensmittel zu stehen kommen beleuchtet Bernward Geier, 18 Jahre Geschäftsführer von IFOAM (Internationale Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen),jetzt Journalist und Buchautorin seinem Buch „Die Preise lügen“, in dem er die versteckten Folgekosten zeigt und aufdeckt, welchen finanziellen und gesundheitlichen Preis wir dafür zahlen.
Volkert Engelsman, Bernward Geier (Hrsg.)
OEKOM Verlag, München 2018
ISBN 978-3-96238-006-9
Bernward Geier
war 18 Jahre lang Direktor des Welt-Bio-Verbands IFOAM – Organics International. Er ist seit 35 Jahren aktiv im Bereich Landwirtschafts- und Umweltpolitik unterwegs, Mitglied bei Bündnis 90 / Die Grünen und ein hervorragender Netzwerker.
Auf internationaler Bühne hat er mit UNO, FAO, UNEP, WTO und OECD zusammengearbeitet. In der Mediathek der Deutschen Welle ist die Dokumentation „Sikkim – Die Öko-Rebellen vom Himalaya“ weiterhin verfügbar: (https://www.dw.com/de/die-%C3%B6ko-rebellen-vom-himalaya/av-49661118) hat Bernward Geier Vor und Hinter der Kamera mitgewirkt. Gezeigt wird der erste 100% Bio Staat der Welt, der die Transformation zu Organic Farming geschafft hat, die Erträge gesteigert und zum erfolgreichen Modell für den Planeten geworden ist.
Ergänzung der Redaktion:
Der Ruf nach bezahlbaren Lebensmitteln wird seitens der Agrar-Industrieverbände immer mit dem Fingerzeig auf einkommenschwache Haushalte begründet. Vor dem Hintergrund der Lebensmittelverschwendung in Europa, die laut einer Schätzung der EU aus dem Jahr 2012 allein 173 kg pro Bürger und Jahr beträgt, ist das schon eine sehr infame Manipulation. Und bevor der geneigte Leser und Verbraucher jetzt einwendet, die Verschwendung finde zum großen Teil bereits in Produktion, Lagerung oder Gastronomie statt, möchten wir diese Zahl nachreichen: An der gesamten Lebensmittelverschwendung tragen die privaten Haushalte einen Anteil von 53% – Also 92 Kilogram Lebensmittel wirft ein Bürger pro Jahr weg. Angesichts des immer noch existenten Hungers in Teilen der Welt ist das ein Skandal !
Aber auch in gesundheitlicher Hinsicht ist der Ruf nach vermeintlich bezahlbaren Lebensmitteln eine Sackgasse, wenn Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes zu der häufigsten Volkskrankheit in Europa gehören. Bevor der deutschsprachige Leser jetzt mit gesenktem Kopf diesen Artikel beendet und die Autoren verflucht, sei zumindest angemerkt, dass Deutschalnd auf der Skala der Verschwendung sich im Mittelfeld bewegt, wir sind also gar nicht die größten Umwelt-Looser, aber da ist noch Luft nach Oben (will meinen nach Unten).