Toxisch: Glyphosat vergiftet das Klima
Die Substanz mit dem Molekulargewicht 169,07 g/mol ist schlecht wasserlöslich. Dafür ätzend und Umwelt gefährdend. Und sie ist relativ billig. 473 ml Konzentrat bekommt man bei walmart (USA) für USD 16,20. (webseite besucht 24.5.21). Monsanto hat damit über viele Jahrzehnte ordentlich Gewinn gemacht. Die Firma Bayer wird an ihr möglicherweise Bankrott gehen. Glyphosat, ein Herbizid, das derzeit nicht nur Pflanzen killt, sondern auch das Klima vergiftet. Das Klima der KontrahentInnen untereinander.
Inhaltsverzeichnis
Was erwartet die LeserInnen
In der wurstend Redaktion waren wir uns einig, dass ich als Chemikerin hier den Beitrag verfassen sollte. Allerdings war mir dabei schon klar, dass es hier um mehr geht als eine chemische Betrachtung des Wirkstoffes (die gehört der Vollständigkeit halber aus meiner Sicht dazu, die geneigten LeserInnen können sie aber gerne überspringen). Was ich aber komplett unterschätzt habe, ist der Rechercheaufwand, um wirklich aussagekräftige Veröffentlichungen zu finden.
Dis Diskussion über Glyphosat ist vergiftet. Während die einen darin immer noch den Stoff sehen, der die Ernährung der Welt sicher stellen kann und unverzichtbar in einer „schonenden“ Landwirtschaft ist, ist er für die anderen das Synonym einer verfehlten Ausrichtung der Landwirtschaft mit genetisch verändertem Saatgut und einer exponentiellen Verwendung eben jenes Herbizids. Mit all seinen Umwelt- und Gesundheitsschäden.
Dazu kommt ein intransparenter Umgang mit den toxikologischen Studien, bei dem sich die unterschiedlichen staatlichen Behörden gegenseitig in den Lauf grätschen, die Politik, in der Absprachen mit fadenscheinigen Begründungen aufgekündigt werden und weiterhin Lobbyinteressen, die mal offensichtlich und mal sehr versteckt gespielt werden. Dann eine inflationär anwachsende Anzahl von neuen Webseiten, die „aufklären“ und im Gegenzug die NaturschützerInnen, die dagegen halten. Daneben spielen die wirtschaftlichen Interessen – und die Dokumentation der Einsatzmengen – fast nur noch eine Nebenrolle. Dabei haben die Summen, die Bayer für zukünftige Klagen bereit stellen will (11,6 Milliarden USD (1)) astronomische Höhen erreicht und der Aktienkurs seinen Tiefststand. Glyphosat entwickelt in allen Bereichen sein toxisches Potential. Dabei fing es sooo gut an.
Glyphosat wir müssen mal genau hinschauen
Das erste was ich üblicherweise am Beginn einer Recherche mache, ich schau, was dazu in Wikipedia steht. Und je nach Thema schlage ich mal auf der Englischen (2) oder Deutschen (3) Seite nach. Hier war der Unterschied vor dem 27. Mai 2021 augenfällig. Jetzt sehen sie wieder ziemlich gleich aus, heißt sehr umfangreich. Gerade bei sehr kontroversen Themen lohnt sich dann auch noch ein Blick in die Versionsgeschichte. Und da ist ordentlich gearbeitet worden. Sollte ich also bei so umfangreichen, leicht zugänglichen Informationen, noch einen weiteren Text zu dem Unkrautvernichter schreiben? Ja, gerade deswegen.
Als Chemikerin kann ich mich für die Schönheit des Molekül und die Simplizität der Synthese begeistern: Aus wenigen Rohstoffen läßt es sich einfach synthetisieren (3).
Im weitesten Sinne gehört Glyphosat also zu den Phosphonaten, die als Komplexbildner in Waschmitteln eingesetzt werden. Das dient der Wasserenthärtung. Die Suche nach neuen Komplexbildnern war auch der Ausgangspunkt der Glyphosat Synthese.
Hier machen wir jetzt Schluß mit Chemie und wenden uns den anderen Themen zu.
Herbizide und biologische Vielfalt
Es geht um Konkurrenz: Licht, Nähstoffe, Wasser. Wer schneller wächst, bekommt mehr. Deswegen erklärt Hortipendium den Einsatz von Herbiziden so: „Dichter Unkrautbewuchs kann die Ernte sehr erschweren und deutlich vermindern“ (4). Das Bayerische Landesamt für Landwirtschaft verdeutlicht: „Der erfolgreiche Rübenanbau ist ohne eine ausreichende Unkrautkontrolle nicht möglich“(5).
Liebe LeserInnen denkt jetzt bei Rübe bitte nicht an Karotten. Die ist nicht gemeint. Es geht um die Zuckerrübe! Und damit um einen industriell wichtigen Rohstoff. Die Zuckerrübe ist dabei ein ziemlich empfindliches Gewächs, das mit etlichen Mitteln gepampert werden muss (6), bevor man es nutzen kann.
Herbizide töten die sogenannten Unkräuter ab. In der konventionellen Landwirtschaft bedeutet das ein möglichst sortenreines Feld mit wenig oder keinem „Beiwuchs“. Also keine Kornblumen, Mohn oder so was. So kann die Landwirtin den Ertrag/Hektar maximieren. BefürworterInnen des Herbizideinsatzes behaupten sogar, das wäre ein Gewinn an Biodiversität. Auf den Feldern würden verdichtet Ackerfrüchte angebaut und so weniger Fläche für den Ertrag gebraucht. Das BfN reagiert: so: „Der Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln hat, das belegen die von uns ausgewerteten wissenschaftlichen Studien, erhebliche negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt.“(7).
Ganz grundsätzlich gibt es verschiedene Wirkweisen von Herbiziden, je nachdem wo sie in den Stoffwechsel der Pflanzen eingreifen. Ich habe Euch in den weiterführenden Links dazu einige verlinkt.
Glyphosat ist aber im Vergleich zu den anderen Herbiziden einzigartig, denn es blockiert gezielt ein Enzym, das Pflanzen zur Synthese von essentiellen aromatischen Aminosäuren brauchen.
Nur, falls noch unklar sein sollte, was ein Herbizid macht, möchte ich hier auf das wohl berüchtigtste Herbizid hinweisen, das als Entlaubungsmittel im Vietnamkrieg von den Amerikanern eingesetzt wurde – Agent Orange.
Warum setzen wir eigentlich so viel Glyphosat ein?
Die Frage sollte weniger „warum“ heißen, sondern „wieviel“. Also, wieviel Glyphosat setzten wir eigentlich ein? Schätzungen kommen auf 10,2 Millionen Tonnen weltweit. Ihr seht schon Schätzungen! Denn eine ordentliche Dokumentation, wie sie von jedem Bauern gefordert wird, wird hier offenbar nicht gemacht. Clementine Antier et al. (8) bemängeln in ihrer Veröffentlichung von 2020 diesen Zustand in der EU.
Auch weltweit sieht das Problem genauso aus. Wir versprühen das Gift nahezu ohne jegliche Kontrolle geschweige denn Überblick. Ich als Chemikerin, die ja auch den Umgang mit giftigen Substanzen gelernt hat, stelle mir hier gerade gaaaanz viele Fragen. Kopfschüttelemoji
Für die zeitliche Entwicklung der Verwendung findet man in den meisten Statistiken nur ansatzweise Daten. Denn meist beginnen sie bei 1990, was eigentlich schon zu spät ist, denn Glyphosat kam ja schon 1974 als Roundup auf den Markt.
Dabei sind zeitlich zwei Ereignisse zu vermerken, die jeweils zu einem exponentiellen Anstieg der Verwendung von Glyphosat führten. 1990 die Einführung von einfach genetisch verändertem und dann um 1997 die Einführung mehrfach genetisch verändertem Saatgut. Auch hier haben die Forscher etliche Quellen zu Rate gezogen, um diese Daten zu ermitteln (11).
Zwischenfazit
- Glyphosat wird seit 1974 als Herbizid eingesetzt, Weltweit sind seitdem 10,2 Millionen Tonnen versprüht worden (15)
- Die Verwendung steigt seit 1990 exponentiell
- Der Einsatz von genetisch veränderten Saaten hat die Verwendung von Glyphosat verstärkt
- In den USA werden hauptsächlich Soja, Mais und Baumwolle mit Glyphosat behandelt
- Soja wird weit, weit überwiegend in Süd- und Nordamerika angebaut
- In der EU wurden 2017 knapp 50.000 Tonnen Glyphosat in der Landwirtschaft eingesetzt (8)
- Der Gewinn von Monsanto / Bayer kann nur abgeschätzt werden, 2015 gingen Marktprognosen davon aus, dass 2024 die Marktgröße 6,5 Milliarden USD betragen wird (16)
Insgesamt zeige ich hier in den Kapitel aber eine Seite der Chemie, die so nicht vorkommen sollte. Nämlich, dass überhaupt nicht bekannt ist, wieviel Glyphosat verwendet wird. Das ist weit weg von ISO und GMP Standards! Leider nicht nur in der Dokumentation.
Risikobewertung von Glyphosat – ein Krimi in vielen Daten
Wenn man eine Substanz nun in derartig großen Mengen versprüht, erwarte ich eine umfassende Dokumentation der toxikologischen Eigenschaften. Doch auch hier tun sich große Lücken auf und es werden sehr unterschiedliche Einschätzungen verbreitet (17).
Während für jeden kosmetischen Inhaltsstoff ein Dossier über seine Toxizität aufgemacht werden muss, finde ich hier kaum was. Gleichzeitig gibt es Aussagen, die sich widersprechen. So sagte die WHO schon 2015 : Glyphosat ist wahrscheinlich krebserregend (18) und sortiert es damit in die Gruppe von rotem Fleisch (19). Die EFSA hingegen kommt zu dem Urteil nicht krebserregend. Und hier fängt es an, sich anzufühlen wie in einem schlechten Film. Wir lassen ein Gift tonnenweise auf der Welt versprühen und kennen sein toxikologisches Profil nicht?
Doch kommen wir noch mal zurück zu wikipedia. Geht man auf die Seite, ist am rechten Rand ein Infokasten, in dem die wichtigsten Daten zu dem Stoff stehen. Inklusive der Sicherheitshinweise mit Gefahrensymbolen, darunter dann die Daten zur akuten Toxizität. Wie LD50 Werte an verschiedenen Tieren.
Für eine umfassende Bewertung ist das natürlich nicht ausreichend. Denn wie gesagt, es steht hier ein ganz anderer Vorwurf im Raum: Krebserregend. Canzerogen.
Krebserregend oder nicht?
Doch dann bin ich endlich fündig geworden: „Toxicological Profile of Glyphosate“ von der Agency for Toxic Substances and Disease Registry, eine US Behörde (20).
Diese Oevre ist über 300 Seiten dick und betrachtet alle bisherigen Untersuchungen(ja, es sind überwiegend Tierversuche) zu Glyphosat. Fast 50 Seiten widmet die Acency der Betrachtung des Krebsrisikos, sortiert nach Krebsarten und Untersuchungen. Dabei spielt die EPA (US environmental protection agency) offenbar eine Rolle im Vertuschen. Sie hat Fütterungsstudien an Ratten unternommen, deren Ergebnisse nicht veröffentlicht wurden. What? Transparenz? Natürlich las ich diesen Abschnitt in der Beurteilung um so aufmerksamer. Mal finden sie Zusammenhänge, mal nicht. Was mir aber auffiel ist, dass die Tiere, die vor Ende der Studie starben, überhaupt nicht weiter betrachtet wurden, ähem….
Fußnote: 2019 nimmt die EPA den Warnhinweis „Krebserregend“ von Glyphosat Packungen (21).
Doch werfen wir einen Blick nach Europa, zur EFSA. Die EFSA ist eine EU Behörde, die extra gegründet wurde, um die Verbrauchersicherheit zu gewährleisten (22). Die EFSA hält ihre Informationen zu Glyphosat wie die Erklärungen ca 2015 (23) und die neueren Veröffentlichungen (24) sehr allgemein. Mehr Infos soll es auf der Seite der Glyphosate Renewal Group geben, die sich gleich im header der Transparenz verpflichtet fühlen. Sie ist in dem EU-Transparenzregister geführt. Das finde ich jetzt nicht besonders bemerkenswert, denn die Arbeiten der Euopean Commission sind überwiegend frei einsehbar.
Natürlich sagt der Hersteller Bayer auch was dazu? Nicht krebserregend
Aber bitte, das kann doch nun niemand mehr ernst nehmen! Es gibt keine konsolidierten Daten zur Verwendung, Untersuchungsergebnisse werden nicht offen gelegt und wir sind noch lange nicht am Ende. Denn es geht ja nicht nur um die Toxizität beim Menschen. Sondern auch um die Umwelt. Ich kriege also schon Würgereiz, wenn ich Meldungen wie „nicht Bienen gefährdend“ lese (25). Es ist bei der Ökotoxiziät genauso wie bei allen anderen Untersuchungen. Es gibt sie allenfalls punktuell.
Umweltschäden durch Glyphosat – alles nicht so schlimm?
Mit der Ökotoxizität ist es schwer. Diese Disziplin ist deutlich jünger als die generelle Toxikologie. Das liegt daran, dass wir uns Menschen gerne als Krone der Schöpfung und nicht als Bestandteil des Ökosystems sehen.
Ein erster Review zur „Bioabbaubarkeit“ von Glyphosat findet sich 1988 bei Springer, einer wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft (26). Man muß sich das mal vor Augen führen: Da wird seit 14 Jahren ein Herbizid eingesetzt, in verschiedensten Bereichen der Landwirtschaft und DANN kommt man erst auf den Gedanken, die Untersuchungen zusammen zufassen. Ok, wir hatten damals noch nicht die Möglichkeit der einfachen Internetrecherche, alles musste über Uni-Bibliotheken und spezielle Rechercheprogramme abgewickelt werden. Nicht jede Uni konnte diesen Service anbieten, das war sehr aufwendig und kostete Zeit. Alleine die Recherche. Und trotzdem enttäuscht das Paper, denn es wird schwerpunktmäßig nur auf den Abbau von Glyphosat in Pflanzen und einigen ausgewählten Mikroorganismen eingegangen. Dennoch tauchten schon unterschiedliche Ergebnisse auf, aber die Autoren bewerten diese nicht.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass man es nicht sehen wollte….. Denn die 1970-80iger Jahre waren auch die Hoch-Zeit der Friedens- und Umweltbewegung. Umweltschutz wurde zum Teil mit sehr drastischen Maßnahmen eingefordert. 1983 zogen die Grünen in den Bundestag ein. Sie haben jetzt eine aktuelle Studie zu Gift auf dem Acker herausgegeben (27).
Weiterhin gibt es einige Veröffentlichungen, die meist nicht alleine die Ökotoxikologie betrachten, ihr aber einen großen Raum einräumen. Allen ist gemeinsam, dass sie betonen, keine umfassende Bewertung vornehmen zu können, sondern nur bestehende Erkenntnisse zusammen zu fassen. Erwähnen möchte ich hier das Statement von Myers et.al. (28), eines der wichtigsten Ergebnisse ist, dass die Umwelt (i.e. Wasserorganismen) schädigenden Grenzwerte von Glyphosat um mehrere Potenzen zu hoch angesetzt worden sind. Kurz, es ist viel toxischer, als wir dachten…..
Ein weiterer bisher vernachlässigter Beitrag von Glyphosat ist die Überdüngung durch den enthaltenen Phosphor, der durch Hérbert et. al. 2019 als “übersehen” beschrieben wird (29).
Glyphosat nicht Bienen gefährdend?
Natürlich ist Glyphosat kein Insektizid, sondern wirkt auf Pflanzen. Aber eben auf alle Pflanzen, also auch die, die prinzipiell als Nektar- und Pollenpflanzen von Bienen angeflogen werden. Wenn die weg sind, haben die Bienen nichts zu futtern. Im Prinzip ist das auch die Argumentationslinie, die Bayer widerlegen will: „Kritiker argumentieren gerne, Glyphosat sei ein „Artenkiller“ und töte Pflanzen, die Insekten zum Leben bräuchten. Auf diese Weise würde die biologische Vielfalt, im Fachjargon Biodiversität, verringert.“ Bayer widerspricht damit übrigens auch direkt dem Bundesumweltministerium, die genau das sagen (30).
Doch es ist wahrscheinlich so einfach nicht, denn wir wissen viel zu wenig über Insekten: Ihren Stoffwechsel, wie das Darm-Mikrobiom funktioniert, wie sich staatenbildende Insekten gegenseitig schützen usw. Bayer weist deswegen auf eine Studie (31) hin, die möglicherweise einige methodische Mängel enthält aber bestätigt, dass Glyphosat das Darm Mikrobiom der Bienen schädigt. In der dortigen Literaturliste findet sich z.B. die Arbeit von van Bruggen et al, die untersuchen, wie kumulierte subtoxische Exposition von Glyphosat zu Schäden führt. Nämlich der erhöhten Suszeptibilität an Pathogenen zu erkranken. Dieses führen sie auf eine mögliche Veränderung des Mikrobioms zurück (32).
Macht Glyphosat uns (Menschen) krank?
Hier möchte ich nun die Sicht der VerbraucherInnen einnehmen, denn wir essen schließlich die Nahrungsmittel, die mit Glyphosat behandelt worden sind. Und auch hier – Daten Chaos. Dieses wird in dem Paper von Myers et al. beleuchtet (33). Sie listen auf, was man weiß, was vermutet wird und was unbekannt ist. In Sektion V zählen sie auf, warum man Glyphosat schlecht bewerten kann: Unter anderem werden Mischungen von Glyphosat mit anderen Herbiziden verwendet, die Kombi-Produkte müssen nicht mehr untersucht werden. Auch werden die sogenannten Hilfsstoffe in den Mitteln nicht offengelegt. Auch hier wieder dürft Ihr Euch mein Entsetzen im Blick vorstellen, weil ich natürlich sofort an die regulatorischen Hürden in der Kosmetik denke und mich frage, sollte man Glyphosat als Kosmetikum verkaufen, damit endlich saubere Daten erhoben werden?
Werden wir von Glyphosat also krank? Auszuschließen ist das nicht. Denn gerade als VerbraucherInnen kommen wir durch die Rückstände in Lebensmitteln zwar nur mit geringen Mengen, dafür aber andauernd in Kontakt mit Glyphosat. Die Lebensmitteluntersuchungsämter checken dabei regelmäßig Proben (34).
Produkte aus Deutschland sind üblicherweise nicht auffällig.
Ein relevanter Verursacher hoher Glyphosatmengen in Lebensmitteln ist die sogenannte Vorerntespritzung, die Sikkation (35). Als ich dies in dem Beitrag von arte zu Gluten sah, fiel mir alles aus der Hand. Als ich das hörte, spulte das Video zurück und traute meinen Augen nicht.
Diese Praktiken sind im Ausland (z.B. USA; Canada, Russland) erlaubt. Durch den globalen Handel kommen diese Produkte auch zu uns. Häufig werden sie weiter verarbeitet und wir können nicht erkennen, woher das Weizenmehl in unseren Nudeln kommt. Ach, und nicht nur mit Weizenmehl, Hülsenfrüchte und Gerste werden auch gespritzt. Eine Diskussion über züchterische Veränderung von Weizen erübrigt sich (36).
Und die KlägerInnen in den USA, wodurch sind die krank geworden?
In den USA versucht sich Bayer gegen eine Klagewelle wegen Glyphosat zu wappnen. Drei Klagen von Geschädigten sind schon entschieden. Die Richter kamen zu dem Urteil, dass Glyphosat ursächlich an der Entstehung des sogenannten Non Hodgkin Lymphom, einer Krebsart beteiligt sei. Obwohl eine gewonnene Klage kein wissenschaftlicher Beweis, sondern ein juristischer Tatbestand ist, wird es für Bayer teuer. Auf diesen können sich in Zukunft auch andere Geschädigte berufen (37, 38).
Auch wenn es sich bei den bisherigen KlägerInnen nicht um professionelle AnwenderInnen handelt – zwei von dreien haben Roundup in ihren Privatgärten genutzt, einer war Hausmeister – so zeigt es aber deutlich die Gefahren von Herbiziden bei PrivatanwenderInnen.
Und warum verbietet man es nicht?
Verbieten? Wäre vielleicht ganz gut. Da bisher alle Beteiligten in dieser Sache nicht mehr glaubwürdig sind. Ja, auch die PolitikerInnen, die ja solche Gesetze beschließen. Aber da hat sich unser ehemaliger Bundeslandwirtschaftminister Christian Schmidt „mal eben“ (39) anders entschieden und 2017 in der EU gegen ein Verbot gestimmt. Damit düpierte er seine KollegInnen (40) und vergiftete das politische Klima nachhaltig. So ätzt sogar das Umweltministerium auf seiner Webseite darüber.
Ab 2023 wird Glyphosat in Deutschland verboten (42) – theoretisch:. Aber schon jetzt zeigt sich im Bundesrat, dass sich nicht alle den Absprachen verpflichtet fühlen. Die Bundesumweltministerin brandmarkt auf facebook ihre KoalitionskollegInnen:
Diese Ereignisse zeigen, dass die Politik offenbar durch Lobbyinteressen gesteuert ist und gibt der ganzen Geschichte damit einen weiteren Twist in Richtung Öko-Krimi. Danach wird wahrscheinlich nur noch mit drastischen Maßnahmen etwas zu bewirken sein. Aber eigentlich hätte man bei der Zulassung schon genauer hinschauen müssen, immerhin es gibt regelmäßige Neubewertungen.
Aber mich wundert an dieser Stelle gerade nichts mehr.
Das Imperium schlägt zurück – die Rache der Kräuter
Die Rache der Natur ist unerbittlich – und war vorherzusehen. Lange schon warnten ForscherInnen davor, Unkrautvernichter in derartig großen Mengen einzusetzen. Glyphosat alleine schafft es nämlich nicht mehr, weit toxischere Mischungen müssen her, um auch der sogenannten Superweeds Herr zu werden.
Aber, die konventionelle Landwirtschaft ist tot. Herbizidresistenzen sind exponentiell auf dem Vormarsch (45). Nicht nur gegen Glyphosat, gegen alle gängigen Herbizide sind Resistenzen erwachsen. Mittlerweile überwiegen also die Umweltschäden den Nutzen. Das hätte man kommen sehen können, wenn man sich die Daten wirklich angeschaut hätte und rechtzeitig Maßnahmen ergriffen hätte. Die Diskussion um ein Glyphosatverbot ist damit eigentlich obsolet. Es wirkt nicht mehr. Punkt. Wenn man also weiterhin Erträge auf den Äckern erwirtschaften will, muss man es anders machen. Biologische Landwirtschaft ist ein möglicher Ausweg.
Fazit
Bei bisher keiner Recherche zu irgendeinem Thema habe ich so viele konträre Aussagen gefunden und bei keinem anderen Thema ist mir beim Lesen der unterschiedlichen Aussagen permanent die Kinnlade nach unten geklappt. Mein Selbstverständnis als Chemikerin ist erschüttert. Und auch bei keiner anderen Recherche habe ich es erlebt, dass vom Startpunkt aus so um den 22. Mai bis zur Fertigstellung 8. Juni 2021 Webseiten Inhalte verändert wurden.
Der Umgang mit dem Thema Glyphosat ist derartig intransparent, dass man nicht umhin kommt zu vermuten, dass nicht Dummheit sondern Absicht dahinter steckt.
Wenn man jetzt bei der Neubewertung noch irgendetwas „retten“ will, dann kann das nur mit absoluter Ehrlichkeit geschehen. Aus meiner Sicht sollte der Einsatz von Glyphosat für PrivatanwenderInnen verboten werden und auch der Staat sollte mit gutem Beispiel vorangehen und bei der Deutschen Bahn den Einsatz einstellen. Immerhin verbrauchte die 75 Tonnen / Jahr (46).
Aber nicht nur Glyphosat, sondern alle Herbizide, Pestizide und Insektizide sollten neu bewertet und ihre Verwendung drastisch eingeschränkt werden. Auch vor dem Hintergrund, dass sie (und auch mittlerweile in Europa verbotene Stoffe) immer noch in den globalen Süden exportiert werden und dort von ungelernten ArbeiterInnen zum Teil ohne Schutzausrüstung versprüht werden (47). Und dies sollten wir aus purem Eingennutz tun:
There is no Planet B.
Literaturliste
(1) https://www1.wdr.de/nachrichten/wirtschaft/bayer-usa-glyphosat-streit-100.html
(2) https://en.wikipedia.org/wiki/Glyphosate
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Glyphosat
(4) http://www.hortipendium.de/Herbizid.
(5) https://www.lfl.bayern.de/ips/unkraut/033932/index.php
(6) https://www.zeit.de/2021/15/zuckerrueben-geschichte-anbau-umweltschutz-gift-bienen
(8) https://www.mdpi.com/2071-1050/12/14/5682/htm
(9) https://enveurope.springeropen.com/articles/10.1186/s12302-016-0070-0
(12) https://serc.carleton.edu/integrate/teaching_materials/food_supply/student_materials/1189
(13) https://www.lfl.bayern.de/ips/unkraut/192703/index.php
(14) https://water.usgs.gov/nawqa/pnsp/usage/maps/county-level/
(15) https://glyphosatestudy.org/de/hrf_faq/wieviel-glyphosat-wird-weltweit-verwendet/
(16) https://www.gminsights.com/industry-analysis/glyphosate-market
(18) https://www.bmj.com/content/365/bmj.l1613
(19) https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_IARC_Group_2A_Agents_-_Probably_carcinogenic_to_humans
(20) https://www.atsdr.cdc.gov/toxprofiles/tp214.pdf
(21) https://www.bauerwilli.com/glyphosat-eine-meldung-die-es-in-sich-hat/
(24) https://www.efsa.europa.eu/en/topics/topic/glyphosate
(25) https://www.bayer.com/de/de/hsdf-schadet-glyphosat-insekten
(26) https://link.springer.com/article/10.1007/BF00279485
(28) https://ehjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12940-016-0117-0
(29) https://esajournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/fee.1985
(30) https://www.bmu.de/faq/was-ist-der-zusammenhang-zwischen-glyphosat-und-insektensterben/
(31) https://www.pnas.org/content/115/41/10305
(32) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29117584/ .
(33) https://ehjournal.biomedcentral.com/track/pdf/10.1186/s12940-016-0117-0.pdf
(34) https://www.ua-bw.de/pub/beitrag.asp?subid=1&Thema_ID=5&ID=3186&lang=DE&Pdf=No
(36) https://biermann-medizin.de/gluten-im-weizen-was-sich-nach-120-jahren-zuechtung-veraendert-hat/
(37) http://www.glyphosatelitigationfacts.com/main/
(40) https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-11/glyphosat-christian-schmidt-csu-spd-angela-merkel
(44) https://www.facebook.com/svenja.schulze/photos/a.56293692028/10158533942627029/
(45) http://www.weedscience.org/Home.aspx
Weiterführende links
Übersicht Herbizid Wirkstoff-Klassen:
https://hracglobal.com/tools/classification-lookup
http://weedscience.org/summary/soadescription.aspx
Zusammenfassungen zur Toxikologie in Kurzform:
https://www.oekotoxzentrum.ch/media/182944/2017_glyphosate_de.pdf