Ewigkeitschemikalien – Ökotoxikologie beyond PFAS
Seit einigen Jahren schrecken uns Nachrichten über sogenannte Ewigkeitschemikalien auf, die sich in vielen Gegenständen des täglichen Lebens verstecken und giftig sind. Nicht nur das, denn dadurch, dass sie offenbar auch nicht ordentlich deklariert wurden, sind sie – wie über Papiermüll zB – in die Umwelt eingetragen worden. Im Kreis Rastatt sind über 1000 Hektar Ackerland mit PFAS verunreinigt, die dort mittlerweile auch im Grundwasser gefunden werden .
PFAS sind poly- und perfluorierte Verbindungen, die sich in der Umwelt anreichern, da sie von üblichen Mikroorganismen nicht abgebaut werden. Sie gelten als Ewigkeitschemikalien. Das Drama in Rastatt ist deutlich älter als die aktuellen Kampagnen, denn schon 2012 fiel dort bei Routineuntersuchungen des Grundwassers auf, dass da was nicht stimmt. Ursache war offenbar die Ausbringung von Papierschlamm-Kompost, in dem PFAS behandeltes Papier enthalten war.
Coffee-to-go – mehr als Müll
Wasserfest behandeltes Papier ist an sich nicht verkehrt, wenn man Flüssigkeiten aufbewahren möchte. Der schnöde Pappbecher ist da sehr gefragt, denn er sieht von außen nach Papier aus – wirkt ökologisch – und ist von innen beschichtet, im Zweifelsfall mit Ewigkeitschemikalien. Wenn dann nicht ordentlich deklariert wird, worum es sich handelt und diese Verpackungen im Kompost landen, werden Schadstoffe in die Umwelt eingetragen. Und genau das ist passiert.
Solche vermeintlich ökologischen Verpackungen gibt es im LEH zu Hauf. Und gerade bei Bio-Ware, da möchte man doch sicher sein. Deswegen sind Zabler Paradiso Bio Nudeln oder Dr. Oetker Vanillezucker und Backpulver Verbrauchertäuschung.

Noch dreister allerdings gehen Markenartikler wie Toppits vor, die für ihr Backpapier schreiben „beidseitige Silikonbeschichtung“ und „ungebleicht und kompostierbar“. Dass dies zusammen nicht geht hat Ökotest schon 2021 beschrieben. Naja, könnte man sagen, das sind ja keine PFAS … Verbrauchertäuschung ist es dennoch.
Warum hat man PFAS überhaupt verwendet?
PFAS sind wasser-, fett- und schmutzabweisend und wurden nach ihrer Entdeckung in vielen Produkten eingesetzt, die besondere Eigenschaften aufwiesen. Der Hype war in den 1960iger Jahren als Kühlschränke und Teflonpfannen Einzug in die Küchen hielten. Deswegen halte ich es für legitim, die Fluorchemie der damaligen Zeit mal im Weitwinkel zu betrachten, denn außer PFAS wurden auf FCKWs Fluorkohlenwasserstoffe eingesetzt. Damals hat man relativ unkritisch noch alles verwendet, was verfügbar war. Sie sind nicht brennbar und an ihnen bleibt nichts haften – der Teflon-Effekt.
Während für die FCKWs relativ bald entdeckt wurde, dass sie einen negativen Einfluß auf die Ozonschicht unserer Erde entwickeln, erfolgte ziemlich schnell der Ausstieg. Mit den anderen Fluorverbindungen gestaltete sich das schwieriger. Denn sie sind fast überall und natürlich jammert die Industrie, sie seien so schwer zu ersetzen.
Vergleich: PFAS vs. FCKW/Aerosole
Merkmal | PFAS | FCKW/Aerosole |
Entdeckung | 1938 | ca. 1930 |
Industrieboom | 1950er–2000er | 1950er–1980er |
Nutzung | Beschichtungen, Textilien, Verpackungen, Feuerlöscher | Kühlung, Sprays, Schäume |
Umweltwirkung | Extrem persistent, bioakkumulierend, giftig | Ozonabbau, Klimawirkung |
Regulierung | Seit 2000er, EU-Verbot geplant | 1987 Montreal-Protokoll → Ausstieg |
Ausstieg | Langsam, noch kein globales Verbot | Erfolgreich umgesetzt |
PFAS sind deswegen „schlimm“, weil sie sich in vermeintlich „guten“ Produkten wieder finden. So, zB in Outdoorbekleidung, Schuhspray für Wasserfestigkeit – Collonil sagt, sie würden seit 2016 keine PFAS mehr verwenden – oder Feuerlöschmitteln. Ihr könnt es Euch denken, der Ausstieg fällt schwer. Und nicht jedes Ersatzprodukt ist weniger gefährlich.
Beyond PFAS – Ewigkeitschemikalien sind überall
Bioakkumulation ist ein Indikator für Ewigkeitschemikalien. Damit bezeichnet man die Anreicherung von Stoffen in lebenden Organismen. Besonders problematisch sind Stoffe, die fettlöslich, chemisch stabil und umweltpersistent sind, da sie sich in Organismen und entlang der Nahrungskette immer weiter anreichern können. ist eine große Gefahr, die erst in jüngerer Zeit adressiert wird. Und da gibt es noch weitere, schlecht bioabbaubare Substanzen. Darunter fallen Quecksilberverbindungen, Dioxine und DDT.
Darüber hinaus gibt es chemische Substanzen, die insgesamt nur schwer abgebaut werden und sich in der Umwelt anreichern. Das sind sogenannte persistente organische Schadstoffe (POP).
Aber auch an unerwarteter Stelle lauern böse Überraschungen, zB in Parfums und Kosmetika . Das sind beispielsweise Nitro-Moschusverbindungen, die als Duftstoffe eingesetzt werden und mit denen wir über die o.g. Produkte in innigen Kontakt kommen. Das führt dazu, dass diese sich in unseren Körpern anreichern und, nachdem das bekannt wurde, einige verboten wurden.
Polymere – unkaputtbar
Jenseits von den oben aufgeführten Substanzklassen gibt es das weite Feld der Polymere. Darunter fallen Polyethylene, Polypropylene, die in vielen Kunststoffverpackungen (Tuben, Deckel, Plastikboxen usw.) eingesetzt werden, Polyethylenterephthalat – PET – in Getränkeflaschen. Polyamid, das als Nylon großen Einsatz in Textilien findet. Oder Polymethylmethacrylat, das als „Acrylglas“ Einsatz in Displays, Fenstern und Leuchten wegen seiner Transparenz genutzt wird. Sie gehören alle zu den sogenannten Thermoplasten, die, wenn sortenrein, wieder aufgeschmolzen und recycelt werden können. Für die anderen Gruppen der Kunststoffe, die Duroplasten wie Polyurethan oder Epoxidharze, die Elastomere wie synthetische Kautschuke, gilt das nicht.
Anhand von Plastiktüten haben wir uns bei wurstend das Problem schon mal angeschaut
Es ist nicht nur so, dass die Müllberge exponentiell wachsen, sondern dass durch undurchsichtige Geschäfte des Dualen Systems, Plastik auf Deponien im Ausland verbracht wird und dann irgendwann im Meer landet. Dort gibt es mittlerweile viele sogenannte plastic garbage patches, die irrwitzige Dimensionen angenommen haben. Der größte „the great pacific garbage patch“ liegt bei Hawaii. Nicht nur, dass er gigantisch ist, er bedroht das marine Leben.

Abbildung 2: Im Advent 2023 haben wir in unserem Adventskalender verschiedene NGOs gefeatured. Hier der Ocean Cleanup https://theoceancleanup.com/ , die versuchen, den Müll wieder einzusammeln. Das gestaltet sich als wirklich schwierig, denn es wird immer mehr….
Doch das Plastik ist nicht nur in unserer Umwelt, sondern kann mittlerweile als Mikroplastik auch in unseren Körpern gefunden werden. Und dort kann es neurotoxisch wirken und das Immunsystem beeinträchtigen oder die Fruchtbarkeit.
Silikone – von flüchtig bis elastisch – nicht abbaubar
Eine Untergruppe der Polymere sind Silikone, die statt des Kohlenstoffs, Silizium in der Kette tragen und damit tolle Anwendungseigenschaften besitzen. Sie besitzen ein weites Einsatzspektrum, das von Medizin über Kosmetik zum Bauwesen und Elektronik bis hin zu Schmiermitteln und Lebensmittel- Kontaktmaterialen. Für den Menschen sind sie in der Regel nicht toxisch, für die Umwelt dagegen schon.
Unter ihnen sind auch flüchtige Verbindungen wie die Cyclomethicone, die mittlerweile als besorgniserregende Substanzen (Substances of very high concern) eingestuft sind. Gerade kleine Cyclomethicone wie D4 und D5 können sich im Fettgewebe anreichern, haben eine lange Verweildauer in der Atmosphäre und stehen im Verdacht zur Wolkenbildung beizutragen.
Insgesamt gelten auch Silikone durch ihre Persistenz als toxisch.
Weiß, aber nicht unschuldig
Das Weißpigment Titandioxid ist seit zwei Jahren in Kosmetika sowie in Zahnpasten und Lebensmitteln verboten. Es soll Hinweise auf ein cancerogenes Potential geben. Nanoteiliges Titandioxid stand schon seit vielen Jahren im Verdacht, sich in der Umwelt anzureichern und dort zu Schäden zu führen speziell bei aquatischen Organismen.
Das makroskalige TiO2, das typischerweise in Anstrichfarben (aber auch in Papier) verwendet wird ist dagegen viel weniger untersucht . Doch es spricht viel dafür, dass auch dieses Material photokatalytische Eigenschaften hat und durch Beanspruchung Kleinstteilchen freigesetzt werden. Wie eben beim Plastik auch. Und so wird eine schleichende Vergiftung der Umwelt in Kauf genommen.
Titandioxid zeichnet sich ebenfalls durch eine hohe Persistenz in der Umwelt aus, es kann sich in Sedimenten anreichern und die Milieus dort verändern, es kann durch Adsorptionseffekte andere Substanzen anreichern und „aktivieren“.
Persistent – bioakkumulierbar – toxisch
Von der Europäischen Chemikalien Agentur ECHA wurden viele Stoffe als PBT eingestuft, einige, sogar als very persistent very bioaccumulative – vPvB.
Liebe Leserinnen, ich habe Euch gerade vier Stoffgruppen vorgestellt, die alles das erfüllen. Es sind nicht nur die PFAS. Es geht weit hinein in die Bereich Plastik und Mikroplastik zu den Silikonen und anorganischen Stoffen wie TiO2. Dass diese Themen überhaupt angegangen werden, liegt zum Teil an ihrer kosmetischen Verwendung. Dort lassen sich kritische Stoffe viel leichter verbieten, weil Kosmetik irgendwie immer als nutzloser Luxus angesehen wird. Da findet es die „Industrie“ dann nicht ganz so schlimm. Aber stellt Euch mal vor: ein Verbot von weißer Wandfarbe!
Was können wir tun?
Die 5 Rs Refuse, Reduce, Reuse, Repurpose, Recycle kann man meiner Meinung nach hier nicht komplett anwenden. Denn aus dem großen ökotoxikologischen Potential ergibt sich, dass nur das erste R , das Ablehnen und Vermeiden eine sinnvolle Herangehensweise ist. Leider ist in der guten Veröffentlichung des Umweltbundesamtes nur die humane Toxikologie betrachtet.
Auch EU weit steht man da allenfalls erst am Anfang. Etwas mehr Licht bringt der Wikipedia Artikel zu dem Vorgehen bei Besorgnis erregenden Stoffen, substances of high concern.
Da bleibt nur, aufmerksam einzukaufen, besondere Eigenschaften von Produkten zu hinterfragen, sich bei Umweltorganisationen wie dem BUND oder der DUH zu informieren
Auf der Seite der ECHA findet sich eine Liste mit den derzeit 200 als besorgniserregende Stoffe angesehenen Chemikalien
Ich aber schreibe jetzt erst mal an Dr. Oetker.
Bildnachweis
Titelbild aus envato elements https://elements.envato.com/de/scientist-wearing-protective-uniform-and-glove-und-4QNFVEB mit freundlicher Unterstützung von https://liliesnbirds.eu/.