Wieviel Lebensmittel-Verschwendung wollen wir uns noch leisten?
Nudeln sind gerade aus, Speiseöl rationiert – die Deutschen hamstern momentan wieder wie blöde. Und am Ende des Tages? Verbrauchen wir unsere Vorräte wirklich? Oder landet alles im Müll? Lebensmittel-Verschwendung ist ein riesiges Thema!
Gerade in Zeiten von Klimawandel und dem Schonen von Ressourcen sind diese Entwicklungen brisant. Vom BMEL und Verbraucherorganisationen gibt es Initiativen wie „zu gut für die Tonne“ oder foodsharing Initiativen , die Lebensmittel vor der Tonne retten wollen. Gleichzeitig steigen die Zahlen derjenigen, die sich reguläre Lebensmittel nicht mehr leisten können und Tafeln und Fairteiler nicht wissen, wie viele Spenden sie erhalten werden. Die Tafeln schagen Alarm! Doch an welcher Stelle gehen jetzt eigentlich so viele Lebensmittel verloren? Ist Sparen das neue geil?
Verschwendung entlang der Lieferkette
Die Vorgängerin von Herrn Özdemir hatte noch die VerbraucherInnen als die Verschwenderinnnen bei den Lebensmitteln ausgemacht, doch schaut man sich die Proteste dieses Jahres an, so zeigen die Protestierenden auf den Handel (zeit no 8, 2022). Die weisen natürlich jede Schuld von sich. Also wer jetzt?
Deckungsgleich sind die Zahlen der Welthungerhilfe. Wichtig allerdings finde ich aber auch die Zahlen der „Verluste“ bei den Primärproduktion und der Verarbeitung der Lebensmittel. Addiert man die Zahlen, so kommt man auf immerhin 30% Lebensmittelverluste, die den Handel erst gar nicht erreichen.
Die UN geht mit ihrem Food Waste Report der Sache weltweit auf den Grund. Die wichtigste Erkenntnis ist sicherlich, dass die Verschwendung in Ländern mit hohem Lebensstandard am höchsten ist. Also bei uns.
Lebensmittel retten? Aber wie?
Bleiben wir also im Land und schauen mal, was hier so passiert. Deutschland tut zwar immer so, als sei es der Musterknabe der EU, doch beim Umsetzten der EU Richtlinien bekleckert es sich nicht mit Ruhm (siehe Grundwasser). Im Zuge der Einhaltung der UN Nachhaltigkeitsziele hat nun auch die EU rechtliche Vorgaben im Köcher: Dabei ist es unser Nachbarland Frankreich ein Vorreiter in Sachen Lebensmittelrettung. Sie erlauben containern, das Entnehmen verzehrfähiger Lebensmittel aus den Abfallcontainern des LEH und setzten die Vorgaben für Lebensmittelspenden verpflichtend um. Dort gibt es auch eine Organisation, die systematisch Lebensmittelabfälle zur Kompostierung abholt.
Hier wird derzeit noch diskutiert, das MDH für praktisch unverderbliche Lebensmittel wie Salz, Reis, Nudeln, Kaffee abzuschaffen. Aber reicht das?
Akteur | Gründe | „Rettung“ |
Landwirtschaft | Qualitätsvorgaben, Lagerung | Unterpflügen, Futter, Biogasanlage |
Herstellung bzw. Verarbeitung | Transportschäden, falsche Lagerung, Gewichtsabweichungen | z.T. direkte Weitergabe an Tafeln |
Handel | Haftung, Lagerung, falsch kalkulierte Mengen | Biogas, Weiterverarbeitung, Rabattierung |
Gastronomie, Kantinen | MHD, unkalkulierbare Nachfrage | ? |
Privathaushalte | MHD, zu viel eingekauft | Müll |
Tafeln und Foodsaver-Organisationen als Rettung?
Unterpflügen, Biogas oder Weiterverarbeitung sind ja eigentlich keine Rettungsmaßnahmen, die dem Aufwand des Anbaus und der Ernte von Lebensmitteln gerecht werden. So sind also Lebensmittelspenden eine Möglichkeit, Produkte, die der Handel oder Zulieferbetriebe aufgrund von nicht ausreichenden MHDs oder anderen Gründen nicht vertreiben können, zu nutzen. Der Handel „bewirbt“ diese Maßnahmen schon jetzt als Beiträge zum Gemeinwohl, z.B. Rewe
Dabei sind die Tafeln selber in schwierigen Bedingungen. „Lieferanten“ fallen weg, die EmpfängerInnen werden mehr, die rechtlichen Hürden sind für Tafeln genauso hoch wie für den LEH, der zudem auch gerne versucht, echten Müll an die Tafeln weiter zu geben. Der Entsorgungsaufwand für die Tafeln was z.B. Verpackungsmüll angeht, ist enorm.
Gleichzeitig sind immer mehr ehrenamtliche Foodsaver auf kommunaler Ebene unterwegs. Sie verteilen private Spenden aber auch solche aus dem LEH. Der Discounter Lidl hat sich ebenfalls auf seiner Webseite und in dem Antwortschreiben auf meine Anfrage zu der Lebensmittelrettung bekannt. Die Pressestelle antwortet in diesem Tenor und zählt auf, in welchen Bereichen und mit welchen Maßnahmen sie Lebensmittel „retten“. Dabei gehört die sogenannte #Rettertüte dazu, B-Ware wird dabei schon jetzt zu einem günstigeren Preis angeboten.
Alle Lebensmittel, die bisher an Tafeln oder Fairteiler verteilt worden sind, werden damit zunächst kommerziell von Lidl genutzt. Ob sie danach noch ausreichend gut für andere sind? In den Kommentaren zu dem Posting wird zudem hinterfragt, ob dann noch ausreichend Lebensmittel für die Tafeln breit gestellt werden können.
Lebensmittel retten oder Menschen alimentieren?
Fairteilerinnen oder Foodsaver-Organisationen sehen sich schwerpunktmäßig als Lebensmittelretter und nicht als VersorgerInnen von MitbürgerInnen in prekären Verhältnissen. Sie befürworten die Rettertütenaktion von Lidl, die von den Tafeln eher kritisch betrachtet wird.
Doch auch bei ihnen sind sowohl die Zahlen der Mitglieder in den Gruppen gestiegen als auch die Spenden von Privathaushalten.
Offenbar sind die VerbraucherInnen sensibler geworden. Eine besonders sensible Kundschaft darf man daher in Bio-Läden erwarten. Meine Anfrage bei Jürgen Döhring, Inhaber Sonnenblume in Mülheim, spiegelt das wider. Zum Thema Foodsaving sagt er: „Wir arbeiten mit den örtlichen Foodsavern zusammen. Manchmal auch mit Kaninchen, Hühnern, Meerschweinchen oder Rennmäusen unserer Kunden.“ Zu der Frage, wie er den KundInnen hilft, schon beim Einkauf die richtigen Entscheidungen zu treffen, ist seine Antwort: „Wir führen viele viele Produkte unverpackt. Brot, Gebäck, Käse, Obst, Gemüse…so können unsere Kunden punktgenauer einkaufen. Kaufen genau die Menge, die sie brauchen.“
Hier zeigt sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Handel und KundInnen.
Eigene Praxis hinterfragen
Wie wir es auch drehen und wenden, wir VerbraucherInnen haben eine Schlüsselrolle in der Lebensmittelrettung inne. Sollten wir LeserInnen zu den glücklichen gehören, die über genügend Geld verfügen, regulär im Handel einkaufen zu können, sollten wir dennoch unsere eigene Praxis hinterfragen.
Das fängt beim planvollen Einkaufen an und geht mit einer ordentlichen Vorratshaltung weiter, auch sollten wir uns nicht von Lockangeboten des Handels verleiten lassen und mehr kaufen, weil es gerade billig ist. Natürlich ist das Einkaufen auf dem Markt besser als vorverpackte Ware im LEH, weil es viel Müll spart. Gute Tipps dazu gibt es in der Presse, internationalen Organisationen, wie zB collective green , bei Foodsharing Organisationen vor Ort, Verbraucherzentralen oder auch bei Fairteilern, die in FB Gruppen organisiert sind.
Wenn doch was weg muss, sind VeganerInnen klar im Vorteil, denn pflanzenbasierte Reste können problemlos kompostiert werden. Aber auch viele Hersteller von Küchengeräten haben den Bedarf entdeckt und bieten High-end-Gerätschaften zur Vorratshaltung an. Wenn man aber planvoll einkauft, dann braucht man die nicht.