Amazonas in den Schweinetrögen Europas
Foto: Collage Dreamstime / Pixabay
Oder wie wir uns selber die Luft zum Atmen nehmen.
Kaum etwas in der europäischen Agrarlandschaft ist so kontrovers diskutiert wie die Fleisch- und Milchproduktion. Ungeschönte Zahlen und wahrheitsgemäße Aussagen zu bekommen ist schwieriger als das bekannte Kamel durch das Nadelöhr zu ziehen, was die Sache wohl andeutungsweise auf den Punkt bringt, denn wie im Gleichnis, geht es hier um viel – genaugenommen um sehr viel Geld.
Sonderbare Statistik
Auch wenn der deutsche Bauernverband vollmundig herausstellt, dass 92 % des Tierfutters aus heimischer Produktion stammen, womit er nur teilweise Recht hat.
Sicherlich eine Sache der geschickten Darstellung – Fest steht aber auch, dass Eiweißquellen für das Kraftfutter und die aktuelle Massentierhaltung unverzichtbar sind. Und so fordert der DBV auch eindrücklich, dass das Fenster zu den südamerikanischen Importeuren offen bleibt und wehrt sich vehement gegen die Vorschläge eines Lieferkettengesetzes der EU, welches sicher stellen möchte, dass menschenrechtliche und ökologische Mindeststandards in den Exportländern eingehalten werden.
Eine schwedische Studie, in Top-Agrar zitiert, stellt darüber hinaus fest, dass ohne Eiweiß-Importe die Schweineproduktion EU-weit um insgesamt 43 % und die Geflügelerzeugung sogar um 58 % schrumpfen würde. Andere Zahlen gehen sogar von 75% Importabhängigkeit eiweißhaltiger Vorprodukte in der Futtermittelproduktion aus.
Wie passt das zusammen? Auf der einen Seite möchte uns die hiesige Agrar-Industrie glauben machen, sie sei nahezu autark, auf der anderen Seite trommelt sie, dass die Importe aus Brasilien nicht versiegen mögen. Der kluge Leser sollte sich da sein eigenes Urteil drüber bilden!
Über die genauen Zahlen in der Darstellung kann sich Herr Rukwied und Frau Klöckner ja noch gerne abstimmen – wir interessieren uns jetzt einmal zunächst für das Ursprungsland und welche Auswirkungen für Brasilien und die Welt daraus folgen.
Das Soja-Imperium
Brasilien ist in der letzten Dekade zum weltweit größten Soja-Produzenten aufgestiegen. Was jedoch das Bild Brasiliens in der Welt verfälscht, denn fast 70 % des BIP werden im Dienstleistungssektor erwirtschaftet.
Dennoch ist es ein Land der extremen sozialen Unterschiede, lediglich 10% verfügen über 74,5 % der realen Einkommen. Mehr erfahrt ihr in Entwicklungspolitik-Online.
So genommen der ideale Nährboden für Glücksritter, Investoren und internationale Agrar-Unternehmen. Die Soja-Produktion Brasiliens wird im Wesentlichen unter fünf internationalen Konzernen aufgeteilt, darunter Cargill, Monsanto und Dreyfus.
Eigentlich bietet der brandgerodete Regenwald-Boden nicht die optimalen Nährstoffbedingungen für die Soja-Pflanze, darum wird er massiv bewässert und mit importiertem Agrar-Chemikalien behandelt. Jährlich müssen 20 Millionen Tonnen Dünger und Pestiziden importiert werden, was Brasilien zum Import-Weltmeister der Agro-Chemie macht.
Als Herbizid kommt vornehmlich Glyphosat zum Einsatz, was den schwierigen Bedingungen geschuldet oft in der achtfachen der vom Hersteller Monsanto empfohlenen Menge angewandt wird. Missbildungen bei Neugeborenen im ländlichen Raum Brasiliens sind seit Jahren an der Tagesordnung. Aber wen interessiert das schon? Genau so wenig interessieren uns anscheinend die Kleinbauern Brasiliens und die indigene Bevölkerung, die mit den zunehmend expandierenden Soja-Feldern ihre Existenz verloren haben.
Für die Welt und Europa sollte es aber dennoch ein Weckruf sein, dass der Amzonas mit seiner enormen Fläche 20% der weltweiten Sauerstoffproduktion eine der Lungen der Erde ist.
So twitterte der französische Präsident Macron 2019 im Greta-Jahr vor dem G7-Gipfel:
„Unser Haus brennt. Buchstäblich. Der Amazonas Regenwald, die Lunge unserer Erde, die 20 Prozent unseres Sauerstoffs produziert, steht in Flammen. Es ist eine internationale Krise. Liebe G7-Mitglieder, lasst uns in zwei Tagen diesen Notfall als erstes besprechen. #ActfortheAmazonas“
Emmanuel Macron 2019
Der umstrittene Präsident Bolsonaro hat es damals als neo-koloniale Einmischung abgetan. Dessen Meinung muss man nicht unbedingt teilen, aber die Haltung kann man vielleicht dennoch verstehen, denn Europa als größter Importeur brasilianischer Soja-Produkte sollte sich seiner treibenden Rolle in der Vernichtung des Regenwaldes endlich bewusst werden. Eigentlich ist das ganz einfach: Wer bestellt sollte auch zahlen, oder?
Soja-Alternativen in den Futtertrögen?
Glaubt man dem Deutschen Bauernverband und der schwedischen Studie gibt es leider keine Alternativen, zumindest wenn man Produktionsmenge und Preis so beibehalten möchte. Also was nun? Auf Fleisch verzichten? Nur weil ein paar Menschen im Regenwald Missbildungen haben oder uns der Sauerstoff ausgehen könnte? Und wie entscheiden sich die Verbraucher Europas – Wo liegt der Trend?
Ernährung im Umbruch
Laut einer Umfrage der PHW/Wiesenhof-Gruppe orientieren sich immer mehr Menschen in Richtung einer Fleisch-reduzierten Kost. Flexitarier ist hier das neue Modewort – Also noch möchte sich keiner festlegen, aber dennoch seinen Konsum von tierischen Produkten deutlich reduzieren. Während die Gruppe der männlichen Befragten hier vornehmlich eigene gesundheitliche Gründe anführen, dominiert bei den weiblichen Befragten das Tierwohl.
Die Publizierung der Studie in Topagrar aus dem Januar 2021 hat selbstverständlich viele Kommentare erhalten, die sie gerne zur eigenen Belustigung nachlesen mögen (Link) deren Qualität eine Wiedergabe hier jedoch nicht rechtfertigen würde.
Epilog
Beobachtet man die widersprüchlichen Aussagen des DBV und andere Landwirtschafts-Organe zu dem Thema, kommt man zwangsläufig zum Schluss, dass hier etwas so Offensichtliches einfach verschwiegen werden muss. Sicherlich auch ein Zeichen des Verharrens in einem alten Agrar- und Ernährungs-Modell. Angesichts des Veggie-Booms an den Börsen und den Zuwachsraten in der ökologischen Landwirtschaft, steht die Massentierhaltung des DBV wie ein erbärmliches Auslaufmodell da, ja das ist schon sehr peinlich. Aber wie wir alle wissen: „Wer nicht mit der Zeit gehen möchte, der geht halt mit der Zeit“
Links / Referenzen
Der Bauernverband wiegelt ab: 92% des Tierfutters stammen aus Deutschland
https://www.agrarheute.com/management/finanzen/92-prozent-futters-stammt-deutschland-459838
Schwedische Studie sieht Abhängigkeit von südamerikanischem Soja ,TopAgrar 2020
https://www.topagrar.com/acker/news/ohne-sojaimporte-gaebe-es-produktionseinbruch-bei-schwein-und-gefluegel-12448783.html
Das Soja-Imperium – ZDF
https://www.youtube.com/watch?v=xUjYuVcOuxs
Brasilien ist hungrig nach Agro-Chemie
http://www.dextrainternational.com/brazilian-agrochemical-imports-already-21-higher-this-year/