Wie plastikfrei geht’s eigentlich?
Jetzt aber! Zum 1. Januar nimmt der LEH die Plastiktüten aus dem Verkauf, also die dicken. Wo so was drauf steht wie Aldi, Edeka oder Karstadt. Die kleinen, dünnen bleiben da. Ist das Problem Plastik nur abhängig von der Wandstärke der Tüte? Wohl kaum. Deswegen versuche ich hier mal nachzuspüren, wie plastikfrei es eigentlich geht.
Polymere – der planetare Notstand
Plastik ist der Trivialname für alle polymeren Kunststoffe. Das sind Polyethylen, Polypropylen, Polyurethan, Polycarbonate, Polyvinylchlorid (PVC), Polystyrol usw. Sie begleiten uns mittlerweile im Alltag auf Tritt und Schritt. So sehr, dass die britischen ForscherInnen der Royal Society von einem Plastik Zeitalter sprechen. Der Band der Philosophical Transactions von 2009 !! widmet sich komplett diesem Thema „Plastics, the environment and human health.“ Und Plastik wird dort als nichts Geringeres beschrieben als ein „planetarer Notstand“. Rechnet man alle produzierten Kunststoffe ab 1950 zusammen, kommt man auf eine geschätzte Menge von 8300 Millionen Tonnen. Dieser unvorstellbaren Menge widmen sich Geyer et al. 2017 in ihrem Artikel „Production, use, and fate of all plastics ever made“.
Der Müll wächst enorm
Dabei ist nicht alleine die Herstellung und Verwendung von Plastik das Problem, sondern der Müll, zu dem es nach dem Gebrauch wird. In Abbildung 1 wird nur annäherungsweise deutlich, wo wir überall Plastik drin haben. Und auch hier sehen wir, dass die Plastiktüten wohl eher das geringere Problem sind. Polymere sind nicht nur in Tüten drin. Wir finden sie in Umverpackungen von Kosmetika, in Kinderspielzeug, Computergehäuse, Kleidung (ja, ja die tollen funktionellen Mikrofasern), im Auto und auch in Gebäuden. Schicht ÜBERALL. Und irgendwann wird all dieses Plastik zu Müll. Die Joghurtbecher schneller, die Kleidung langsamer und im Bauwesen sehr langsam. Die Entsorgung ist also ein großes Problem. Und das Verschiffen in Staaten der Dritten Welt und den gigantischen Müllstrudel im Pazifik, den haben wir mit verursacht. Mit unserem Wegwerf-Konsum.
Unkapputbar heißt das Problem
Üblicherweise werden polymere Kunststoffe aus Produkten petrochemischen Ursprungs hergestellt. Sie sind also schon mal nicht klimaneutral. Das soll uns an dieser Stelle gar nicht so sehr interessieren. Sondern die andere tolle Eigenschaft von Plastik. Die Haltbarkeit. Die Fachleute sprechen dann auch gerne von Persistenz. Es gibt auf der Erde keine Organismen, die Plastik zerlegen und somit abbauen können. Alles Plastik, das wir herstellen und verwenden, vergrößert das Müll-Problem. Plastikfrei sollte also das Gebot der Stunde sein. Denn auch das Recycling bestimmter Plastiksorten verzögert das Problem nur, es löst es nicht.
Biopolymere – die Lösung? Oder nur geschönt?
Biopolymere wären eine Lösung des Problems, eine technische. Würde man Plastik also aus nachwachsenden Rohstoffen herstellen, das dann natürlich auch biologisch abbaubar sein müsste, wäre das Problem doch gelöst. In vielen Bereichen, z.B. Kosmetikflaschen, Einwegkaffeebecher, Frischhaltefolie für Gemüse wird es schon probiert. Und kritisiert. So habe ich bei Edeka in Düsseldorf – ja dieser Laden mit dem Sternerestaurant – Plastiktüten, die aus Zuckerrohr hergestellt werden, gefunden. Wäre das also die Lösung für alle, die ihre Konsumgewohnheiten nicht ändern wollen. Spoiler – leider nein.
Wiederverwenden als eine Lösung
Im Gegensatz zum Recycling ist das Wiederverwenden eine geeignete Methode zur Einsparung von Plastik und Müll. Allerdings muss man sich schon Gedanken dazu machen, wofür das Plastik wiederverwendet werden soll und vor allem, wo es in der Zeit bis dahin gelagert wird. Plastikfrei wird man dadurch nicht und convenient ist es auch nicht. Aber man kann den Verbrauch drastisch reduzieren und den Lebenszyklus verlängern. Und das Schöne, den größten Effekt erreicht man schon durch ein einmaliges Wiederverwenden. Reduktionsquote 50%.
Bei mir funktioniert das bei den kleinen Plastiktüten schon sehr gut, da kriege ich sogar das mehrmalige wiederverwenden, z.B. für Salatverpackungen gut hin.
Vermeiden
Unsere Industrie ist nicht auf Vermeiden ausgerichtet und auch der LEH irgendwie noch nicht. In vielen Bereichen ließe sich Plastik nämlich vermeiden. Zum Beispiel an der Frischetheke, indem man einfach seine eigenen Boxen mitbringt. Während das mit den Gemüsenetzen funktioniert, ist es an der Theke nicht möglich. Zumindest nicht bei den Big Players. Denn die tun ja grade zu so, als ob die eigenen Boxen Keimschleudern per se wären. Bei meinem türkischen Händler dagegen ist das kein Problem. Ganz konsequent aber lässt sich diese Strategie in Unverpackt-Läden umsetzen.
Boykottieren
Als ÖkoextremistIn käme man vielleicht auf diese Idee. Aber dann wäre man schnell nackig. Denn in fast allen unseren Klamotten ist irgendwo auch Plastik mit verarbeitet, als Gummizug, als Schuhsohle oder Reißverschluß. Wenn schon Boykott, dann sollte man konsequent Produkte von Firmen meiden, die Plastik in Produkten verstecken, wo es nicht offensichtlich ist. Dr. Oetker z.B., der seinen Vanillezucker jetzt in Papiertütchen mit Plastikauskleidung verpackt, oder Ritter Schokolade, die die Schokolade in kleinen Portionen verpacken und andere.
Plastikfrei – ein langer Weg
Wer sich also aufmacht in ein plastikfreies Leben, muss sich auf eine lange Wanderung einstellen. Die Plastiktüten sind nicht das Problem. Jedenfalls nicht das größte. Auch nicht die Wattestäbchen oder das Einmalbesteck. Die großen Vermüller derzeit sind die Corona Testzentren. Bei denen wir uns ja aufgrund der derzeitigen Regellungen permanent untersuchen lassen müssen. Das Testzentrum in Mülheim verwendet für jeden Probanden ein Paar Einmalhandschuhe, die Tests selbst sind einzeln verpackt und die Angestellten selbst mit Plastikvisieren und Plastiküberzügen ausgestattet. Die Hygieneregeln, die dort gelebt werden, sorgen für weitere, ungeahnte Mengen an Plastikmüll.
Die Einkaufstüte? Ein Lacher….
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Titelbild: Melanie Stegemann