Nachwachsende Rohstoffe (Teil 2) – wirklich klimaneutrale Chemie?
In ersten Teil dieser Betrachtung hatte ich das Problem des Biodiesels geschildert und damit die Konkurrenz auf dem Acker von Food-Feed-Fuel aufgezeigt. Natürlich machen wir nicht nur Kraftstoffe aus den Ackerfrüchten, sondern nutzen sie auch für ganz viele Dinge in der Chemie. Energetische und stoffliche Nutzung zusammen werden subsummiert unter Nachwachsende Rohstoffe (NAWARO). Sie gelten als klimaneutral, biologisch gut abbaubar und erhalten C2C Siegel. Und somit auch die Produkte, in denen sie verwendet werden.
Deutschland: Die wichtigsten Ackerfrüchte für NAWAROs
Die wichtigsten Ackerfrüchte in Deutschland – und ich möchte mich hier ganz bewußt nur auf dieses Land fokussieren – sind: Kartoffeln, Zuckerrüben, Getreide, Raps, Mais und Ackerbohnen. Ackerbohnen werden fast ausschließlich als Futtermittel angebaut. Deswegen betrachte ich sie und auch die Holzwirtschaft nicht, die ganz eigene Probleme hat.
Die Bilanzierung der Nutzung ist nur bei Getreide – meistens als Futtermittel – und Kartoffeln – überwiegend als Nahrungsmittel – gut beschrieben. Mais wird in Deutschland nur als Silagemais angebaut. Deutscher Mais wird als Nahrungsmittel also nicht verwendet. Durch die hochkomplexen Verarbeitungswege beim Raps und der Zuckerrübe ist nur eine Abschätzung der Nutzung möglich, dennoch vermute ich hier stark, dass nur der kleinste Anteil als Nahrungsmittel genutzt wird.
Die unter der Industriellen Nutzung aufgeführten Rohstoffe (Fuel+Stoff) finden eine weite Verbreitung in unterschiedlichen Industriezweigen (Abb.1) .
Klimaneutrale Chemie durch Rohstoffe vom Acker?
In der Konferenz von Rio wurde ja gefordert, das Wachstum den Ressourcen anzupassen. Viele verstanden das wohl als ein weiter so, nur eben ohne fossile Rohstoffe. Die Begrenzung der CO2 Emissionen hatte Priorität und damit glaubten viele, sie hätten schon genug getan. Und verlagerten das Problem von der Raffinerie auf den Acker.
In der Zeit nach der Konferenz von Rio wurden NAWAROs kritisch unter die Lupe genommen und so, z.B. in der Zeitschrift „Nachrichten aus Chemie und Technik“ Trotz der Probleme der Kosteneffizienz (fossile Brennstoffe waren Jahrzehnte lang viel zu billig) werden in dem Artikel Ansätze aufgezeigt, wie NAWAROs in der Chemischen Industrie genutzt werden können. Und mittlerweile hängen ganze Industriezweige an der Weiterverarbeitung von Ackerfrüchten (Abb. 1).
Auch wenn die Menge noch verhältnismäßig klein wirkt: Mit 2,7 Millionen Tonnen Erntemenge für die sogenannte „stoffliche Verwendung“ (Abb.2) in 2017 mutet die Zahl eher klein an, besonders wenn man vergleicht welche Menge (14 Mio Tonnen) für Biodiesel verbraucht werden. In der Tabelle der Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe( FNR, Tab.2) wird dieses überdeutlich. Betrachtet man den Flächenverbrauch / Rohstoff, wird deutlich, dass die NAWAROS, die für die chemische Synthese gebraucht weniger als 10% der Gesamtmenge ausmachen. Über 90% der NAWAROs verheizen wir im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Chemie der NAWAROs
Nachdem sich das Lamentieren über die Andersartigkeit von NAWAROs zu Substanzen aus der Petrochemie gelegt hat, werden sie nun deutlich stärker genutzt. Ja, man besinnt sich sogar darauf, dass sie vor der Entdeckung des Erdöls auch schon verwendet wurden und durchaus nützlich waren. In der nachfolgenden Tabelle betrachte ich die wichtigsten Ackerfrüchte, die wichtigsten NAWAROs und deren Einsatz in Produkten. Die mengenmäßig am stärksten genutzten NAWAROs sind Stärke und Fette/Öle.
Zuckertenside – klimaneutrale Chemie ?
Wenn wir also den Frosch Werbespot sehen, der geschickt vor dem „Wetter“ platziert ist, hören wir viel von „Tensiden aus europäischem Anbau“. Hier möchte ich einen der wichtigsten NAWARO betrachten, Alkylpolyglucoside, sogenannte Zuckertenside. Diese wurden schon in den 90iger Jahren entwickelt und finden eine breite Verwendung in Waschmitteln und Kosmetika. Interessanterweise war es die Firma Henkel, die die Herstellung und Verwendung damals patentierte. In den Produkten von Persil jedoch sucht man diese Substanzen vergeblich. Sie finden sich z.B. in Öko-Waschmitteln. oder in Öko-Spülmitteln. Kritisiert wird häufig die schlechtere Reinigungsleistung, dafür sind die Öko-Tenside aber besser biologisch abbaubar.
Benutzt man nun nicht heimische Rohstoffe, wie z.B. Kokosöl, läßt sich auf den kurzkettigen Fettsäuren eine interessante Chemie aufbauen. Einsatz finden diese Derivate dann gerne in der Kosmetik, die im Übrigen gerade dabei ist zum Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit zu werden. Unter dem Stichwort Naturkosmetik finden sich in den Formel dann nur Inhaltstoffe natürlicher Herkunft. . Große Rohstofffirmen (Chemie) bieten als Service an, den Natürlichkeitsindes zu berechnen.
NAWAROs in der Chemie
NAWAROs könnten in der chemischen Synthese eine echte Alternative sein, wenn die Subventionierung der fossilen Energieträger endlich beendet würde. Zum Beispiel durch einen realistischen CO2 Preis. In der Gesamtmenge an NAWAROs macht die stoffliche Verwendung nur etwa 10% aus, das heißt wir verheizen den Rest im wahrsten Sinne des Wortes.
Lange wurde die Forschung zu alternativen chemischen Grundstoffen aus NAWAROs vernachlässigt, da es etablierte Synthesewege gab oder keine alternativen Rohstoffe gesucht wurden. Dabei sind gerade die Nutzung für Polymere (Bio-Plastik) und Kleidung (Cellulosefasern) wichtige Anwendungsgebiete, die synthetische Materialien petrochemischer Herkunft obsolet machen können. Damit würden sie einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten, jedenfalls mehr als nur Zuckertenside.
Ein Problem sehe ich darin, dass ein NAWARO erst dann eine Chance hat, wenn er in einen „industriellen“ Prozess eingegliedert werden kann. Damit übernimmt das Kostendenken die Entwicklung und hemmt Erneuerungen.
Chemie – oder was essen wir morgen?
Offizielle VertreterInnen der Landwirtschaft behaupten oft, dass es in der Landwirtschaft um die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung ginge. Das stimmt so nicht (mehr), denn Landwirtschaft hat sich gewandelt zu einem wesentlichen Baustein in der Wertschöpfungskette Dabei werden die landwirtschaftlichen Produkte in der Industrie „veredelt“, um zu höheren Preisen weiter verkauft zu werden. Die Landwirte bekommen, wenn überhaupt, nur einen kleinen Teil dieser Gewinnabschöpfung. Sie tragen aber durch die gesetzlichen Regularien die Last, gleichzeitig für den Erhalt der Ackerfläche Sorge zu tragen und vom Ertrag leben zu können. Im UFOP Bericht sind die Prioritäten der Landwirtschaft allerdings klar im Inhaltsverzeichnis erkennbar: Rohstoffversorgung, Biokraftstoffe, Nahrungssicherheit. In dieser Reihenfolge.
Somit konkurriert natürlich auch die stoffliche Nutzung der NAWAROs mit der Erzeugung von Nahrungsmitteln, jedoch weniger als bei der energetischen. Problematischer finde ich vielmehr, dass bei dem Anbau vieler Ackerfrüchte, besonders aber der Zuckerrübe, noch immer viele umstrittene Herbi-, Pesti- und Insektizide verwendet werden. Weiterhin werden viele Nahrungsmittel importiert, um letztendlich chemisch weiter verarbeitet zu werden, wie z.B. Kokos- oder Palmöl. Die Umweltschäden bleiben im Herkunftsland.
Pflanzliche Proteine werden in Zukunft nicht nur in Fleischersatzprodukten und Futtermitteln für die industrielle Massentierhaltung eingesetzt, sondern sollen auch klassischen Anwendungen wie Bindemittel oder Filmbildner auf Acrylat-basis verbessern.
Die Waldbrände und Überschwemmungen des Sommers 2021 zeigen uns aber auch sehr eindrücklich, dass nicht nur die fossilen sondern auch die organischen Ressourcen begrenzt bzw. bedroht sind. Durch uns. Nur, wenn wir wirklich weniger von allem verbrauchen, werden wir unseren Lebensstandard halten können.
Quellenverzeichnis
(1) https://www.ble.de/SharedDocs/Downloads/DE/BZL/Daten-Berichte/Kartoffeln/2020BerichtKartoffeln.pdf;jsessionid=7CCC83A3AE487E068DDB8D6F22BCFCAE.1_cid325?__blob=publicationFile&v=2
(2) https://pflanzen.fnr.de/anbauzahlen
(3) https://www.ble.de/SharedDocs/Downloads/DE/BZL/Daten-Berichte/OeleFette/Versorgung/2019BerichtOele.pdf?__blob=publicationFile&v=2
(4) https://www.ble.de/SharedDocs/Downloads/DE/BZL/Daten-Berichte/Zucker/2020BerichtZucker.pdf?__
blob=publicationFile&v=2#page=25&zoom=auto,-274,834
(5) https://www.process.vogel.de/pflanzliche-proteine-statt-erdoel-nachwachsende-rohstoffe-sind-reif-fuer-industrielle-anwendungen-a-1004646/
(6) https://fnr.de/marktanalyse/marktanalyse-kap2.pdf
(7)https://www.chemie.de/news/1170091/pflanzliche-proteine-ersetzen-erdoelbasierte-rohstoffe.html
(8) https://fnr.de/marktanalyse/marktanalyse.pdf
(9) https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ange.201002767
(10) https://wissenwiki.de/Nachwachsende_Rohstoffe_-_oleochem.Anwendung