Vegan: Lifestyle oder Ideologie?
Ideologisch überhöhte Ernährungskonzepte gibt es ja nicht so viele. Und wenn, dann sind es die, die den Verzicht auf Fleisch -vulgo totes Tier- propagieren. Ach was propagieren! Mit der Keule unter die Leute bringen. Mit Latte-Hafermilch-To-Go in den hippen Großstädten Oder in Vlogs, die lustig sein wollen und sich „Vegan ist ungesund“ nennen. Oder die sich selber gleich als „Graslutscher“ bezeichnen. Vegan ist weit entfernt von Lifestyle.
Die “Arier” von heute und ihre Ernährungsideologien
VegetARIER! FlexitARIER! VeganISMUS! Das klingt zum einen nach einer faschistischen Überhöhung der eigenen Position bis hin zu einem ISMUS, der im besten Fall IdealISMUS sein könnte oder aber FanatISMUS. Man könnte den Eindruck gewinnen, wir würden von missionierenden Ernährungspropheten überrannt. Dabei sind die VeganerInnen, die ich kenne eher still und hängen es nicht an die große Glocke, dass sie keine Tierprodukte essen. Auch ich habe es so gemacht, wenn ich gefragt wurde, ob ich Vegetarierin sei: Nein, ich esse nur kein Fleisch. Denn für aktiven Fleischverzicht wird man angefeindet. Natürlich ist Ernährung wichtig, allgegenwärtig und ein Schlachtfeld verschiedener Weltanschauungen. Denn über Ernährungsvorschriften stifteten und stiften (Religions)-Gemeinschaften ihren Zusammenhalt.
Da haben wir es also, vegan kein Lifestyle. Oder würdet Ihr vom Islam als Lifestyle sprechen?
Ist Veganismus aktiver Tierschutz?
In einer Redaktionssitzung bemerkte Daniel, die vegane Bewegung hätte sich aus dem Tierschutz entwickelt. Die ersten VeganerInnen waren also aktive Tierschützer. Das unterscheidet sie z.B. von den Buddhisten, die zwar auch – aus Gründen eines besseren Karmas – auf Gewalt verzichten wollen, aber keine strikten Ernährungsvorschriften haben. Ist Tierschutz also Religion? OK, bei manchen Tierschützern kann man schon diesen Eindruck bekommen. Zumindest aber sind sie Überzeugungstäter, wie diejenigen, die auf die Missstände in Schweinemastbetrieben aufmerksam gemacht haben und dann auch noch freigesprochen wurden. Nicht erst seitdem stehen sich Bauern und Tierrechtler feindselig gegenüber.
Alles andere als entschärft wird dieser Kampf durch die Lobby kontrollierte Landwirtschaftspolitik der CDU: Halbherzige Tierwohlabgaben, die dem Kostendruck der industriellen Landwirtschaft Hohn sprechen. Das Problem ist größer als der Tierschutz.
Fairänderung, wo soll man da anfangen (– und wo aufhören)?
Eine Diät macht man ja bekanntlich immer dann, wenn man etwas verändern will oder muß. Wenn die Hose kneift, weil man eben doch zuviel Junk Food gegessen hat oder weil der Doc einem nach dem letzten Check-up tief in die Augen geblickt hat. „Wenn Sie die Rente erreichen wollen, müssen Sie Ihre Ernährung umstellen!“
Dabei hat man uns doch immer eingetrichtert, dass Fleisch ein Grundnahrungsmittel sei. Der Gehalt an Mineralstoffen, essentiellen Aminosäuren und B-Vitaminen! Allein durch Fleisch sei der zu decken. Und damit es in der Bevölkerung zu keiner Mangelernährung kommt, muß es eben billig sein. Wieso also werde ich davon krank? Hat nicht Churchill auch geraucht wie ein Schlot und ist steinalt geworden?
Anders als beim Rauchen ist der Einfluß der Ernährung nicht so einfach in Zahlen zu fassen – zu viele Variablen. Aber aus der Erfahrung, man nennt das auch Empirie, ist bekannt dass der Verzehr von (zu viel) tierischen Produkten zu vielen Erkrankungen führt: Gicht, Arthrose, Darmkrebs. Auch Herz-Kreislauferkrankungen stehen ganz vorne mit auf der Verdachtsliste.
Bleiben tut nach dieser Betrachtung die traurige Erkenntnis, dass Veganismus eine freudlose Angelegenheit sein muss. Denn Verzicht ist einfach negativ. Vegan kann kein Lifestyle sein!
Der Trend wird klein gerechnet
Wenn eines aber den Veganismus und den Fleischverzicht auszeichnet ist es, dass er (von vielen Seiten) kleingerechnet wird. Auf meiner Suche nach veganen Trendsettern über google war der erste Hit auf der Liste ein journalistischer Beitrag der Deutschen Welle aus dem Jahr 2013. Und auch die meisten Zahlen, über die gesprochen wird, sind älter als 5 Jahre. Da helfen auch keine Statistiken von dem Portal Statista, die behaupten „Die Mehrheit ißt Fleisch“ ohne klar zu stellen, wie sie denn das herausgefunden haben.
Mehr Infografiken finden Sie bei StatistaDem gegenüber steht, dass in der Kochsendung „Die Küchenschlacht“, in der Sterneköche die Kreationen von Amateuren bewerten, seit 2021 an einem der fünf Wettbewertbstage vegetarisch gekocht wird. Sterneköche wie Nelson Müller eine ordentliche Auswahl an vegetarisch / veganen Gerichten auf der Karte haben und Johann Lafer ein veganes Kochbuch veröffentlicht hat.
Große Supermarkt Discounter werben damit, dass „Vegan keine Nische mehr ist“ und bieten ein erstaunlich breites Sortiment. Und auch Google Trends zeigt durch Auswertungen von Suchanfragen, dass im letzten Jahr mehr Leute nach „vegan“ gesucht haben. Immerhin, ganz so freudlos kann es nicht sein 😉
Missioniere nicht!
Warum also setzt sich der Trend nicht viel deutlicher öffentlich durch? Haben Metzger die bessere Lobby? Ist Fleisch grillen sexier als Gemüse? Denn eigentlich erleben wir gerade das Gegenteil. Alle diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer (also Klimaschutz, Gesundheit, sozialer Verantwortung oder einfach Tierschutz) auf tierische Produkte verzichten, es eben heimlich tun. Hilfreich ist da bestimmt nicht, wenn Öko-Test oder andere Magazine titeln „Wußtest Du schon, dass XX gar nicht vegan ist?“ Und XX sind dann so Dinge des täglichen Lebens, die man nicht einfach mal so ersetzen kann, Schuhe zum Beispiel oder Wollpullies. Das ist doch ein Fest für „Andersgläubige“, die hier weitere absurde Regeln vermuten.
Es hilft ganz bestimmt auch nicht, wenn der Businessinsider behauptet, dass Veganer den Planeten nicht retten, naja, die andern tun es ja auch nicht… oder Foodmagazine Tipps zum behutsamen Umgang mit Fleischessern geben. In der Zeit dagegen kritisiert Zarah Mampell, selber vegan, das affektierte Gehabe anderer veganer Großstädter und im Stern kann ich lesen, was die Veganer nervt .
Mein eigener Aufruf zum Fleischverzicht vor zwei Jahren in der WAZ wurde mit vielen Kommentaren bedacht, zum Teil mit sehr viel Fleisch garniert und der Frage „Wat stimmt mit der nicht?“ oder „Blindes und intolerantes Sektierertum ist das.“ Von Lifestyle also noch echt weit weg. Doch eigentlich harmlos, denn die üblichen Kommentare zu Fleischverzicht oder gar vegan gehen unter die Gürtellinie.
Lisa Schönhaar kritisiert die Kommentare der „Fleischesser“ zu veganem Verhalten, beleuchtet das Paradoxon, dass wir Haustiere vergöttern und bei Nutztieren wegsehen und mit aggressiv-defensiven Argumenten unseren Fleischkonsum rechtfertigen. Ihr Fazit: