Bio oder Gentechnik – wer ernährt die Welt?
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von Bernward Geier (Journalist und 18 Jahre Direktor von IFOAM)
Die Tatsache, dass weltweit 822 Millionen Menschen hungern und 2 Milliarden an Mangelernährung leiden, ist hinlänglich bekannt. Weniger offensichtlich ist die schizophrene Situation, dass diesem kaum vorstellbaren Leid eine andere Zahl gegenübersteht: Weltweit sind etwa 1,9 Milliarden Menschen übergewichtig.
Auch bei wachsender Bevölkerung bleibt es eine Tatsache, dass weltweit mehr als ausreichend Lebensmittel produziert werden. Das Problem ist, dass vor allem Armut den Menschen leere Teller beschert. Die Situation ließe sich durch viele Fakten untermauern. Eine Zahl zeigt eigentlich schon alles: 80 Prozent der unterernährten Kinder leben in Ländern, die des Profites wegen Lebensmittel exportieren!
Verhungert die Welt mit Bio-Landwirtschaft?
Aktive und Befürworter des biologischen Landbaus werden immer wieder gefragt: „Verhungerte die Welt, wenn flächendeckend ökologischer Landbau betrieben würde?”. Oft wird dies nicht als Frage formuliert, sondern schlichtweg behauptet: „Die Welt wird bei flächendeckendem Ökolandbau verhungern!”. Solche Fragestellungen lenken zunächst nur vom Kern des Problems ab. Die Mangelsituation bezieht sich ja nicht auf die Menge an Lebensmitteln, sondern auf deren Verfügbarkeit für die Armen.
Wir brauchen in absehbarer Zeit allerdings eine Steigerung der Lebensmittelproduktion, nicht nur wegen des nach wie vor steigenden Bevölkerungszuwachses. Auch die Verbesserung der Einkommenssituation hat zur Folge, dass sich das Konsumverhalten maßgeblich verändert, wie z.B. der rasant steigende Fleischkonsum in China zeigt.
Wer produziert und wer konsumiert?
Zentrale Fragen im Zusammenhang der Welternährung bleiben: Wer produziert und wer konsumiert was? Wer kann es sich leisten, Lebensmittel zu kaufen? Die Frage, wie diese Lebensmittel produziert werden, wird im Spannungsfeld zwischen Gentechnik und biologischem Landbau an Aktualität zunehmen.
Eine Produktivitätssteigerung muss vor allem in den Entwicklungsländern realisiert werden – besonders bei den ärmsten Bauern in trockenen oder marginalen Gebieten. Neben den verarmten Massen in den Slums und Favelas sind es gerade diese Menschen, die am meisten vom Hunger bedroht sind. Viele Lösungen werden nicht biologischer und agrarischer Natur sein, sondern müssen vor allem soziale und ökonomische Bedingungen verändern, wie z.B. Landverteilung, Zugang zu Krediten, Diskriminierung, Korruption und Unterdrückung der Frauen.
Albert Einstein, einer der größten Denker des 20. Jahrhunderts, wäre dieses Jahr 140 Jahre alt geworden. Doch seine folgende Erkenntnis ist aktuell wie nie:
„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. ”
Albert Einstein
Die energieintensive und umweltzerstörende konventionelle Landwirtschaft führt nicht zu mehr Lebensmittelsicherheit. Neben den bekannten katastrophalen Auswirkungen des Pestizideinsatzes mit vielen Todesfolgen führt diese Art von Landwirtschaft zur Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und Zerstörung der Biodiversität und damit zu einer nachhaltigen Zerstörung der Umwelt.
Gentechnik – das Schweizer Messer?
Gentechnik Unternehmen, welche in den Markt der dritten Welt drängen, argumentieren regelmäßig, dass nur ihr Agrar-Hightech, den Hunger weltweit bekämpfen könne. Naiv betrachtet scheint ja etwas daran zu sein, lässt aber vollkommen außer Acht, dass die armen Bauern das teure und patentierte Saatgut und das dafür notwendige „Chemiepaket” nicht bezahlen können. Auch können die armen Länder nicht Umweltrisikoanalysen, Tests und Kontrollen sicherstellen, die das Risiko einer Verbreitung der Gentechnologie mit sich bringt.
Darüber hinaus zeigt sich in zahlreichen Entwicklungsländern, dass wo diese Hürde mit Mikro-Krediten genommen wurde, die Bauern in die Veramung getrieben haben, da die Ernte-Versprechen der Gen-Agro-Technik Unternehmen nicht haltbar waren. In der Regel verliert der Kleinbauer sein Land an die Bank – Die Selbstmordwelle der verschuldeten Gen-Technik-Baumwollbauern in Indien hat hier traurige Berühmtheit erlangt.
Bio-Landwirtschaft & Fairer Handel?
Die biologische Landwirtschaft mit all ihren Facetten und insbesondere in Partnerschaft mit dem fairen Handel kann einen wesentlichen Beitrag zur nachhaltigen Ernährungssicherung leisten. Gerade die ökologischen und die fairen Handelsbewegungen bieten den im besten Sinne des Wortes (nämlich an die Wurzeln der Probleme gehenden) „radikalen” Ansatz, die Ernährung der Weltbevölkerung langfristig zu sichern.
Es gibt eine Vielfalt an soliden wissenschaftlichen Untersuchungen, dass biologische Landwirtschaft vor allem in marginalen und bio-klimatisch schwierigen Lagen zu einer beachtlichen Produktionssteigerung führen kann. Die wichtigsten Faktoren sind: verbesserte Fruchtfolgen, effizientere Ausnutzung der Nährstoffe, Integration von Tieren und Pflanzen, Steigerung der Diversität und Verbesserung der Wasserspeicherung im Boden.
Falsche Versprechen
Im Gegensatz dazu hat die Agro-Gentechnik bis heute zwangsläufig und immer zu einem Anstieg des Chemieeinsatzes und einer massiven künstlichen Bewässerung geführt (siehe dazu auch den internationalen Bericht der Navdanya Stiftung – https://navdanyainternational.org/publications/the-gmo-emperor-has-no-clothes). Nach 25 Jahren Gentechnik in der Pflanzenzüchtung gibt es beispielsweise immer noch nicht die viel beschworene “dürreresistente” Sorte – alte biologische Nutzpflanzen kommen mit Dürren wesentlich besser zurecht.
Stichwort Bodenfruchtbarkeit
Der wohl wichtigste Beitrag des biologischen Landbaus zur Nachhaltigkeit ist die Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit. Kompost, Gründüngung, Untersaaten, Mischkulturen und Fruchtfolgen haben hier ein weitaus größeres Leistungspotenzial als der teure Chemiedünger aus dem Plastiksack.
Neben der signifikanten Kostenreduktion bietet der biologische Landbau durch den in der Regel höheren oder besser fairen Preis einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Armut. In diesem Zusammenhang kommt der sich auch in Entwicklungsländern positiv entwickelnden regionalen und nationalen Vermarktung in der Zukunft eine große Bedeutung zu.
Das neue Bewusstsein in Zeiten der Corona
Es zeigt sich mehr und mehr, dass die Corona Pandemie und vor allem unser Umgang damit – namentlich die getroffenen Maßnahmen – große und auch sehr negative Auswirkungen hat. Dies gilt auch für die Herausforderung der Welternährung. Noch ist es nicht absehbar, aber es scheint nicht vermessen vorherzusagen, dass die Kollateralwirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie vermutlich mehr Todesopfer fordern als die Pandemie selbst. Die Auswirkungen der Pandemie und auch der Bekämpfungsmaßnahmen haben bereits fatale Auswirkungen auf die Regionen in unserer Welt in denen Hunger herrscht und das ist vor allem im globalen Süden.
Man muss sehr sensibel und vorsichtig argumentieren, aber es sollte auch nicht unterdrückt werden, dass wir im Kontext der tödlichen Realität von Covid 19 auch an „Verhältnismäßigkeit“ müssen denken. Jede/r einzelne/r Corona Virustote ist eine/r zu viel. Aber das gilt genauso für die schier unvorstellbare Zahl von Menschen, die an Hunger versterben. Allein in der Altersgruppe bis 5 Jahre sterben jährlich 3,1 Millionen Kinder. Das heißt eins alle 10 Sekunden ! Hier fehlt die extreme Konsequenz, zu der wir bei der Corona Pandemie fähig sind. Es wäre (ist) letztendlich „nur“ eine Willensfrage, ob man diesen unsäglichen Skandal beenden will. Eigentlich ist unser gesellschaftliches Verhalten ei Verbrechen, weil es „Massen“tödlich ist, wir das wissentlich geschehen lassen und vor allem weil es vermeidbar wäre.
Die vielen Toten und allem voran die vielen verhungerten Kinder sollten uns endlich genau so betroffen machen wie unsere von den Medien und der Politik stark geschürte Angst, von Covid 19 angesteckt zu werden. Dann wäre eine sinnvolle Konsequenz, sich maximal ein 10-Jahresziel zu setzen, um Hunger endgültig aus der Welt zu schaffen. Schlüssel dabei ist wie schon angedeutet die Armutsbekämpfung.
Moderne Fernfütterung?
Es gibt noch eine weitere Lektion aus der Corona Pandemie. Diese betrifft unser System der, „modernen Fernfütterung“ wie es der leider verstorbene Philosoph Ivan Illich genannt hat – Es bedurfte offensichtlich einer grassierenden Pandemie, um uns (noch) deutlicher vor Augen zu führen, wie abhängig wir auch in den Lieferketten für unsere Lebensmittel geworden sind. Auch wenn es nicht zu gravierenden Lieferengpässen von Lebensmitteln kam, wird in dieser pandemischen Zeit sehr deutlich, welch Vorteile die regionale Versorgung mit Lebensmitteln hat. So populär Regionalität bereits bei Verbraucher*innen geworden ist, kann und muss hier noch viel mehr gemacht werden, denn abgesehen von den qualitativen sind gerade auch die ökologischen Vorteile offensichtlich.
Wird „Bio“ die Welt ernähren?
Es ist weder Aufgabe der Biobewegung, noch der chemischen oder der Gentechnik-Industrie, die Welternährung zu sichern. Auch in Zukunft werden Bauern und Bäuerinnen primär diese Verantwortung haben.
Einige Entwicklungen und Trends müssen auch die Anhänger des biologischen Landbaus zu noch konsequenteren Veränderungen motivieren. Vor allem unsere Essgewohnheiten: hoher Fleischkonsum und viele veredelte Produkte, die moderne „Fernfütterung” mit langen Transportwegen und unser „Geiz ist geil” bzw. „Billig, will ich”-Reflex sind aktuelle Herausforderungen.
Die eklatanteste Form der Fernfütterung manifestiert sich obendrein auf dem Gebiet, welches eigentlich eine der Sauerstoff-Lungen der Welt, die Heimat unzähliger Arten und indigener Völker bleiben könnte – im Gebiet des brandgerodeten brasilianischen Regenwaldes. Und wozu? Um dort Soja für die Futtertröge der Rinder und Schweine Europas, während in den Favelas Unterernährung herrscht.
Eine Bild das jeder Europäer sich vor dem BBQ vor Augen halten sollte, bevor er von Gentechnik als Lösung des Problems phantasiert. So betrachtet ist Agrar-Gentechnik, eigentlich der verzweifelte Versuch den Status Quo und die durch Diabets und Fettleibigkeit geprägte westliche Diät beizubehalten.
Landwirtschaftliche Ressourcen
Mehr als 80% der landwirtschaftlichen Ressourcen weltweit wird für die Fleischproduktion eingesetzt. Aber über 80% der menschlichen Nahrungsmittel werden auf 20% der verbleibenden Agrarflächen kultiviert. Wie ungebildet kann eine Zivilisation sein, wenn sie dann von Überbevölkerung, Nahrungsmittel-Knappheit und dem drohenden Ende spricht? Oder ist es das Mantra der sterbenden Industrienationen, die den Horizont ihrer Entwicklung nicht erkannt haben?
Mehr Infos zu der Fragestellung im Artikel: Nur Wenige essen den Globus auf
Eigentlich ist die Voraussetzung für eine nachhaltige Ernährungssicherung ganz eindeutig. Wir müssen unsere Politik und unser Verbraucherverhalten so ausrichten, dass es allen Menschen auf dieser Welt möglich ist, für ihre Ernährung selbst zu sorgen. Die nachhaltige Lösungsvielfalt, die hierzu der biologische Landbau bietet, nimmt uns in die Pflicht, noch engagierter dafür zu sorgen, dass die Welt weiter biologisch und organisch wächst – bis wir ein total pestizidfreie Welt mit 100 % biologische Landwirtschaft haben.
Armut: Es gibt Grund zur Hoffnung – aber nicht überall
„Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass die Beseitigung der Armut in allen ihren Formen und Dimensionen, einschließlich der extremen Armut, die größte globale Herausforderung und eine unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung ist.“ In der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung wurde der Fokus auf die Bekämpfung der Armut gelegt. Erstes Ziel der Sustainable Development Goals, die zusammen mit der Agenda im Jahr 2015 verabschiedet wurden, lautet: „keine Armut“. Wer in absoluter beziehungsweise extremer Armut lebt, verfügt nicht über ausreichend finanzielle Mittel zur Befriedigung der täglichen Grundbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft. Die Weltbank hat zur Messung dieser Form der Armut erstmals im Jahr 1990 die sogenannte Armutsgrenzeerrechnet. Aktuell liegt dieser Indikator bei 1,90 Dollar pro Tag und Beschäftigtem. Muss ein Mensch und seine Familie mit weniger auskommen, gilt er als extrem arm.
Seit 1999 ist die Zahl der in extremer Armut lebenden Personen drastisch von 1,7 Milliarden auf 902 Millionen Menschen (Stand 2012) gesunken. 2015 waren es noch 736 Millionen Menschen. Diese Entwicklungen machen Mut, wie auch Weltbankpräsident Kim Yong Kim betont: „Wir sind die erste Generation in der Menschheitsgeschichte die tatsächlich die extreme Armut beenden kann.“ Das gilt aber in erster Linie für Ost- und Südasien. Die Situation in Gebieten südlich der Sahara hat sich in den letzten Jahren eher verschlimmert: Verursacht und verstärkt durch klimatische Veränderungen und ein nach wie vor rasant wachsendes Bevölkerungswachstum werden bis 2030 werden rund 85 Prozent aller Armen in diesen Ländern leben. Schon heute hat Nigeria Indien als Land mit dem höchsten Anteil armer Menschen abgelöst. Und auch innerhalb der Bevölkerungen gibt es besonders Benachteiligte. Für Kinder, junge Menschen und Frauen in ruralen Gebieten ist das Risiko, in extremer Armut zu leben, am höchsten.
Bernward Geier
war 18 Jahre lang Direktor des Welt-Bio-Verbands IFOAM – Organics International. Er ist seit 35 Jahren aktiv im Bereich Landwirtschafts- und Umweltpolitik unterwegs, Mitglied bei Bündnis 90 / Die Grünen und ein hervorragender Netzwerker.
Auf internationaler Bühne hat er mit UNO, FAO, UNEP, WTO und OECD zusammengearbeitet. In der Mediathek der Deutschen Welle ist die Dokumentation „Sikkim – Die Öko-Rebellen vom Himalaya“ weiterhin verfügbar: (https://www.dw.com/de/die-%C3%B6ko-rebellen-vom-himalaya/av-49661118) hat Bernward Geier Vor und Hinter der Kamera mitgewirkt. Gezeigt wird der erste 100% Bio Staat der Welt, der die Transformation zu Organic Farming geschafft hat, die Erträge gesteigert und zum erfolgreichen Modell für den Planeten geworden ist.