Was kostet der Klimawandel?
Rede von Prof. Mark Oelmann, HRW am 25.3.2022 in Mülhein zum Klimastreik der Fridays-For-Future Demonstration
Liebe Teilnehmende der heutigen Fridays-for-Future-Demonstration,
wie schön, dass Sie nach Corona wieder präsent sind. Wir brauchen Sie dringlicher denn je. Auch bedanke ich mich bei den Veranstaltern, die mich gebeten haben, heute die Key-Note zu halten. Sie wird möglicherweise auch ein Stück weit herausfordernd sein, da wir – so denke ich – im Ziel wohl absolut vereint sind, bezüglich der Erreichung dieser Ziele wir aber möglicherweise auch Diskussionsbedarf haben.
Von zwei Prämissen gehe ich aus:
- Ich glaube nicht daran, dass wir wirklich weiterkommen, wenn wir nur an die Menschen in Deutschland appellieren, klimaschonender zu leben. Für mich hat es etwas „vom Pfeifen im Wald“. Der einzelne Mensch, der sich klimaschonender verhält, mag sich gut individuell gut fühlen. Das aber reicht bei weitem nicht, wenn den Großteil der Bevölkerung all dieses nicht interessiert. Wir müssen denjenigen Anreize geben, ihr Verhalten zu ändern, die sich hinter ihrem warmen Ofen verstecken und meinen, ein Anrecht auf ihre jährlichen Ferienflüge zu haben.
- Daneben mag man mich als Gastredner für die heutige Veranstaltung auch deshalb gefragt haben, weil ich etwa für die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit in vielen Projekten im Ausland arbeite. Meine Erkenntnis ist aber eine andere – leider -, als Sie vermuten mögen: Die Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern haben solch drängende Probleme vor der Brust, dass der Klimawandel für sie ein „Non-Issue“ ist – bestenfalls. In Indien oder China erlebe ich Menschen, die für sich das Recht ableiten, nun ihrerseits an der Reihe zu sein – mit wirtschaftlicher Entwicklung, mehr Fleischkonsum, Autos etc.
Was kann, was muss vor diesem Hintergrund die Rolle Deutschlands sein?
Ich denke: Uns muss die Energiewende – und damit meine ich selbstredend nicht nur die Strom-, sondern ebenfalls die Wärme- und Verkehrswende – gelingen. Und hier bin ich gar nicht so pessimistisch! Aus den vielen Bachelor- und Masterarbeiten, von Konferenzen, Messen, aus Gesprächen mit den unterschiedlichsten Gründern sehe ich, wie vielfältig die Lösungen sind, die nur darauf warten, umgesetzt zu werden. Was deren Umsetzung in der Vergangenheit hat scheitern lassen, war eines: Zu niedrige Preise für Strom und Gas!
Lassen Sie uns vor diesem Hintergrund die aktuell gestiegenen Preise als Chance begreifen. Je höher sie steigen, umso eher rechnen sich energiesparende Investitionen, umso eher bauen sich die Menschen PV-Anlagen aufs Dach, umso mehr denken sie an Speicherlösungen, Wärmepumpen, bessere Steuerungssysteme und an Dinge, von denen wir heute noch gar keine Ahnung haben.
Was bringt der individuelle Verzicht?
Nun kommt der erste berechtigte Einwand: Wie sollen Geringverdiener diese höheren Energiekosten tragen? Ja, wir haben hier ein Verteilungsproblem. Aus meiner Sicht, ist der Gedanke der Grünen des Bürgergelds genau die richtige Antwort. Lassen Sie uns den Menschen, die Einnahmen aus höheren Energiesteuern als identische Pro-Kopf-Zuweisungen zurückgeben. Der „Übernutzer“ von Umwelt zahlt drauf, der „Wenigbelaster“ von Umwelt profitiert. Klar, der weite Strecken zur Arbeit zurücklegende Pendler ist ein „Übernutzer“; genauso wie das Rentnerehepaar, das wild durch die Welt jettet. Ich sehe nicht das Problem, dass diese auch mehr zur Kasse gebeten werden…
Der zweite Einwand wiegt da aus meiner Sicht schwerer: Wie stellen wir sicher, dass wir nicht unsere ganze Industrie aus dem Land treiben? Es stimmt, dass wir Gas als Prozesswärme nur durch Wasserstoff ersetzen können. Diese Umrüstung der Industrie kostet Geld. Formen der staatlichen Mitfinanzierung werden sich wahrscheinlich kaum vermeiden lassen. Auch ist es aus meiner Sicht gerechtfertigt, dass es die Entlastungen der stromintensiven Industrie gibt.
Deutschland muss zeigen, dass es geht
Industrie in Deutschland zu halten, ist aus zwei Gründen wichtig: Erstens, hilft es der Bekämpfung des Klimawandels nicht, wenn Industrien ihre Zelte bei uns abbrechen und mit noch geringeren Auflagen und geringeren Energiepreisen andernorts ihre Produktion wieder aufnehmen. Zweitens: Länder wie Indien oder China werden nur dann die deutsche Energiewende loben und für sich Elemente adaptieren, wenn wir uns wirtschaftlich nicht zu Grunde gerichtet haben. Andernfalls wird dies maximal ein „Achselzucken“ seitens dieser aufstrebenden Volkswirtschaften hervorrufen. Wir werden nichts, aber auch gar nichts erreicht haben – weder für Deutschland, noch für die Welt. Man wird uns mitleidig anschauen und weitermachen wie bisher.
Was ist entsprechend mein Gesamtfazit? Welche Impulse würde ich mir von Fridays-for-Future wünschen?
- Treten Sie für steigende Preise der Umweltnutzung ein. Lassen Sie es uns feiern, wenn Strom- und Gaspreise steigen.
- Hoffentlich steigen diese als Folge höherer Energiesteuern bzw. steigender CO2-Zertifikatepreise. So haben wir Mittel, um über ein Bürgergeld Energie für ärmere Bevölkerungsschichten bezahlbar zu halten und sogar Folgen der steigenden Inflation noch zusätzlich mit auszugleichen. Anders sieht dies aus, wenn wir von jetzt auf gleich auf etwa russisches Gas verzichten müssen. Angesichts der kurzfristig geringen Preiselastizität der Nachfrage (–> Preise steigen bereits bei kleinen Mengenverringerungen stark) möchte ich mir aktuell nicht vorstellen, was dann passiert. Das aber eher als kleine Randbemerkung…
- Lassen Sie uns auch in den Dissens gehen – ja, es gibt kein „Wasch mich, aber mach mich nicht nass.“ Wenn wir wollen, dass die Energiewende gelingt, ist es eben so, dass Pendeln, Heizen, Urlaubsflüge, nicht-regional produzierte Produkte teurer werden. Das ist nun einmal die Folge, wenn wir über Jahre die Umweltnutzung nicht mit ihren wahren Kosten bepreist haben!
Über steigende Preise habe ich die Hoffnung, dass sich die besten, wirklich tragfähigen Lösungen herausbilden. Und das Schöne ist: Diese haben dann auch international das Potential, Verkaufsschlager zu werden. Dann werden die Chinesen oder Inder nicht Achsel-zuckend weiterziehen, sondern werden die deutsche Energiewende als das begreifen, was sie dann wäre: Ein Erfolg.
Und noch etwas, weil ich gerade hier so viele junge Leute sehe: Wenn wir wirklich unsere CO2-Minderungsziele erreichen wollen, brauchen wir Menschen, die mit anpacken. Menschen, die PV-Anlagen montieren; Menschen, die Lust und Engagement haben, diese vielen Lösungen, die bereits in den Schubladen liegen, zur Umsetzung zu führen. Von Umweltingenieurwesen, Elektrotechnik bis hin zum von uns angebotenen Studiengang „BWL – Energie- und Wassermanagement“ – jede und jeder wird fündig werden, wenn sie oder er nur will! Sie werden Ihren Platz finden!