Verbrenneraus – die große Chance des Neuanfangs
Wenn es nicht gut läuft, kommt auch noch Pech hinzu. Es geht um VW. Und um den Niedergang der Autoindustrie. Verbrenneraus ist das Angstwort dafür.
Dabei war es doch gerade VW, der das Auto „mainstream“ gemacht hat: eben den Volkswagen. Zunächst mit dem Käfer, dann mit dem Golf und als dann alles elektrisch werden sollte, klappte das nicht mehr. Das mit dem Volkswagen. Die Skandale häuften sich; zunächst mit dem Dieselskandal 2015 und jetzt mit den öffentlich im Netz stehenden Bewegungsdaten von VW Kundinnen. Auf Bewertungsportalen lässt sich dafür eine steigende Unzufriedenheit der Kundinnen mit dem Service ex Wolfsburg ablesen.
Es sieht nicht gut aus für VW und für die Deutsche Autoindustrie insgesamt. Die Automobilindustrie macht immerhin 4,7 % der Bruttowertschöpfung Deutschlands (2016) aus. Aber der Reihe nach….
Taxi nach Shanghai
Dafür blicke ich zunächst nach Shanghai, die Stadt, in der ich selber fünf Jahre gelebt habe und in der die Schwiegerfamilie noch immer zu Hause ist.
Shanghai war für VW ein riesiger Glücksfall, denn hier konnten sie sehr früh – nämlich zu Beginn des Wirtschaftsaufschwungs in China – ihr Modell Santana absetzten. Dieses sollte einst die VW-Oberklasse werden, stieß aber in Deutschland und Europa nicht auf Gegenliebe. Die Chinesinnen jedoch fanden, genau wie ein Santana, so sollte ein Auto aussehen.
Seinen größten Erfolg, und aus heutiger Sicht auch den wichtigsten, feierte der VW Santana in China. Seit den achtziger Jahren rollt die Limousine in der Volksrepublik ohne Unterbrechung vom Band. Erst 1995 gab es ein neu entwickeltes Modell unter dem Namen Santana 2000, neun Jahre später folgte die optisch kaum geänderte Version 3000. Wer in Shanghai oder Peking in ein Taxi steigt, findet sich fast immer im Fond eines Santana wieder.
Das schrieb die Zeit 2011. Das konnte ich damals auch beobachten, doch zur Expo 2010 kam Bewegung in die Taxi-Landschaft in Shanghai, der Touran sollte den Santana ersetzten.
Als ich aber 2023 wieder in der Stadt war, war von VW keine Spur mehr: Die Taxis waren entweder Hybrid (Toyota) oder komplett elektrisch Roewe (chinesische Eigenmarke gebaut in Shanghai). Die Santana-Flotte, die es früher gab – weg.
VW hat komplett den Anschluß verpasst. Spoiler: VW ist nicht alleine.
Deutsche Automobilkonzerne haben einige Jahrzehnte fette Gewinne auf dem neuen Absatzmarkt China gemacht. Dabei aber völlig aus den Augen verloren, dass die Chinesen selber innovativ sind und eigene Autos bauen. Dabei verzichten die chinesischen Autobauer überwiegend auf das komplizierte Getriebe-Gedöns und bauen elektrisch.
Chinas Autos elektrisch auf der Überholspur
China holt auf und wandelt sich von einem Import-Markt selber zu einem Exporteur. Das Auto ist dabei vielleicht nur das sichtbarste Zeichen. Sukzessive bedienten die Chinesen ihren eigenen Markt mit e-Autos made in China und dann erst die Export-Märkte (siehe auch Abb.1). Die Deutschen Autobauer hätten also rechtzeitig gewarnt gewesen sein können, denn sie waren ja vor Ort aktiv. Die Verdrängung ihrer Fahrzeuge aus dem chinesischen Markt kam mit Ansage.
Heute drängen die Chinesen mit neuen Designs und günstigen Preisen in die etablierten Automärkte der „alten“ Welt vor. Ihre Produktionszahlen steigen stark.
Im internationalen Vergleich haben e-Autos enorm zugelegt. Natürlich haben staatliche Förderungen auch den Absatz befördert. Aber wollten wir nicht etwas gegen den Klimawandel unternehmen?
Zukunftssicher?
Schaut man sich die Zahlen der deutschen Automobilhersteller der vergangenen 10 Jahre an, so sind die rosigen Zeiten definitiv vorbei. Die Wachstumsmärkte sind nicht mehr in Europa, sondern in Übersee. Lange haben die guten Exportzahlen die lokalen Defizite verschleiert. Wenn aber ein Produkt nur über den Export wächst, ist das Geschäftsmodell ziemlich fragil, zumal wenn sich die Rahmenbedingungen (Produktionskosten, Kundenwünsche, Gesetzgebung) ändern.
Vor allem muß das Auto vom Kunden und nicht vom Ingenieur aus gedacht werden.
Jürgen Pieper, Autoanalyst in ZDF Heute vom 11.9.2024
In Shanghai ist der gesamte öffentliche Nahverkehr mittlerweile elektrisch. Bei meiner nicht repräsentativen Beobachtung im Oktober 2023 waren ca 20% der Privat-Autos auf den Straßen elektrisch. Und mit elektrisch tun sich die deutschen Autobauer schwer. Das ist nicht nur VW, das sind alle. Eine bezahlbare elektrische Variante des früheren Klassenbesten wie des Golfs, gibt es nicht. Wenn elektrische Autos angeboten werden, dann sind das bei VW die SUVs. Und sorry nicht nur bei VW, bei Ford in Köln ganz genauso.
Dabei haben namhafte Ökonominnen schon sehr früh gewarnt.
Rückwärtsgewandte Technologien? Ja, Diesel- oder Ottomotor mit fossilem Kraftstoff. Waren die Manager denn blind? Vielleicht ein wenig kurzsichtig und zu sehr auf Deutschland fixiert? Und der VW-Skandal? Das war der Dieselskandal, das Tricksen bei den Abgaswerten…
Alle Eier in einem Korb – Selbstmord durch Lobbyismus
Geradezu fahrlässig ist es von der Bundesregierung gewesen, den Autokonzernen nach dem Mund zu reden und alle glauben zu machen, dass mit dem Verbrenneraus sei nur eine dumme bürokratische Idee aus Brüssel.
Fußnote: Der Auto Lobbyismus hat in Brüssel derartige Ausmaße angenommen, dass fast mehr Lobbyisten als Abgeordnete unterwegs sind. Das bemängelte Lobby Control schon 2015 und zählte 43 Vertreterinnen von VW, 14 von Daimler und 8 von BMW. Auch die Rosa Luxemburgstiftung bemängelte den ausufernden Auto-Lobbyismus, der das Erreichen der Klimaziele erschwert.
Dazu sagt Jürgen Resch in dem DUH Jahresbericht 2024: „Kein Verkehrsminister ist in der Lage, eigenständigen Entscheidungen zu treffen. Da regieren BMW, Mercedes und VW unmittelbar durch und schützen so ihre hohen Renditen. Diese Art des Raubtier-Lobbyismus ist eine kurzfristige Gewinnmaximierung, aber langfristig führt das zum Selbstmord der Industrie.“
Genauso kurzsichtig haben aber auch die Gewerkschaften gehandelt, die meinten, mit einem „weiter-so“ (Standortsicherung, Arbeitsplätze, Lohnerhöhungen) zukunftsfähig zu sein.
Ganz schlimm finde ich, das wichtigste Wirtschaftsprodukt des Landes zu einem Finanzprodukt umzuwandeln und es somit den irrationalen Ausschlägen der internationalen Finanzmärkte auszusetzen.
Diese Autokrise made in Germany wird das Jahr 2025 (und weitere) dominieren und nicht nur die Belegschaften der Autokonzerne und Zulieferbetriebe in Mitleidenschaft ziehen, sondern die Aktionäre gleich mit.
Und – Trommelwirbel – das ist im Fall von VW das Land Niedersachsen.
Man hat also in der Autoindustrie gemacht, was ein guter Kaufmann nie tun würde: Man hat alle Eier in einen Korb gelegt.
Mit der Autokrise wackeln die Finanzen des Bundes dann auch gleich doppelt: Zum einen fehlen Einnahmen und zum anderen muß die Krise abgefedert werden. Wer also nur mit Schadensbegrenzung beschäftigt ist, wird keine Innovationen entwickeln.
Ein neuer Volkswagen? Wie es dennoch gehen könnte
Wie das mit VW und der Deutschen Autoindustrie weiter gehen wird, wird von vielen Fachleuten intensiv diskutiert. Schließlich macht sie einen relevanten Teil der Wirtschaftsleistung dieses Landes aus.
Ich wage hier mal einen mutigen Blick in die Zukunft. Stelle eine Idee vor, die Volkswagen wieder zu dem machen könnte, was es einst war. Eine Firma, die Mobilität für die Bürgerinnen bereit stellt. Und ihr seht, ich vermeide das Wort Auto.
Stellen wir noch mal den status quo fest: Die Autos fossil, ab 2035 keine Neuzulassung, die Autos elektrisch, zu teuer für die meisten. Gleichzeitig sind die meisten Neuwagen zu groß. SUVs werden in der Zukunft in Städten keine Parkplätze mehr bekommen und stärker bepreist. Vielleicht kommt auch eine City-Maut. Wer also glaubt, das käme alles nicht, hat vielleicht auch geglaubt, dass deutsche Elektroautos konkurrenzlos seien? Gut, dann haben wir uns verstanden.
Die Zukunft der Mobilität wird natürlich auch immer individuell sein: Zu Fuß gehen, Radfahren, mit einem „Fahrzeug“ unterwegs sein. Nur wird dieses Fahrzeug dann wohl nicht mehr so aussehen, wie wir es bisher kennen. Erste Prototypen gibt es schon. Die kommen unter dem Stichwort Velomobil daher. Und da verschwimmen die Grenzen von Fahrrad mit Elektromotor mit elektrischem Kleinstfahrzeug.
Und die gibt es schon, von unerschrockenen Start-up Unternehmen. Das Pod-bike aus Norwegen, den Hopper aus Hamburg oder den Schaeffler Biohybrid, der 2021 (erst mal beerdigt wurde). Und hier könnte VW ansetzen. Das Fahrzeug ist fast fertig entwickelt, es muß eigentlich nur noch auf die Straße. Und für die Kundinnen zu einem erschwinglichen Preis verfügbar sein.
Wie VW die Verkehrswende begleiten könnte!
Und hier können alle mit anpacken, sozusagen ganz Deutschland, die Autofahrerinnen, die Politik, die Kommunen. Wir haben europaweit noch 10 Jahre bis zum endgültigen Verbrenneraus, in dieser Zeit können wir die Verkehrsräume sukzessive neu gestalten und aufteilen. Es müssen bis dahin Zehntausende von City-Parkplätzen umgewandelt werden (zB in Grünfächen, Parkmöglichkeiten für Fahrräder); Das Parken von Fahrzeugen im öffentlichen Raum wird nach Gewicht und Platzbedarf gestaffelt werden (SUVs sind davon stärker betroffen als Kleinfahrzeuge). Gleichzeitig muß es viel mehr sichere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder und Velomobile geben. Und last not least wird das Tempo in den Städten auf 30 km/h reduziert werden, denn die Sicherheit der Verkehrsteilnehmerinnen ohne Knautschzone ist absolut wichtig.
Jetzt braucht es nur noch alternative Fahrzeuge! Wieso muß man Werke still legen? Kann man sie nicht auch anderes produzieren lassen? Während der Cornakrise hat Ford Medizingeräte hergestellt! Und der Automobilzulieferer EBM baut jetzt Ventilatoren für Wärmepumpen statt für Autos. Mit Kreativität und Erfindungsgeist lassen sich sicherlich viele Arbeitsplätze erhalten. Das ist der Auftrag schwerpunktmäßig an die Gewerkschaften.
Und wir sollten uns dabei klar machen, dass wir das nicht für die Autokonzerne machen, sondern für uns; um unserer Politik vor dem finanziellen Kollaps zu bewahren, für unsere Demokratie und letztendlich für uns alle. Die Unternehmensberatungen haben übrigens schon lange erkannt, dass das zukünftige Wachstum im Bereich der nachhaltigen Lösungen liegt.
Also VW worauf noch warten? Macht mobil! Und bringt Velomobile auf die Straße!
Bildnachweis:
Titelbild zusammengesetz aus dem VW-Logo (wikipedia) und dem Hintergrund von elements.envato.com mt freundlicher Unterstützung von Lilies n’ birds.