Veganer retten Fleischindustrie
Foto: bei Unsplash von LikeMeat
Beitrag von Gastautor:
Gregor Nottebom (Veganer und Philosoph aus Bochum)
Es ist vielleicht schon eine Ironie der Geschichte, dass gerade vegane Produkte die Arbeitsplätze der Fleischindustrie sichern werden, aber der Trend ist eindeutig.
Laut Angaben des Verbandes deutscher Fleischwirtschaft sind über 60% der Angestellten in der Branche über 50 – Nachwuchs ist nicht in Sicht. Laut einer Liste im Spiegel aus 2018 rangiert der Beruf des Metzgers auf Platz 2. der unbeliebtesten Ausbildungsberufe. Die Fleischindustrie ist dabei sich neu zu erfinden, denn wie schon Christian Rauffus (Rügenwalder) 2014 ausführte: „Wurst wird die Zigarette der Zukunft“.
Und so boomen die neuen Veggie-Sparten in jeder Wurstfabrik, der Erfolg überrascht im wahrsten Sinne des Wortes auch „eingefleischte“ Metzger. Denn im Gegensatz zu rückläufigen Zahlen im Fleischmarkt, expandiert der Markt der Pflanzlichen Fleischprodukte jedes Jahr im zweistelligen Bereich.
Vegetarische Produkte sind kein Nischenmarkt
1/3 der unter 30-Jährigen essen wenig bis kein Fleisch; Tendenz steigend. Die Lebensmittelindustrie hat es verstanden: weniger CO2, weniger Tierleid aber vor allem konstante Wachstumsraten und hohe Gewinnmargen.
Die Corona Ausbrüche besonders in Schlachthöfen von Tönnies und Westfleisch haben in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die Fragwürdigkeit der industriellen Tiernutzung geschaffen. So wurde die Pandemie für viele zum Anlass, die Ernährungsgewohnheiten zu überdenken und zu ändern. Während der Coronapandemie stiegen die Umsätze vegetarischer Produkte um 40 % die veganer Produkte sogar um 59 %. (1)
Der Handel passt sich an
Aldi Nord, Aldi Süd, Lidl und Penny erweitern ihr Vegan-Sortiment, Die Drogerie DM konzipiert vegane Neuprodukte, Magnum, Wagner, Iglo, Frosta und Knorr erweitern Ihr Sortiment pflanzlicher Gerichte, Ikea, McDonald’s und Subway bieten vegane Menüs an. (2)
Zunehmend reagieren auch Großmolkereien wie Danone, Bauer, Ehrmann und Müller mit veganen Alternativen. (3)
Der Markt für vegane Produkte hat aktuell einen Wert von 50-Milliarden US Dollar. Davon entfallen 20 Milliarden aktuell alleine auf vegane Fleischalternativen.
Der Bestseller mit den größten Wachstumsmarken ist also veganes ‘Fleisch’. So soll das weltweite Volumen 2025 bei 120-Milliarden und 2030 bei 240-Milliarden US-Dollar liegen.(4)
8 Jahre nachdem Rügenwalder 2014 mit vegetarischen Produktpaletten startete bietet das Unternehmen inzwischen mehr vegetarische oder vegane Wurst- bzw. Fleischprodukte als konventionelles Tierfleisch an. (5)
Von 2015 bis 2019 zeigte sich deutschlandweit durchschnittlich eine jährliche Umsatzsteigerung der Veggieprodukte von 8 % Im 1. Quartal 2020 erhöhte sich die Menge von bestimmten Fleischersatzprodukten von knapp 14.700 t auf gut 20.000 t um 37 % gegenüber dem Vorjahresquartal.
Bedrohung für die Industrie – Die Startups aus der Veggie-Szene
Aber auch der internationale Markt rüstet vegan auf – So müssen sich schon einige hiesige Produzenten der Fleischindustrie ordentlich Sorgen machen, ob sie nicht von der Welle überrollt werden. Die PHW-Gruppe (bekannt aus der Geflügelmarke Wiesenhof) ist schon seit Jahren in Partnerschaft mit der international agierenden Livekindly Company, die sich neuen pflanzenbasierten Konzepten in der globalen Ernährung als Lösung für die Zukunft verschrieben hat.
Der folgende Spot zeigt Till Lindemann – vormals bekannt aus abstoßenden martialischen Bühnenauftritten, die so gar nicht Veggie-tauglich waren mit einer sonderbar geläuterten Einstellung. Der ganze Spot in der langatmigen Version von Andy Wahrhol’s “Eating a Burger” – Wir steppen gleich in den spannenden Teil ein – So don’t worry. Auch wenn PETA und andere protestieren. Aber was soll’s, wenn es hilft und wirkt? – Hier Lindemanns Therapie:
Ich sag jetzt “WHAT THE FUCK” – Gut ist was dem Planeten und uns hilft, also von mir aus mit Lindemann!
Also wie geht es weiter – ein bisschen Piano – ein bisschen Transformation? Ich glaube nicht. Die Fleischindustrie, wie sie heute noch existiert wird noch viele Change-Prozesse vor sich haben, bevor sie endlich angekommen ist. Klar das kostet Arbeitsplätze, Emotionen und ganz viel Tradition. Aber Hey – Traditionen sind kein Selbstzweck. An alle 50-jährigen Metzgermeister: Jetzt ist mal euer Arbeitsplatz dran – Oder ihr macht Veggie-Burger – Eure Kollegen machen das ja schon lange.
Und jetzt noch Tönnies – Geht’s noch?
Wen wundert es, dass nun auch die Tönnies-Gruppe etwas vom Kuchen abhaben will: Mit den Marken „es schmeckt“, „Vevia“ und „Gutfried veggie“ rüstet Tönnies in einem Produktionswerk in Böklund auf: „Wir haben im vergangenen Jahr an unserem Stammsitz in Böklund ein eigenes Werk für vegetarische und vegane Produkte errichtet“, berichtet Maximilian Tönnies. „Diese Kapazität bauen wir nun weiter aus und verdoppeln die Produktionsfläche, da die Verbrauchernachfrage und das Vertrauen in die Produkte nachhaltig wachsen.“ (6)
Schlussbemerkung
In Zeiten der Ernährungswende sind Tierprodukte bald am Ende. Höchste Zeit, dass auch unsere Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik dieser Erkenntnis Rechnung trägt.
Nachtrag der Redaktion
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung (März-2021) dieses Beitrages verunsichert die Branche ein weiterer Schock: Tönnies soll verkauft werden –Sohn Maximilian hatte bereits mit dem massiven Ausbau der Veggie-Sparte am Fundament gekratzt – sollte jetzt bald die Zerschlagung drohen? Dem verhärmten Gesichtsausdruck auf dem Pressefoto des Konzernchefs Clemens ist zu entnehmen, dass er nicht müde ist weiter zu machen – bleibt abzuwarten, wie lange die Kunden dazu bereit sind.
Mehr Infos zum Autor:
Gregor Nottebom
Veganer, Philosoph und Tierrechtler.
Facebook:
https://www.facebook.com/sinnsuchen
Links / Referenzen
(1) https://veggieworld.eco/zahlen-fakten-vegan-trend…
(2) https://rp-online.de/…/veganuary-2021-500000-menschen…)
(3) https://www.vegane-produkte.net/vegane-mueller-milch-und…/
(4) https://www.brokerdeal.de/vegane-aktien-deutschland/
ute steinert
30/03/2021 @ 04:19
Danke, besser kann man dieses komplexe Thema nicht zusammenfassen. Ich fühle mich hier sehr gut und sachlich informiert, bitte weiter so!