Thomas Metzinger: bewusst seins kultur – Buchbesprechung
Über Meditation und Bewusstsein las ich zuerst ich in meiner Wochenzeitung in einem Interview mit ihm, dann in meinem Yoga Magazin. Dann fragte ich mich: Wie können zwei so unterschiedliche Formate derartig an diesem Menschen interessiert sein? Und an dem was er sagt? Das Buch bewusst seins kultur wird zudem damit beworben, dass er Autor des Bestsellers „Der Ego-Tunnel“ ist. Doch der Klappentext verrät mehr: “Wir brauchen ein neues Leitbild für die planetare Krise. Das alte, durch Gier, Neid und Dominanzstreben angetiebene Modell führt uns in eine globale Katastrophe.”
Wer also ist Thomas Metzinger?
Ich mach’s kurz, denn wer ihn googelt, findet ganz viel. Er ist Philosoph, Boomer und meditiert.
Er forschte zu Geistes- und Kognitionswissenschaft, sowie angewandter Ethik und gilt als einer der wichtigsten deutschen Gegenwartsphilosophen. Ganz ehrlich, ich kenne mich da nicht aus. Aus Neugier habe ich vergangenes Jahr an der VHS einen Philosophie-Kurs besucht. Da wurde mir das Denken bestimmter Philosophen erklärt. Aber, wenn mir jemand erklären muss, was der Philosoph sagen wollte…. Meine Erwartungen an das Buch also waren gedämpft. Doch dann das…..
Jede Aussage eine Schlagzeile
„Wir müssen uns ehrlich machen.“ Damit fängt er sein Buch an und legt damit schnell nahe, dass wir uns bisher selber in die Tasche gelogen haben. „Gier, Neid, Dominanzstreben und die Motivation durch Selbsttäuschung waren in der Welt unserer Vorfahren erfolgreiche Überlebensstrategien.“ Sagt er nur wenig später. Sofort kommt er zu dem Punkt: „Optimismus ist keine Option“, denn wir befinden uns in einer planetaren Krise. Auch Zweckoptimismus ist nicht hilfreich, weil „er schafft das, was ich manchmal die durchaus angenehme, weil leicht selbstgefällige ‚Illusion der Selbstwirksamkeit‘ nenne.“ Sind wir also am Arsch? Alle Freude vorbei. Der menschliche Tiefpunkt erreicht? Können wir echt nichts mehr machen?
Schadensbegrenzung und Katastrophenmanagement
Es ist eine Illusion, das 1,5°-Ziel noch zu schaffen. Auch ein 2°-Ziel, unerreichbar. Metzinger spricht mir aus der Seele, wenn er die Trägheit des physikalischen Systems Erde benennt und von Jahrhunderten spricht, in denen wir bzw unsere Nachfahren in der Krise leben werden. Selbst, wenn es so irre Überlegungen eines begrenzten Atomkrieges gibt, der einen nuklearen Winter erzeugen könnte. Es gibt keine schnell wirksamen Maßnahmen mehr. Das heißt aber auch, eine Weiter-so ist nicht möglich, auch wenn Ölkonzerne immer neue Quellen fossiler Energieträger ausbeuten wollen. Viele hängen einer Art Realitätsverweigerung an, einer Illusion, mit der die eigene Untätigkeit gerechtfertigt wird.
Doch die planetare Krise schickt ihr Ausläufer voraus: Demokratien wackeln, Populismus bekommt Zulauf, die Migrationsströme verstärken sich, es gibt Kriege. Und es wird noch mehr kommen. Unsere und alle zukünftigen Generationen werden sich mit diesen Themen herumschlagen müssen. Und gleichzeitig mit den vielfältigen Veränderungen der Umwelt umgehen müssen. Dafür brauchen wir mentale und politische Resilienz.
Scheitern ist eine (realistische) Option
Als Verursacher unserer Planetaren Krise sieht Metzinger die organisierte Religion und das ökonomische Wachstumsmodell. In ihnen findet er die fehlende Selbstachtung und die Achtung anderer fühlender Wesen. Deswegen braucht es neue gesellschaftliche Leitideen, die die Würde aller Wesen bewahren. Ein aufrichtiges Streben nach intellektueller und letztendlich auch moralischer Integrität. Dafür blickt er nach Asien, wo in der Meditation die Lauterkeit der Absicht, die Reinheit reflexiver Achtsamkeit ein weit praktiziertes Verfahren ist. Sie ist nicht abstrakt, sondern physisch erlebbar. Das konnte er sogar in einer Studie nachweisen, diese selbsterkennende Wachheit. Wir brauchen sie, um Glaubenssätze von der Realität zu unterscheiden und uns auf den Weg zu machen, ehrlich mit uns, anderen und der Welt umzugehen. Baby, let‘s face it!
Diese Bewußtseins-Erlangung ist das Prinzip der Selbstachtung, in dem man seine Würde und geistige Autonomie behält. Auch wenn’s schief geht.
Das Bewahren der geistigen Gesundheit
Metzinger schlägt die Ausbildung einer Bewußtseinskultur vor, mit der geistiges Wachstum möglich ist, damit das kapitalistische Wachstumsmodell hinter uns gelassen werden kann. Mir fällt dabei als erstes das „gross Happyness Index“ des Landes Bhutan ein.
Doch es geht um mehr: Autarkie, Realismus, neue Lösungen angesichts der planetaren Krise, Achtung anderer fühlender Wesen, Achtsamkeit, Selbstermächtigung. Vor allem geht es aber um eines nicht: Glauben. Metzinger trennt wie ein Chirurg Religiosität von Spiritualität, Machstrukturen mit ihrer inhärenten Unterdrückung von ehrlicher Wissenschaft. Diese Dinge fallen aber nicht einfach vom Himmel, sie müssen von uns erkannt werden. Als Schlüssel dazu sieht er die Schaffung neuer Bewußtseinsräume und diskutiert dazu die Einnahme von halluzinogenen Drogen genauso wie die Erfolge der KI und Neurothechnologie zusätzlich zu der altbekannten Tradition der Meditation. Handlungsleitend muss aber immer eine ethische Grundhaltung sein.
Absolute Leseempfehlung!
Dieses Buch zieht meine Aufmerksamkeit wie in einen Sog in sich hinein. Innerhalb weniger Stunden habe ich viele Aussagen unterstrichen, Absätze markiert und vor- und zurück geblättert. Ich lasse mir Aussagen auf der inneren Zunge zergehen und verstehe! Es ist ja nicht so, dass ich in meiner Yoga Praxis nicht versucht hätte zu meditieren, nein! Nur haben sich bisher keine “Erleuchtungen” eingestellt, noch hat die Auflösung meines Ichs statt gefunden. Aber es ist die Verlängerung der Pause zwischen den Gedanken, vielleicht ein sensationsloses Staunen, möglicherwiese erst mal gar nichts davon. Erst mal kleine Schritte machen.
Doch ich bin mir sicher: Mit diesem Buch und der Meditation halte ich die besten Waffen im Kampf gegen den Klimawandel in den Händen. In Würde, Selbstachtung und liebevoller Zuwendung an alle fühlenden Wesen.
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