Energiegenossenschaft – Klimaschutz in Bürgerhand
Tadaaaa! Die Wende zum Klimaschutz hat auch die Stadt Kaarst vor den Toren Düsseldorfs erreicht. Endlich. Die Stadt mit dem einsilbigen Namen ist aufgewacht. Zum Infoabend der neu gegründeten SonneWindWende Bürger-Energie-Genossenschaft Kaarst-Korschenbroich versammelten sich an diesem 14. Juni – noch vor Anpfiff des EM-Spiels Deutschland-Schottland – über 150 aufgeweckte BürgerInnen in der Rathausgalerie. Sie waren größtenteils mit dem Radl da. Die GenossenschaftlerInnen warben dafür, gemeinsam die Zukunft der lokalen Energielandschaft anzupacken und dabei mehrfach zu profitieren. Nicht nur in puncto Klimaschutz. Gastrednerin Bärbel Höhn, ehemalige NRW-Umweltministerin, Klimakrisenkämpferin und Autorin brachte dazu noch Aufbruchstimmung und Enthusiasmus ins Spiel: „Lasst uns was bewegen“.
Täglich grüßt die Multi-Krise
Wer weiß schon, wo beginnen, wo aufhören? Die Klimakrise lässt sich nicht mehr verleugnen: Starkregen, Überschwemmungen, Erdrutsche, Flüsschen, die sich in reißende Wildwasserbahnen entwickeln. Bei der EM 2024 hat sie sich internationale Medien-Aufmerksamkeit durch vorübergehende Spielabbrüche verschafft. Den Sommerferien schauen viele mit gemischten Gefühlen zwischen Vorfreude und Sorge um unerwünschte Naturereignisse am Urlaubsort entgegen. Wir fangen an zu kapieren, dass die vielfältigen Krisen wie Kriege, Flucht, Hunger, Rechtsruck miteinander zusammenhängen. Ignorieren und Wegducken bewirken nichts.
Was ist zu tun? Wer soll’s richten oder machen?
Wie viele engagierte Menschen braucht es, um eine Bewegung in Gang zu setzen? Transformation zu einer klimaneutralen Welt anzustoßen? Die gute Nachricht: Schon eine kleine motivierte Gruppe kann zu Kipppunkten zum Handeln führen. Wer mehr darüber wissen möchte, sollte in die Studie „Social tipping dynamics for stabilizing Earth’s climate by 2050“ schauen. Sie erschien im Januar 2020 in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Der Blick ins Kaarster Auditorium zeigt: Solidarität und Handlungsbereitschaft sind groß.
Klima-Engagement – auch kleine Kommunen können viel bewirken
Seit den Demos von FFF, haben die Kaarster:innen erkannt, dass mensch gemeinsam stärker und handlungsfähiger ist. Und dass Engagement sogar in gleichgesinnter Runde effizienter ist, Spaß macht und sie Selbstwirksamkeit fördert. Es brauchte Personen mit Energie, welche den Funken zur Bürgerinitiative entfachten. Die formierten sich zunächst aus der Energiegruppe „Kaarster for Future“ und dem „Klimaforum Korschenbroich“. Daraus bildete sich 2023/24 die „SonneWindWende Bürger-Energie-Genossenschaft Kaarst-Korschenbroich“. Wow. Vierzig Gründungsmitglieder fanden sich zusammen. Sie zeichneten mit 20 Tausend Euro Startkapital und drückten damit den Startknopf für eine neue lokale Bürgerbewegung.
Mindestens ein engagierter Kopf – schon kann’s losgehen
Vorneweg Heinrich Hannen, der leidenschaftliche Biolandwirt vom Lammerzhof, welcher bis in die Landeshauptstadt Düsseldorf bekannt ist. Mit Hannens Begeisterung und seinem Kampfeswillen überzeugte er Mitmacher:innen. Anfang Juni 2024 warben sie in Korschenbroich und Kaarst luden in zwei großen Auftaktveranstaltungen die Bürger:innen mit Infos und Perspektiven zum genossenschaftliches Miteinander ein. Mit großem Erfolg und Zuspruch. Nun soll – passend zum Genossenschaftsnamen – kurzfristig mit Sonnenenergie gestartet werden. Wind soll mittelfristig hinzukommen und am Ende sogar Biogas.
Ex-NRW-Umweltministerin setzt auf Energie der Bürger:innen
Bärbel Höhn, ehemalige NRW-Umweltministerin, mit 71 unverändert kämpferisch, unterstützt und lebt selbst bürgerschaftliche Energiegenossenschaft. Sie setzt sich für Umweltprojekte hierzulande sowie in Afrika ein. Sie war die richtige Rednerin am richtigen Ort. Besorgt um die Umwelt und doch optimistisch. Sie sagt: “Ran an die Umsetzung – Blockaden können wir uns nicht mehr leisten.” Mit Blick auf das Publikum, das sich (noch) mehrheitlich aus Boomer:innen zusammensetzte, forderte sie: „Lasst uns was bewegen!“
Power to the People – wir sind Souverän:in
Die studierte Mathematikerin führte uns an einem 4.50 m langen Band über 4,5 Milliarden Erdgeschichte vor Augen. Als letzter auf dem Planeten erschienen, haben wir Menschen es in kürzester Zeit – vor allem seit den 1950er Jahren mit Einsetzen der Nachkriegsphase der Hoch-Industrialisierung – in einem Bruchteil von nicht mal einem Zentimeter (!) geschafft, unsere Erde eigenhändig zum Kippen zu bringen. Dabei auch die Artenvielfalt minimiert. Wir müssen jetzt besinnen, den weltweiten CO₂-Ausstoß zu minimieren, unsere Industrien wie unsere Mindsets in schnellster menschenmöglicher Zeit umzustellen. Die Uhr tickt. Die Boomer-Generation, die durch ihren allmählichen Rückzug aus der Arbeitswelt Zeit gewinne, könne diese für Umwelt und Klima einbringen.
an diesem großen, wichtigen Ziel kann die Generationen
zusammenbringen und stark machen. Sich persönlich zu engagieren,
um unsere Lebensgrundlage zu bewahren, kann auch das eigene
Leben mit Energie und Sinn erfüllen. Zudem verspüren viele ältere
Menschen eine Verantwortung gegenüber den jüngeren Generationen”.
Bärbel Höhn, Klappentext zu ihrem Buch “Lasst uns was bewegen!
Was wir jetzt für die Zukunft unserer Enkel tun können”;
München 2023
ISBN 978-3-453-28164-6.
Bürger-Energie für Klimaschutz
Was die SonneWindWenderInnen im Anschluss an Höhns Appell vortrugen, wurde vom Publikum zunächst mit Interesse, dann mit Beifall und zum Schluss mit rund 100 Genossenschaftsanträgen spontan besiegelt. Die Stimmung war positiv und Energie-geladen. Als BürgerIn sowohl MiteigentümerIn und Genossin/Genosse in einem klimafreundlichen Projekt von Anfang an dabei zu sein – das klingt nach aktivem Aufbruch und Zukunft für die lokale Energiewende! Das schafft prima Klima für eine sauberere Umwelt, für die Stärkung einer klimafreundlichen Wirtschaft und nicht zuletzt fürs Wir-Gefühl. Die Wertschöpfung bleibt dabei in Region – hier im Rhein-Kreis Neuss. Auf der interaktiven Karte des Bündnis Bürgerenergie e.V. – BBEn, auf der alle Bürger-Energie-Genossenschaften – lokal, regional bis global – im Netz gelistet sind, sind in ganz Deutschland erfreulich viele Punkte zu sehen. Bärbel Höhn: „Kämpfen wir. Für unsere Kinder und Enkel. Für die Zukunft, für uns. Füllen wir unser eigenes Leben mit Energie und Sinn.“
EIN SEITEN-EINWURF
Eine Bürger-Energiegenossenschaft wie die in Kaarst ist immer auch ein Beispiel für kommunales Nichthandeln.
Wir nennen hier einige Beispiele, die wir als typische Hindernisse bei ähnlichen Projekten gesehen haben. Denn wir Bürger:innen sollten sie zur Kenntnis nehmen. Aber uns bloß nicht von unserem Engagement abbringen lassen:
1. Wenn Kommunen nicht bereit sind, Flächen kommunaler Gebäude mit Photovoltaik zu bestücken. So wird gemeinschaftliches Handeln für den Klimaschutz wird wieder einmal an den Einzelnen abgegeben.
2. Eine Energiegenossenschaft steht in Konkurrenz zu den lokalen oder regionalen Energieversorgern. Dort kommt es auf die jeweilige Unternehmenspolitik an, ob die Stromerzeugung durch Photovoltaik und Windenergieanlagen wirklich oder nur behauptet gefördert wird.
Oder wird sie gar in Konkurrenz zu eigener Produktion und Vertrieb gesehen?
3. Kommunen sind an den Stadtwerken oder Energieunternehmens-Kooperationen maßgeblich beteiligt. Sie erhalten vom Unternehmensgewinn Zahlungen für ihren kommunalen Haushalt. Eine Genossenschaft kann so als Konkurrent verstanden werden, der den Unternehmensgewinn schmälert. Und damit womöglich das Haushaltsdefizit vergrößert oder den finanziellen Spielraum der Kommune schmälert.
4. Vor diesem Hintergrund muss man die jeweilige Mehrheit in den Räten der Städte und Gemeinden verstehen. Notfalls muss man gegen die Mehrheit in Räten, Rathäusern und Stadtwerken in eigene private Projekte setzen. Gewerbegebiete bieten dabei viele Möglichkeiten für Photovoltaik.
5. Trotz allem gilt: eine Genossenschaft belässt die Wertschöpfung vor Ort. Das ist allemal besser als ein auswärtiger Windkraftpark-Betreiber, der lediglich eine Pacht an den Grundstückseigentümer der Windenergieanlagen zahlt und bestenfalls freiwillig einen Teil der Erlöse als eine Art Feigenblatt an die gemeinnützigen Vereine vor Ort weiterleitet.
6. KURZ: Kommunikation ist alles. Macht Euch schlau. Tauscht Euch aus und vernetzt Euch mit erfolgreichen Genossenschaften. Schwarm-Intelligenz und Tipps bringen uns unseren Zielen näher.
LASST UNS WAS BEWEGEN – DIE UHR TICKT