Der Fall Assange
Sieben Jahre in der Botschaft Ecuadors in London, danach fast fünf Jahre in Einzelhaft im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Der Journalist und WikiLeaks-Gründer Julian Assange wehrt sich gegen die Auslieferung in die USA, wo ihm eine Haft von 175 Jahren drohen. Wurstend schließt sich den Forderungen an, Assange freizulassen und die Anklage fallen zu lassen. Eine Verurteilung wäre ein weltweiter Schlag gegen investigativen Journalismus. Seine Haft im Hochsicherheitsgefängnis ist nicht angemessen und widerspricht allen europäischen Standards. Die US-Anklagen gegen Julian Assange wegen Spionage und Verschwörung bedrohen seine persönliche Integrität – und die Pressefreiheit. In London wird der High Court am 20. und 21. Februar nach einer Anhörung über die Auslieferung von Assange in die USA entscheiden. Wird soll hier ein Exempel statuiert wie in dem Fall Alexej Nawalny?
Für Assange geht es jetzt um alles
Der Fall Assange beleuchtet wie kein anderer, wie gefährlich investigativer Journalismus ist. Er zeigt , dass die Pressefreiheit zunehmend ein Spielball geopolitischen Gutdünkens geworden ist. Damit sollen Journalismus, Transparenz und die sogenannte Vierte Gewalt in ihre “Schranken” gewiesen werden. Auch in freiheitlichen Ländern, die sich ihre demokratischen Rechte auf ihre Fahnen schreiben, steht die Pressefreiheit auf dem Prüfstand. Das betrifft die USA, Großbritannien, Organisationen wie den CIA und viele weitere Länder. Reporter ohne Grenzen beobachten mit Sorge die zunehmende Einschränkung der Presserechte durch Krisen und Kriege. Auch Deutschland hat sich um drei Rangplätze verschlechtert. In anderen Staaten sind ähnliche Tendenzen zu beobachten. <Siehe: Rangliste der Pressefreiheit 2022 >. Es geht also um viel mehr als die Freiheit von Julian Assange. Es geht um das Recht aller Journalist:innen, transparent zu berichten und ein Korrektiv der Regierungen zu sein. Und es geht um die Grundfesten der Demokratie: Nämlich, dass unsere gewählten Vertreterinnen zum Wohle ihrer WählerInnen handeln und letztendlich zum Wohle aller.
Auslieferung in die USA?
Am 20. und 21. Februar 2024 wird erneut über die Auslieferung Assanges in die USA verhandelt . Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty fordern die USA auf, die Anklage fallen zu lassen. Die US-Anklagen gegen Julian Assange wegen Spionage und Verschwörung bedrohen seine persönliche Integrität – und die Pressefreiheit insgesamt. Sieben Jahre verlebte er in der Botschaft Ecuadors in London, dann wurde er in Einzelhaft ins britischen Gefängnis Belmarsh überstellt. Der Journalist und WikiLeaks-Gründer Julian Assange wehrt sich gegen die Auslieferung in die USA, wo ihm eine Haft von 175 Jahren drohen. Martin Sonneborn, bekannt als Satiriker, aber auch Politiker von Die Partei sowie Europaabgeordneter in Brüssel, und Claudia Latour, politische Beraterin und Autorin, verfolgten die Verhandlungen im Jahr 2021 am Royal Court of Justice in London. Dazu veröffentlichten sie eine Drucksache, in der sie die Ungeheuerlichkeiten des Falls an sich und die Intransparenz und Farce der Verhandlungen im Besonderen beschrieben. Diese und andere Dokumentationen unterstreichen die Forderung nach einer Freilassung von Assange.
Gegen die drohende Auslieferung aus Großbritannien will Assange Rechtsmittel einlegen. Es soll entschieden werden, ob Assange noch den Supreme Court anrufen kann, um seine Auslieferung anzufechten, oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Seine lange Einzelhaft in einer sechs Quadratmeter kleinen Zelle unter menschenrechtswidrigen Bedingungen hat Assange zermürbt. Sein Umfeld spricht von Depressionen und Suizidgefahr. 2021 berichteten einige Medien auch von einem leichten Schlaganfall im Dezember.
Die Geschichte von WikiLeaks
Im Jahr 2006 gründete der junge Assange zusammen mit dem eine Generation älteren amerikanischen Meinungsfreiheits-Aktivisten John Young die Enthüllungsplattform WikiLeaks. Dort sollen Dokumente, die als geheim und vertraulich klassifiziert sind, veröffentlicht werden. Weltweit sorgte ein geheimes US-Militärvideo für Empörung, das Wikileaks am 5. April 2010 hochlud. Es zeigt, wie aus einem Hubschrauber im Irak im Vorort Neu-Bagdad über ein Dutzend Zivilisten erschossen werden, darunter zwei Reuters-Journalisten. WikiLeaks überschreibt das Video mit „kollateraler Mord“.
Die US-Administration wirft Assange vor, zwischen 2007 und 2018 rund 65 geheime militärische und diplomatische Dokumente veröffentlicht zu haben. Als Quelle für das Helicopter-Video wurde als Whistleblowerin Chelsea Manning (damals noch Bradley Manning), Militär-Analyst der US-Army, ermittelt. Manning wurde wegen Spionage im Jahr 2013 zu 35 Jahren Haft verurteilt und vom damaligen Präsidenten Barack Obama 2017 begnadigt. Warum Assange eine viel längere Haftstrafe droht, bleibt unverständlich. Sie scheint vor allem der Abschreckung zu dienen, geheime Informationen publik zu machen. Damit ist die Strafe nicht nur eine persönliche Bedrohung für Assange, sondern weltweit eine Gefahr für den investigativen Journalismus.
Die Etappen einer Verfolgung
Schauen wir uns den Werdegang von Julian Assange näher an: Die frühen Porträts zeigen uns einen entschlossenen jungen Mann, dem die Pressefreiheit über alles geht. Er will auch brisante Informationen, die das öffentliche Interesse erregten: 2010 veröffentlichte er hoch vertrauliche Dokumente zu den US-Einsätzen im Irak und in Afghanistan. Darunter waren Aufnahmen von Luftangriffen zu sehen auf Zivilist:innen und damit von Kriegsverbrechen. Als Konsequenz entwickelte sich eine Hexenjagd auf Assange. Erschwerend hinzu kam, dass ihn zwei Frauen der Vergewaltigung bezichtigten. Trotz seines Kooperationswillens auszusagen wurde ihm nicht versichert, nur als Zeuge geladen zu werden. Mit den Videos auf WikiLeaks war Assange als Vertreter der Presse- und Meinungsfreiheit jenen Schritt zu weit gegangen, der seine “Veröffentlichungen” als Enthüllungen in den Bereich der “Spionage” beförderten. <Siehe hierzu auch: Bericht auf der Plattform Treffpunkt Europa>.
Um einer drohenden Strafe in den USA zu entgehen, hat sich Assange in London 2012 in die Botschaft Ecuadors geflüchtet. Dort lebte er bis 2019, bis eine neue Regierung des lateinamerikanischen Landes ihm den Schutz entzog. Assange wurde dann im April 2019 von der Londoner Polizei verhaftet und im Mai zu 50 Wochen Haft wegen Verstoßes gegen die Kautionsbestimmungen verurteilt. Daraus wurden mehr als fünf Jahre Abschiebehaft. Im Januar 2020 forderte die Versammlung des Europarates die sofortige Freilassung Assanges. Die Zeitungen The Guardian, Le Monde und The New York Times setzten sich im November 2020 dafür ein, seine Strafverfolgung einzustellen. Im Bundestags-Wahlkampf im September 2021 forderte die damalige grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock die sofortige Freilassung Assanges. Als Außenministerin im Amt hört man nichts mehr davon. Jetzt Anfang Februar 2024 hat Alice Jill Edwards, UN-Berichterstatterin für Folter, an die britische Regierung appelliert, die Auslieferung auszusetzen.
Gesteuerte Enthüllungen über Assange?
Assange war schon in jungen Jahren ins Visier der Behörden geraten: Bereits 1992 wurde er in in seinem Heimatland Australien wegen 24 Fällen von illegalen Hackens schuldig gesprochen. Die Bewährungsstrafe sah eine Geldstrafe von 2100 australischen Dollar (rund 1300 Euro) vor. Berichtet wird auch von einem 18-jährigen Praktikanten bei WikiLeaks, der Assange für das FBI ausspioniert haben soll. Seinen engen deutschen Mitarbeiter Daniel Domscheit-Berg , der von 2009 – 2011 für Wikileaks arbeitete, hat Assange nach Meinungsverschiedenheiten entlassen. Domscheit-Berg schrieb 2011 in seinem Buch „Inside WikiLeaks: “Meine Zeit bei der gefährlichsten Webseite der Welt.“ Darin schildert er Assange als autoritär sowie WikiLeaks hierarchisch und intransparent organisiert. Unklar sei, um welche politischen Ziele es gegangen sei, wichtiger erscheine die weltweite Aufmerksamkeit. Buch von Domscheit-Berg wurde im Jahr 2013 von Steven Spielbergs Studio DreamWorks verfilmt und schildert Assange als abgründige Person. In dem amerikanischen Film von Bill Condon spielt Daniel Brühl den Deutschen Domscheit-Berg.
Warum wir die Befreiung Assanges unterstützen
Der Fall von Julian Assange gleicht einem raffiniertem Plot für eines noch zu drehenden Spionagethrillers. Wie es Martin Sonneborn in seiner Drucksache zusammen mit Claudia Latour in seiner bewährt satirischen Art “vorgeschlagen” hat. In Thrillern gewinnt zuguterletzt der Held gegen die bössen Mächte. Im Falle von Assange geht es aber um eine juristisch fragwürdige Vernichtung eines Menschen mit allen verfügbaren (Rechts)-Mitteln durch “demokratischer Staaten”, die sich die “Einhaltung” der Menschenrechte auf ihre Fahnen geschrieben haben.
Demokratische Staaten brauchen Pressefreiheit. Die Arbeit von Whistleblowern und Journalisten darf nicht kriminalisiert werden. Regierungen stehen immer in der Gefahr, unangenehme Enthüllungen vertuschen oder verheimlichen zu wollen. Eine hohe Haftstrafe für Assange soll Journalisten und ihre Informanten davon abschrecken. Dagegen muss sich eine offene Gesellschaft wehren. Deswegen schließt sich auch ein kleines Online-Magazin wie wurstend.net den weltweiten Protesten an.
Weitere Links:
https://kunstundfilm.de/2013/07/we-steal-secrets-the-story-of-wikileaks/
Doku auf Arte, 2021: https://www.youtube.com/watch?v=NQrz-J8R9zA, Video auf Youtube verfügbar bis zum 20/06/2024 Abonniert den Youtube-Kanal von ARTE: youtube/artede
Der Kampf von Julian Assanges Vater John Shipton zur Freilassung des Sohnes
https://www.republik.ch/2023/10/06/wenn-wir-uns-nicht-gegen-die-verfolgung-von-julian-assange-stellen-werden-wir-zu-barbaren,
https://www.fr.de/kultur/deniz-yuecel-ueber-den-pen-und-julian-assange-wir-sind-schliesslich-kein-club-von-schoengeistern-91846321.html
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