Das Ende der Esskultur?
Foto: Verlag Hirzel
Alles, was wir über Ernährung (nicht) wissen wollen…
Rezension: Manfred Kriener, Leckerland ist abgebrannt – Ernährungslügen und der rasante Wandel der Esskultur
Vor mir – das Buch von Manfred Kriener. Das Titelbild, ein traurig dreinblickendes, angekokeltes Toastgesicht erinnert an Edward Munch „Der Schrei“. Der Titel des Buches- ist eine doppeldeutige Variante des alten Wiegenlieds „Maikäfer flieg“, in dem statt „Pommer- und Pulverland“ unser schönes Leckerland abgebrannt ist. Ein Schelm, wer hier an ein deutsches Unternehmen denkt, das unsere Supermärkte und Raststätten mit vielen schönen bunten, zuckersüßen oder pikanten Snacks, Convenience-Food und Drinks beliefert. Die Botschaft des Buches: Wenn wir so weitermachen, brennt nicht nur das Essen, sondern die ganze Erde.
Der Autor Manfred Kriener ist Journalist und Autor, Gründer und Chefredakteur des Slow-Food-Magazins und des Umweltmagazins zeozwei. Hier setzt er sich auf 222 Seiten in seinem süffig geschriebenen Buch mit „Ernährungslügen und dem rasanten Wandel der Esskultur“ auseinander. Das Einstiegskapitel „Essen 4.0 – Messer, Gabel, Handy“ ist sein „Gruß aus der Marketing-Küche“. Es setzt sich auseinander mit der Inflationierung des Lecker-Begriffs und macht das Internet, klassischen Medien wie die Social Media insgesamt verantwortlich für das Verbreiten von Essenslügen und für den rasanten Wandel unserer Esskultur. Mit ihren Mythen und Bildern von Super-, Brainfood & Co. inklusive seiner Protagonisten aus dem Show-Biz würden zunehmend ausgefallene Essgewohnheiten mit missionarischen Diktaten gehypt. Für mich als Marketeer war der Appetizer unterhaltsam. Das schmeckt nicht allen: Einige Buch-Rezensenten, wie Julia Bähr in der FAZ[1] werden nicht so „recht warm“ mit diesen Schuldzuweisungen und den plakativen Argumenten. Kriener geht damit aber souverän wie ein Sternekoch um. In den darauffolgenden 10 Kapiteln tischt er Menügänge zu allen Facetten des globalen Ernährungskosmos auf. Er steht dabei am Herd und misst allen KöchInnen den Puls.
Krieners Buch will kein klassischer Ernährungsberater sein. Mit investigativem Geist und spitzer Feder deckt er die Strukturen und den Lobbyismus eines aus dem Ruder geratenen globalen Systems der Lebensmittelproduktion auf. Dabei bringt er Quellen und Fakten aus seinem umfassenden journalistischen Erfahrungsschatz auf den Tisch, die nicht leicht verdaulich sind. Die faktenbasierten Kapitel über altes und neues, industriell bearbeitetes Fleisch, Insekten als Ersatz-Delikatessen bis hin zu Fisch, Superfood und Wein, werden ergänzt durch Studienergebnisse und Statistiken. Im Interview mit dem NGO-Aktivisten Benedikt Härlin schauen wir weit über den Tellerrand zu den heißen Themen: „Bevölkerungswachstum, Hunger und brennende Regenwälder“.
Der mehrfach ausgezeichnete Autor portioniert seine gut recherchierte Infomationsschreibe unterhaltsam und streut immer wieder auch eine Prise Humor ein, so dass man ihm gerne mit heißem Kopf folgt. Er informiert ohne den Sirenenton der Alarmisten oder die teilweise fast ins Religiöse abdriftenden Missionarstöne. Eine wohltuende Seltenheit bei den heiklen Themen um Nahrungsverbrechen, Essverhalten und der Sehnsucht nach Aromen-Over-Kill. Dafür liest sich das Ganze zuweilen wie ein Krimi.
Vor allem schaut Kriener nicht nur kritisch auf die Produktionsmethoden und -bedingungen, sondern sogar hinter die Kulissen– in die Schlachthöfe, Lebensmittelfabriken, in die Fischzucht, in Bio-Höfe und Weinkeller. Jedes Lebensmittel bekommt „sein Fett“ weg. Nichts hat in seinen Augen auf unseren Tellern Bestand. Selbst im Wein, dem viel gepriesenen und prämierten Naturprodukt, liegt heute nicht mehr die Wahrheit. Kriener schüttet noch ordentlich Wermutstropfen hinzu, angefangen bei marketingstrategischen Panschereien über fragwürdige „Veredelungsmethoden“ bis hin zu gesundheitsgefährdenden Rückständen und chemischen Hilfsstoffen, die die Erträge der zunehmend klimagebeutelten Weinberge pushen sollen. Na, denn Prost.
Nichts will ihm so recht munden. Sein nüchternes Fazit im Nachwort:
„Zugegeben: Den Leserinnen und Lesern dieses Buchs ist einiges zugemutet worden, was dem Appetit nicht unbedingt förderlich ist. Die kranken Tiere im Biostall, die Kalamitäten in der Lachsindustrie, die Betrügereien im Superfood – der Teller wurde immer mal wieder mit Not und Elend beladen.“
Die Lektüre des Buches macht mich als Konsumentin auf jeden Fall sensibler für meine Kaufentscheidungen. Der Autor ergreift keine Partei, sondern überlässt es jedem Leser, sich seine Meinung zu bilden, wenn er schreibt „Die neuen Metzger tragen weiße Laborkittel und Mundschutz. Ihr Schwein und ihr Rind bestehen aus einer winzigen Biopsie, aus der einzelne Muskelzellen isoliert werden. Der Schweinestall ist ein Bioreaktor.“ Aber auch Bio als Hoffnungsträger wird im drauffolgenden Kapitel kritisch beleuchtet: „Ob es dagegen die richtige Strategie ist, wenn Bioverbände ausgerechnet mit rufschädigenden Billigheimern wie Aldi und Lidl kooperieren, ist in der Branche eine heiß diskutierte Frage.“ (S. 108) Auch bei Bio gibt es Gesundheitsprobleme bei den Tieren, zum einen, weil sie statt tiergerecht artgerecht gehalten werden sollten. Andererseits müssten überhaupt erst eigene Öko-Zuchtlinien entwickelt werden. (S. 102) Der ganzheitliche Ansatz des Autors greift auch die neoliberale Wirtschaft an und grillt sie mit dem Blick auf den aufgeklärteren Verbraucher, der mit überlegteren Kaufentscheidungen Druck auf die unguten und ausbeuterischen Methoden ausüben und damit sein Quäntchen zur Weltverbesserung beitragen könnte. Damit wir LeserInnen am Ende doch noch eine gute Botschaft mitnehmen können, liefert uns Kriener seine eine Empfehlung: „Kochen Sie selbst so oft wie möglich, meiden Sie jeden Industriefraß, misstrauen Sieden Fertiggerichten der Ernährungskonzerne. Kochen Sie also selbst. Eignen Sie sich Kompetenz und Ernährungswissen an, das funktioniert am besten am eigenen Herd. Regelmäßiges Selberkochen ist ein Akt der Selbstbehauptung und muss nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Wer selbst einkauft und kocht, der weiß was er isst.“ (S. 222)
Angaben zum Buch
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Manfred Kriener:
Leckerland ist abgebrannt.
Ernährungslügen und der rasante Wandel der Esskultur
Hirzel-Verlag, 238 Seiten
ISBN: 978-3-7776-2815-8
18€