Wie süß: Zu Ostern mal versteckten Zucker suchen
Es geht um uns. Es geht um unsere Gesundheit. Und es geht ums Geld. Das GANZ GROSSE Geld. Dass das nicht gut zusammen passt beleuchte ich hier am Beispiel Zucker. Zucker ist ein „Lebensmittel“, das sich in ganz vielen Produkten versteckt. Verstecken ist hier wirklich wörtlich gemeint, denn bei ganz vielen industriell hergestellten Produkten ist der Zucker nicht offensichtlich. Und auch der Nutri-Score, der es uns VerbraucherInnen erleichtern soll, ist allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein.
Bild: GLY
Inhaltsverzeichnis
BMEL: Wir werden geschützt
Wir haben jemanden, der uns VerbraucherInnen schützt. Das BMEL. Das haben wir Renate Künast zu verdanken, die vor 20 Jahren den Verbraucherschutz mit in den Aufgabenbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aufnahm. Heute schreibt das BMEL dazu:
Wie? Gesund? Zucker ist gesund!
Zucker ist laut statista.de als Grundnahrungsmittel aus dem Alltag angeblich nicht wegzudenken. Während die Meisten sicherlich an Raffinadezucker denken. Nein, der ist es nicht, der Probleme macht. Es ist der industriell verwendete Zucker, der uns in großtechnisch gefertigten Backwaren, Erfrischungsgetränken oder gar Medikamenten begegnet. So nehmen wir VerbraucherInnen ca. 35 kg / Jahr Zucker zu uns. Im Schnitt! Die WHO Empfehlungen sind 25g / Tag, wir Deutschen liegen bei 95g / Tag. Mit handfesten Gefahren für unsere Gesundheit. Wie Diabetes Typ 2, Fettleibigkeit oder das sogenannte metabolische Syndrom. Aber Moment mal, wollte das BMEL nicht genau diese Gefahren abwenden?
Deutschland mein lieb Zuckerland
Die EU größten Zucker-Produzenten sitzen in Deutschland und heißen passenderweise Südzucker und Nordzucker (komisch, ich fühle mich sofort wie in Monopoly). Sie alleine produzierten in 2011 40% des EU Zuckers (jetzt, Monopoly wirklich….!) Südzucker machte im Geschäftsjahr 2018/19 mit Zucker 2,588 Millionen Euro Umsatz.
Zucker wird in der EU ausschließlich aus Zuckerrüben hergestellt. Und das ist, ja genau: Landwirtschaft. Für die Landwirte bedeutete der Wegfall der Zuckerquote 2017, dass sie ihre Anbaufläche für Zuckerrüben vergrößerten. In der EU im Schnitt um 17%! 17% mehr Monokultur! Denn nach dem Wegfall der Zuckerquote sanken die Preise. Das ganze nennt sich euphemistisch Effizienzsteigerung und wird unverhohlen im Handelsblatt so ausgesprochen : „Ohne gesetzliche Beschränkungen hinsichtlich der Menge können Zuckererzeuger ihre Produktionskapazitäten optimieren und Produktionskosten für Zucker reduzieren.“
Zucker Tonnenweise
Zucker wird international an den Rohstoffbörsen gehandelt. Derzeit (29.3.2021) ist eine Tonne Zucker für etwa 433 € zu haben. Im Februar hatte der Preis ein unverhofftes Drei-Jahres-Hoch erreicht.
Einen nicht unerheblichen Anteil spielt dabei, dass Zucker auch in Bioethanol umgewandelt und Kraftstoffen zugesetzt wird. So ist der Zuckerhandel nicht nur von überregionalem Interesse und hier nachzulesen, sondern auch von hohem wirtschaftlichen Wert. Und die Zuckerfirmen sind international agierende Konzerne.
Die EU ist ein Zucker-Netto-Exporteur. Statista veröffentlicht eine Prognose (Abbildung), dass die EU Zuckerproduktion bis 2029 bei rund 17400 x 103 t/Jahr sein wird. 17 Millionen Tonnen Zucker!. Aktuell ist sie bei 16600 x 103 t . Nur nebenbei. Die allermeisten Statistiken zu Zucker sind kostenpflichtig. Man will offenbar nicht, dass sie sich das jede eben mal so ansehen kann. Und die verfügbaren sind auch nicht deckungsgleich (vergleiche die Abbildungen).
Anmerkung für alle Monopoly –Fans: 17 Millionen Tonnen multipliziert mit 400 Euro sind 6,8 Milliarden Euro Umsatz allein in der EU!!
Fassen wir also noch mal zusammen: Die EU hat die Zuckerquote gestrichen und damit die Schleusentore geöffnet für noch mehr Zucker und noch mehr Monokultur. Die Industrie hat mit „Effizienzsteigerung“ reagiert und streicht mit ihren Börsen notierten Unternehmen aber satte Gewinne ein. Die Landwirte, sind auch hier die armen Schweine, die für den Gewinn anderer die Umwelt kaputt schuften. Aber jetzt wir, die VerbraucherInnen! Machen wir es besser?
Der Nutri-Score
Seit Oktober 2020 ist er offiziell freigegeben der Nutri-Score, der eine verständliche Nährwertangabe für Lebensmittel machen soll. Und gegen die sich Frau Klöckner lange gewehrt hat. In der vom BMEL gesteuerten Brochure „Forschungsfelder“, die plötzlich meiner seriösen Wochenzeitung beilag, steht dazu folgendes:
Das verständlichste, beste, das einleuchtendste, sinnvollste, usw. Die Berichterstattung in Medien und Fachorganen überschlägt sich geradezu.
Die Entscheidung der Ministerin wird gefeiert, als hätte sie in der Grundschule verstanden, dass 2 plus 2 vier ist. Foodwatch sieht das bekanntlich anders und beleuchtet die Dramen, die bei der Umsetzung des Nutri-Scores gelaufen sind.
Aber, jetzt haben wir endlich ein klar verständliches Label, das uns zeigt, wie ungesund das Zeug ist, das wir kaufen. Solche Infos waren zwar vorher auch schon drauf, aber wer liest schon gerne Zahlen. Und weil vorher schon was drauf war, MUSS sich jetzt auch niemand beeilen. Der Nutri-Score ist freiwillig.
Werbung gar nicht mehr süß
Aber wo wir grade bei der Freiwilligkeit sind…. Es gibt da auch eine freiwillige Selbstverpflichtung der Lebensmittelindustrie, keine Zuckerwerbung in Kinderzimmer zu senden.
Denn, während wir Erwachsenen eigentlich in der Lage sein sollten, eine „informierte Kaufentscheidung“ zu treffen, sind es andere nicht: Unsere Kinder. Und die werden zur besten Sendezeit im TV mit Kinder Pingui, Paula Pudding und Fertigpizza zugespamt. Foodwatch fordert dazu die Ministerin auf, die Werbung gesetzlich zu beschränken. Aber es geht noch dreister. Wenn die Kids dann nicht mehr vor der Kiste sitzen, kommen die Süßwaren-Hersteller über Instagram zu ihnen. InfluencerInnen nur wenig älter als die Kids selbst, mampfen ganze Sahnetorten und werden von der Lebensmittelindustrie gesponsert.
Wie perfide die Werbung dabei vorgeht, nimmt die Sendung zu Werbung bei Quarks auseinander. Und es gibt doch verblüffende Ähnlichkeiten zu dem 50iger Jahre Video…
Doch, wie sehen nun die vermeintlich „gesunden“ Produkte für Kinder aus? Bunt, klein, mit bekannten Cartoons beworben, angesagt und schmecken intensiv? Es müssen also nicht die bekannten Junk Food Marken sein, auch Joghurt, Müsli und TK Produkte wie Fischstäbchen oder Chicken Nuggets landen auf den Tellern der Kids. Und auch Ökotest bemängelt die Produkte, allerdings nicht wegen der leeren Kalorien, sondern dem Gehalt möglicher Schadstoffe.
Der Storecheck – wo ist er denn der Nutri-Score?
Rewe schaltete Anfang 2021einen Werbespot über den Nutri-Score. Aber im Gegensatz zur Zuckerwerbung die bunt und flippig daher kommt, wirkt dieses Video laaaangweilig. Im Netz wurde es deswegen auch entsprechend runter gemacht. Zuckerwerbung ist eben viel geiler.
Das BMEL textet am 15. Februar in seiner Pressemitteilung: Klöckner: Erste Schallmauer beim Nutri-Score durchbrochen – bereits über 100 Unternehmen registriert….“ Und ich weiß jetzt, woher Satiresendungen ihre Anregungen bekommen. In Deutschland gibt es immerhin mehr als 6000 Lebensmittelhersteller. Aber bei 100, die Schallmauer! Das sind nicht mal 1,6 %!
Nutri-Score? Aber wo ist er denn nun? Beim Aldi schaute ich mich mal im Kühlregal um. Joghurt für Kinder. Die Fruchtzwerge von Danone, Frankreichs zweitgrößtes Milchunternehmen hat ihn drauf. OK, der Nutriscore kommt ja auch daher. Die Alternative von Milsani Frucht Junior, trägt ihn nicht. Warum eigentlich? Aldi ist doch Deutschlands größter Lebensmittelhändler!
Gesund essen: Warum es nicht klappt
Im Zuge der Convenience greifen immer mehr VerbraucherInnen zu verarbeiteten Lebensmitteln und Fertigprodukten. Gerade in ihnen verstecken sich richtige Zuckerfallen. Und das sind:
- TK – und Fertigprodukte
- Backwaren: Pizza, Kekse, Kuchen
- Verpacktes Brot
- Käseprodukte
- Frühstückscerealien
- Crackers und Chips
- Bonbons und Eiscreme
- Instant Nudeln und Suppen
- Rekonstituierte Fleisch-Produkte: Würstchen, Nuggets, Fischstäbchen, verarbeiteter Schinken
- Erfrischungsgetränke
Diese Lebensmittel werden auch hochverdichtete Lebensmittel genannt. Was dort verdichtet ist? Kalorien! Und häufig sind es auch die Erwachsenen, die glauben, dass diese Lebensmittel gesund seien. Sie geben sie ihren Kindern in der Brotbox mit in den Kindergarten. Eine befreundete Kindergärtnerin beschrieb ihr Dilemma, in dem sie sich täglich befindet. Wenn sie die Kids aufklärt, dass Fruchtzwerge, Quetschi und Toast mit dick Nutella NICHT gesund sind, fallen ihr die Eltern in den Rücken.
Doch auch der Gesetzgeber verteidigt den Einsatz von Zucker. Wer erinnert sich nicht an den Prozess, den das Start-up Lemonaid geführt hat? Da war es sogar das Amt für Verbraucherschutz selbst (in Bonn), das den Herstellern einen gesetzesniedrigen Zuckergehalt vorwarf. In diesem Land ist es offenbar kriminell, wenn man gesündere Produkte anbietet.
Vorsicht süß und fettig!
Fertigprodukte schmecken in der Regel gut. Damit das Geschmackserlebnis optimal ist, werden viele Zusatzstoffe eingesetzt, am häufigsten Zucker oder seine Alternativen. Denn Zucker ist ein Geschmacksverstärker. Fett übrigens auch.
- Zugesetzter Zucker, aber Achtung der kann sich auch unter den Namen Fructose, Dextrose, Maltose oder Invertzucker verbergen (Aufzählung nicht vollständig)
- Künstliche Inhaltsstoffe, das sind in der Regel Aromen oder synthetische Süßstoffe
- Raffinierte Kohlenhydrate, wie z.B. Weißmehl
- Niedriger Nährstoffgehalt
- Niedriger Gehalt an Ballaststoffen
- Leere Kalorien, damit beschreibt man ein Lebensmittel, das viel Energie liefert, aber wenig Nährstoffe besitzt, wie Zucker z.B.
- Transfettsäuren
Außer vielen Kalorien, haben Fertigprodukte also keine „Vorteile“, im Gegenteil, es fehlen wichtige Nährstoffe, die uns gesund halten. Vermeiden kann man diese hoch verdichteten Lebensmittel nur, wenn man selber kocht. Doch, die wenigsten wollen oder können das.
Das bittere Fazit
Das große Geld und Gesundheit schließen einander aus. Das BMEL kommt seinen Aufgaben – hier Verbraucherschutz – nicht nach. Bei dem Schutz der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen versagt es komplett.
Der Nutri-Score, der alles einfacher machen soll, adressiert nur Fertigprodukte und damit die Interessen der Lebensmittelhersteller.
Wenn es also besser werden soll, dann nur damit:
- Zuckersteuer wie in Großbritannien
- Keine Freiwilligkeit mehr: Nutriscore wird Pflicht und Zuckerwerbung verboten
- Wertschätzende Aufklärung von Eltern und Kindern
- Schluß mit dem Lobbyismus
Sollte man jetzt also fordern, Frau Klöckner abzusetzen? Das würde leider nicht reichen, denn Zucker offenbart auch, dass das Problem systemisch ist. Es muß ein kompletter Wandel in der Politik her, der die BürgerInnen wieder in den Mittelpunkt stellt. Und der ehrlich auf die Anforderungen der Zukunft reagiert. Am 26. September 2021 könnt Ihr das möglich machen. #bundestagswahl2021