Der Fleischatlas 21: Weniger Fleisch – mehr Future?
von Ulrike M. Brinkmann & Ghita Lanzendorfer-Yu
Jugend will weniger Fleisch for Future
April 2021 ist ein Monat voller erschreckender Nachrichten. Der WWF ernennt Europa zum unrühmlichen Vizeweltmeister der Waldzerstörung im Hinblick auf den Regenwald. Auf dem Portal Our World in Data berechnet Hannah Ritchie die CO2-Kosten unserer Ernährung. Fazit: Uns bleiben gerade mal 9 Jahre, um die globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Der schnellste Weg für eine spürbare Fairänderung, bedeutet für jede/n von uns: Wir müssen uns von unserem hohen Fleischkonsum verabschieden. Besser heute statt morgen.
Im Jahr 2020 summierte sich laut Statista der Verzehr von Fleisch in Deutschland auf rund 57,33 Kilogramm pro Person. Der Gesamtverbrauch, in dem der Verbrauch von Tierfutter, die industrielle Verwertung sowie die Produktverluste berücksichtigt sind, ergab etwa 84,5 Kilogramm. Um den rasanten Klimawandel für eine enkelfähige Zukunft zu stoppen, aber auch um Tierwohl, Biodiversität und soziale Gerechtigkeit zu erhalten, müssten wir unseren Verbrauch in allen Lebensbereichen um „mindestens die Hälfte“ reduzieren. Zu diesem Thema haben sich Peter Hübner (Tierrechtler und zum Veganer mutierter Ex-Schlachter sowie Betreiber der Plattform Metzger gegen Tiermord )und Daniel Martens, #wurstend-Redakteur, am 23. April 21 in einem Talk ausgetauscht.
“Ernährung ist zwar individuell. Doch Gesetze und Regeln können unsere Konsumentscheidungen steuern.“
Fleischatlas 2021 – 4.0 international (CC BY 4.0)tz
Fleischatlas 21 – die Jugend gibt eine neue Richtung vor
Seit 8 Jahren gibt die Böll-Stiftung zusammen mit dem BUND alljährlich den Fleischatlas heraus. In diesem Jahr mit dem Schwerpunktthema “Jugend, Klima und Ernährung”. Mensch kann ihn wie auch die vorherigen über die folgende Seite downloaden.
Der Fleischatlas 21 widmet sich in seiner diesjährigen Ausgabe speziell den jungen Leuten, von denen auch die Klimademos von Fridays-For-Future ausgehen. Ihnen ist erstmalig gelungen, wofür Mahner schon seit den 1970er Jahren vergeblich kämpften: den Klimawandel als ernst zunehmende Aufgabe anzupacken. So wurde im Auftrag der Böll-Stiftung, dem BUND Deutschland u.a. im Oktober 2020 eine repräsentative Online-Umfrage in dieser Zielgruppe mit 1.227 Bürger*innen zwischen 15- bis 29 Jahren durchgeführt. Das Fazit die Skandale während der Corona-Pandemie – vor allem in den „Sauställen“ und Schlachthöfen der Fleisch verarbeitenden Industrie – haben die kritische Haltung gegenüber dem Fleischkonsum insbesondere bei jungen Menschen verstärkt. Als Nebeneffekt wird in dieser Studie spürbar, dass sich die Haltung der jungen Generation zur Ernährung mittlerweile zu einem ernst zu nehmenden politischen Statement entwickelt.
70 % der jüngeren Generation lehnen Fleischprodukte ab, 40 % haben ihren Fleischkonsum bereits reduziert und 13 % ernähren sich bereits vegetarisch oder vegan. Wer wenig Fleisch konsumiert, gilt als umwelt- und insbesondere ernährungs- und tierschutzbewusster. Bei den Veganer*innen sehen sich 75 Prozent als Teil der Klimaschutz-Bewegung. Bei den Vegetarier*innen sind es fast 50 Prozent. Bei den Fleischesser*innen sind es hingegen nur 15 Prozent. Auch wenn diese Zahlen nach Adam Riese nicht aufgehen, so gibt es doch interessante Zusammenhänge festzustellen: Je konsequenter junge Menschen auf Fleisch verzichtet, umso mehr Einsatz im Klimaschutz und umgekehrt. Als Konsequenz fordern die engagierten jungen Menschen vom Staat, dass er seine Bürger*innen mehr bei klimafreundlicher Ernährung und nachhaltigem Konsum unterstützt. Mit entsprechenden Gesetzen und finanziellen Anreizen. Die Politik hingegen beruft sich darauf, dass Ernährung eine persönliche Entscheidung sei und der Staat nichts gegen Billigfleisch-Konsum unternehmen könne.
Die Fleischlobby wehrt sich
Gereon Schulze Althoff hat den „grünen” Fleischatlas in seiner Funktion als Vorstand des VDF (Verband der Fleischwirtschaft) und als Wissenschaftler heftig wegen seines “unwissenshaftlichen Vorgehens” kritisiert. Er ist übrigens Fachtierarzt und Manager beim Unternehmen Tönnies (!!). Er “sieht eine unseriöse Argumentationen bei den Themen Methan-Ausstoß in der Nutztierhaltung, Antibiotika-Einsatz, Soja in der Fütterung sowie dem Zusammenhang von durch Zoonosen ausgelösten Pandemien.” Der VDF unterstützt ihn natürlich dabei: “Die Autoren des Fleischtlass haben die aktuellen wissenschaftlichen Debatten genauso wenig wie die offenkundige Entwicklung für mehr Nachhaltigkeit im Sektor verfolgt.” Siehe hierzu auch unseren Magazin-Beitrag “Veganer retten die Fleischindustrie”.
“Trotz Skandalen und Corona – die Bundesregierung will von einer ‘Fleischwende’ nichts mehr wissen”.
Fleischatlas 2021 – 4.0 international (CC BY 4.0)
Der Fleischatlas als Routenplaner ?
Für alle, die sich für Klimagerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Ernährung und Tierwohl interessieren oder engagieren wollen, gibt der Fleischatlas 21 eine erste Route an, wie Fairänderung stattfinden kann, wenn es nicht zum Worst-End kommen soll. Dabei ist er unaufgeregt, ohne Kampf-Rhetorik, gouvernantenhaft erhobenem Zeigefinger oder andere Erlöser-Phantasien. Der Atlas hat die Haptik eines Magazins. Er punktet mit 19 übersichtlichen Kapiteln auf 50 Seiten mit Informationen und illustrierenden Grafiken rund um das Thema Fleischkonsum und seine vielfältigen Folgen für Klima, Gesellschaft, Umwelt und Gesundheit. Die Herausgeber der Heinrich Böll Stiftung und des BUND wollen mit dieser Publikation Engagierte mit Fakten und Informationen für Diskussionen oder Aktionen wappnen.
Gefährliche Prognosen
In ihrem Kommentar zum Erscheinen des Fleischatlasses schreibt Haidy Damm im ND: “Doch auch wenn die jüngere Generation nicht nur über eine Agrarwende nachdenkt und sowohl ihre Konsumgewohnheiten ändert wie auch politisch aktiv ist: Weltweit prognostiziert die Food-And-Agriculture Organization of the United Nations – die FAO – weiter einen wachsenden Fleischverbrauch. Ohne Kurswechsel könnte die Fleischproduktion bis 2029 noch einmal um 40 Millionen Tonnen auf dann insgesamt 360 Millionen Tonnen Fleisch pro Jahr anwachsen. Die Struktur wandelt sich dabei weiter zu weniger Betrieben mit mehr Tieren.”
„Die industrielle Fleischproduktion ist nicht nur für prekäre Arbeitsbedingungen verantwortlich, sondern vertreibt Menschen von ihrem Land, befeuert Waldrodungen, Pestizideinsätze und Biodiversitätsverluste – und ist einer der wesentlichen Treiber der Klimakrise. Alleine die fünf größten Fleisch- und Milchkonzerne emittieren mit 578 Millionen Tonnen so viel klimaschädliche Gase wie der größte Ölmulti (Exxon) der Welt und erheblich mehr als Frankreich oder Großbritannien.“
Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung in Umwelt Dialog
Weniger Fleisch für Globus, Gesundheit & Gesellschaft in Grafiken
Das Thema Fleisch-Verzicht wird heutzutage innerhalb der Gesellschaft kontrovers bis aggressiv diskutiert. Es scheint allerdings, dass die Corona-Pandemie den Weg zu mehr Einsicht geebnet hat. Die Gefahren, die von der “heilige Kuh” Fleischverzehr ausgehen, werden heute ganzheitlicher und mit allen ihren Konsequenzen für künftige Generationen gesehen. Keinesfalls geht es “nur” um ein Genussthema. Es geht um alles – um unsere Gesundheit, Klima, Lebensstandard, Krieg und Frieden – ja, auch um Ethik. Wir von #wurstend zeigen das umfassende Thema in unserer “Bilder-Show” mit aussagekräftigen Grafiken.
Tierhaltung und Soja fressen Regenwald auf
Gesundheitsrisiko Fleischkonsum
Vergleicht man die beiden Karten: so sieht mensch, dass die Häufigkeit an Krebs zu erkranken in engem Zusammenhang mit Fleischverzehr und -Produktion steht. Basisquelle Our World in Data.
CO2-Kosten visualisiert: unser Barbecue Beispiel
Mensch kann nicht alles haben, wenn wir was für’s Klima tun wollen. Auf was kannst du am ehesten verzichten?
Treibhauseffekte durch Massentierhaltung
Die industrielle Massentierhaltung ist kein reines CO2 Thema. Wenn mensch nämlich nur diesen einen Aspekt betrachtet, wie dies Bill Gates tut (siehe hierzu auch unseren Magazin-Beitrag, erscheint der Anteil des Fleischkonsums zur Klimaerwärmung durchaus beherrschbar. Da aber durch die Viehhaltung Methan CH4 und Lachgas N2O emittiert werden, ergibt sich daraus ein weit dramatischerer Effekt für unser Klima:
Info und Download-Links
Website der Böll-Stiftung: Dort kann man den Fleischatlas 2021 kostenlos online lesen oder
auch als Printausgabe bestellen.
Podcast der Heinrich-Böll-Stiftung auf der Website, bei Soundcloud, Spotify, Apple-Podcast oder in der Podcast-App deiner Wahl: boell.de/fleischtlas-2021-podcast
BUND – Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland
„Wie das Tier gelebt hat bevor es gegessen wird, das kommt mit auf den Tisch. Wenn Fleisch aus Massentierhaltung gegessen wird, ist es Tierquälerei, die auf den Tisch kommt. Wenn auch wir den Tieren etwas schuldig sind, dass wir sie sterben lassen, dann dies: Dass sie gelebt haben, bevor sie geschlachtet werden.“
Klaus Michael Meyer-Abich, Professor für Naturphilosophie an der Universität Essen