Die letzte Generation – das sind wir alle
Was will die Letzte Generation?
Sie kleben sich Straßen, womit sie deutlich machen wollen, dass der Staat am Status Quo klebt statt endlich zu handeln. Eigentlich wollen die AktivistInnen, dass allen voran die Politiker ihre Handlungsvorschläge anhören und umsetzen: Tempolimit, Neun-Euro-Ticket, BürgerInnenräte umgesetzt werden. Banal? Nichts davon kommt. Verhindert von der FDP, die einen Kulturkampf innerhalb der Ampel führt und Koalitionsverträge neu verhandelt wissen will. Der Protest radikalisiert sich.
Doch wer ist – wer sind die Letzte Generation?
Lasst uns dafür mal kurz nach Davos schauen. Davos, einst ein beschauliches Bergdorf, avancierte in der Neuzeit zum Hotspot der ökonomischen Elite. Dort sagte kein geringerer als Prince Charles – heute King Charles III – im Jahr 2020 in der Keynote Speech:
“Prevaricate and deny the problem”? Das heißt Ausflüchte machen und das Problem leugnen. Genau das ist es, was unsere PolitikerInnen machen, nicht nur in Deutschland. Und das Problem heißt Klimakrise.
In Davos 2020 beschreibt er die globalen Herausforderungen und sagt am Ende sinngemäß: Wir sind die letzte Generation, die etwas ändern kann. Wir – alle –diejenigen, die an der politischen Meinungsbildung beteiligt sind. Wir, eben. Die schon älteren und die noch jüngeren. Charles sagt es so:
“After all, ladies and gentlemen, do we want to go down in history as the people who did nothing to bring the world back from the brink in time to restore the balance when we could have done? I don’t want to.”
Charles letzte Generationen Ansprache in Davos 2020 sagt, wir sind diejenigen, die noch etwas verändern können. Die Generation nach uns wird es nicht mehr können
Charles ist nicht irgendwer, bekannt ist er natürlich als ewiger Thronfolger. Wenig beachtet dabei ist sein ökologisches Engagement, das er schon sehr früh – seit 1968 – eingebracht hat. Seine Themen sind Nachhaltigkeit und Naturschutz. Am besten ist das vielleicht in dem Film „Der Bauer und sein Prinz“ dargestellt worden, wie er die Bio-Landwirtschaft als einzige sinnvolle Ackerbaumethode beschreibt. Zum Erhalt der Natur und zum Erhalt von uns selbst.
Schließlich traf er die Aktivistinnen von FFF und hat sich mit Greta Thunberg ausgetauscht. Greta, die uns sagte: „I want you to panik!“
Charles meinte und meint es ernst: Naturschutz, Biolandwirtschaft ein ökologisches Umdenken alles muss passieren. Dafür hat er auch die gesamte royale Familie eingeschworen und viele Gespräche mit Sir David Attenborough zeugen davon. Im Buckingham Palast ist man auf der Höhe der Zeit.
FFF gestaltet mit!
Aber auch in Berlin? Im gleichen Jahr traf sich Angela Merkel ebenfalls mit Vertreterinnen der FFF Bewegung. Denjenigen, die öffentlich noch vor wenigen Wochen als SchulschwänzerInnen klein geredet wurden. Diejenigen, denen man sagte, lernt lieber erst und meldet Euch dann.
Merkels Rat an die Jugend war seinerzeit sinngemäß: „Bringt Euch in der Politik ein, gestaltet mit. Protest allein verändert nichts.“
Viele der jungen FFF Aktivistinnen haben ihren Rat ernst genommen und sind MitgliederInnen etablierter Parteien geworden. Das wohl bekannteste Gesicht ist Luisa Neubauer, die als Mitglied der Grünen die „grüne“ Politik kritisiert. Bei den Protesten gegen den Braunkohle-Tagebau wird sie von der Polizei weggetragen.
Wenn das Einbringen in die Politik aber nun bedeutet, dass essentielle Anliegen erst klein geredet, dann verwässert und zuletzt einer „Realpolitik“ geopfert werden, was ist dann gewonnen?
Und gerade bei den Grünen ist eine erdrutschartige Erosion der ökologischen Inhalte zu beobachten. Dabei waren es die Grünen 1983, die als damals noch junge Partei, eine Studie über die Auswirkungen des CO2 Ausstoßes auf das Klima in Auftrag gaben. Mit dem Resultat: „Soll eine drohende Klimakatastrophe mit Sicherheit verhindert werden, so müssen die notwendigen Schritte sofort und unverzüglich eingeleitet werden.“
Heute, 40 Jahre später, führt eine feministische Außenpolitik zu Waffenlieferungen in die Ukraine und ignoriert die Aufstände der Frauen im Iran. Die angestrebte Decarbonisierung führt zu einer Laufzeitverlängerung von Kohlekraftwerken und dem weiteren Abbaggern von Lützerath. Autobahnen dürfen weiter gebaut werden, damit im Gegenzug die Kindergrundsicherung kommt. Alles zukunftsfähige Politik? Alles sofort und unverzüglich? Es ist zum festkleben!
Verzweifelt durch den fossilen Wahn
Im Jahr 2021 gründete sich die Letzte Generation – eine Verzweiflungstat. Verzweifelt angesichts der Klimakrise, angesichts des sich schließenden Zeitfensters, das zum Handeln noch bleibt, angesichts der Untätigkeit unserer PolitikerInnen. Noch verzweifelter waren Henning Jeschke und Lea Bonasera, die mit anderen MitstreiterInnen vor dem Bundeskanzleramt in den Hungerstreik gingen. Schließlich gewährte Scholz ein Gespräch, um den Hungerstreik zu beenden.
Wer aber glaubte, der damalige Kanzlerkandidat wolle den jungen Leuten tatsächlich zuhören, wird enttäuscht. Sein Tonfall hatte dieselbe arrogant herablassende Note wie die Äußerungen seines Finanzministers in spe und die Gespräche, die er mit Pauline und Romeo während des Wahlkampfes führte. Bestenfalls gönnerhaft, eigentlich überheblich. Und grotesk unempathisch. Dann beschuldigte Scholz noch die jungen Leute der Letzten Generation, sie wären überheblich, nähmen ihr Anliegen zu ernst, wären selbstgerecht. Die Medien nahmen fortan diese Beschreibungen, um die Letzte Generation klein zu reden. Scholz hat nicht nur nicht zugehört, er hat auch nicht verstanden.
Dabei hatte Youtuber Rezo doch schon 2019 die „Dullies“ in Berlin entlarvt. Ziele setzten und dann nicht einhalten, Kipppunkte ignorieren, junge Leute für dumm verkaufen. Viele der Jungen haben dann in der Europawahl überhaupt erst gewählt, viele Grün. Viele sind enttäuscht.
Ziviler Widerstand: Legitimer Protest oder Terror?
Jetzt fragen gerade diese jungen Leute: Wie weit darf Protest gehen? Festkleben sei illegal ereifert sich der Justizminister bei Anne Will. Protest muss immer das Gesetz respektieren! Aha, Herr Buschmann und die Politik? In Bayern greift man hart durch und sperrt die „Klima-RAF“ (so Dobrint) gleich ins Gefängnis. In Berlin wendet die Polizei jetzt sogenannte Schmerzgriffe an. Wer sind jetzt eigentlich die Terroristen? Und was hatte nicht das Bundesverfassungsgericht geurteilt? Genau, die Politik muss mit ihren Gesetzten zum Klima schneller vorankommen und ein „vernünftiges“ Leben der heute jungen Leute (und by the way auch uns älteren und logisch, der nachfolgenden Generationen) in der Zukunft ermöglichen.
Wird die Klimakrise in der Politik als „Meinungsthema“ abgetan, in dem man auch andere Ansichten geleichberechtigt anhören muss? Gerne macht das außer der AFD auch die FDP, deren Klimareferent Steffen Hentrich offenbar in Klimaleugner-Netzwerken agiert. In den ZDF-Sendungen von Frontal und Die Anstalt, beide vom 25.4.23 werden diese Verstrickungen aufgedeckt und mit dem Handeln der FDP verglichen. Die wahren Klimaterroristen, wie man die Letzte Generation gerne betitelt, sitzen offenbar in Berlin, direkt in der Regierung.
Handlungsträgheit oder grob fahrlässige Ignoranz?
Bei der Klimakrise handelt es sich um einen akuten Notfall, auf den die Wissenschaften seit Jahrzehnten aufmerksam machen. Studien dazu – selbst von den Mineralölfirmen – waren lange bekannt . Das 1,5°-Ziel werden wir Mitte der 2020iger Jahre reißen. Darauf zu pochen, dass andere, größere Verschmutzer zuerst handeln müssen, ist unverantwortlich. Das Argument des Wohlstandserhalts ist Augenwischerei, denn die bevorstehenden Krisen werden uns alle in existentielle Nöte stürzen. Die Letzte Generation sieht in der Klimakrise ein Anliegen, in dem es um Leben und Tod geht. Die Zeit zu handeln läuft ab.
In allen ihren öffentlichen Auftritten wirken sie umfassender und besser informiert als die PolitikerInnen, JournalistInnen, KommentatorInnen, die ihre Kritik ausschließlich auf die Protestform fokussieren und damit auch dieses Anliegen als unmoralisch abtun und klein reden.
Ich kann die Verzweiflung der Aktivistinnen verstehen, mit Politikerinnen zu sprechen, die in Verwaltungsvorschriften denken, die nicht sehen wollen oder können wie dringlich das Anliegen ist, die sich hinter „Demokratie“ verstecken und heimlich ein „Weiter-so“ befördern. Ja, die sogar KlimaleugnerInnen sind und mit abstrusen Vorschlägen so tun, als ob sie alles im Griff hätten. (Leseempfehlung der Faktencheck des ZDF zur Sendung Die Anstalt)
Am 6. Mai wird Charles zum König gekrönt, doch helfen wir das wohl nicht. Die Letzte Genration wird dann noch weiter demonstrieren müssen, denn die echten Klimaterroristen sind noch im Amt.