Der Bundesverkehrswegeplan: Mit dem Autobahnbau zur Verkehrswende?
Der Bundesverkehrswegeplan ist sowohl ein komplexes als auch entscheidendes Instrument für die Verkehrsplanung in Deutschland. Er sorgt dafür, dass die Infrastruktur den aktuellen und zukünftigen Anforderungen gerecht wird und dabei wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte berücksichtigt werden. Der erste Bundesverkehrswegeplan (BVWP) wurde 1973 veröffentlicht, nachdem der Bundestag das Strukturieren der Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur gefordert hatte. Der BVWP wird etwa alle 10 bis 15 Jahre überarbeitet, um den sich ändernden Anforderungen und Entwicklungen im Verkehr gerecht zu werden. Durch die Wiedervereinigung der beiden Deutschen Staaten wurde dazu intensiv der Osten Deutschlands geplant. Gleichzeitig wurde eine (staatliche) Gesellschaft gegründet, die diese Projekte managen sollte. Die DEGES.
Bundesverkehrswege – die wollen gut geplant sein!
Den Plan zum Ausbau der Verkehrswege heißt Bundesverkehrswegeplan (BVWP). Dieser ist ziemlich wichtig, denn er ist Grundlage des Fernstraßenausbaugesetzes und des Bundesschienenwegeausbaugesetzes. In regelmäßigen Abständen wird dabei neu geplant und die Gesetze entsprechend angepaßt.
Da eine gute Erreichbarkeit möglichst aller Orte in Deutschland entspricht nicht nur dem Gleichbehandlungsgrundsatz, sondern ist auch eine Art Wirtschaftsförderung, werden die Verkehrswege mit folgenden Zielen geplant.
- Sicherstellung der Mobilität: Der BVWP sorgt dafür, dass Menschen und Güter sicher und effizient von A nach B gelangen können.
- Wirtschaftliche Entwicklung: Gute Verkehrswege sind wichtig für die Wirtschaft, da sie den Handel und den Transport von Waren erleichtern.
- Umweltschutz: Der BVWP berücksichtigt Umweltaspekte, um negative Auswirkungen des Verkehrs auf Natur und Klima zu minimieren.
- Regionale Entwicklung: Durch den Ausbau von Verkehrswegen wird auch die Entwicklung in verschiedenen Regionen gefördert.
Darüber hinaus erfolgt eine Analyse und Bedarfsplanung, diese wird bewertet und priorisiert. Dafür wird ein Nutzen-Kosten-Verhältnis ermittelt und priorisierte Projekte erhalten das Prädikat „vordringlicher Bedarf“. In diese Bewertung fließen hinein gesamtwirtschaftliche, ökologische und städtebauliche Kriterien. Wichtig ist die Beteiligung der Öffentlichkeit und dann werden die beschlossenen Projekte umgesetzt. Im Prinzip.
Ist der BVWP2030 noch zeitgemäß?
Der aktuelle BVWP 2030, wurde 2016 nach der Pariser Klimakonferenz beschlossen. Er hat einen Planungshorizont bis 2030.
Die korrespondierenden Gesetze – nämlich das Fernstraßenausbaugesetz und das Bundesschienenwegeausbaugesetz listen die Projekte im Einzelnen auf. In der Drucksache 20/2295 werden die Projekte mit ihren Investitionssummen aufgeführt. Und auch, wer das finanziert, denn viele Projekte werden in sogenannte Öffentlich-private-partnerschaften (ÖPP) gegeben.
In regelmäßigen Abständen werden die Planungen angepaßt und der wissenschaftliche Dienst der Bundesregierung veröffentlicht, Analysen, Sachstandsberichte oder umfangreiche Ausarbeitungen. Was in diesen Plänen jedoch in der Vergangenheit fehlte, sind die THG-Reduktionsziele des Verkehrssektors. Kurz, es wurde geplant, als ob es keine Klimakrise gäbe.
Deswegen entzündet sich an vielen Stellen Kritik an den geplanten Projekten. Da sind zunächst Umweltschutzorganisationen wie der BUND, oder internationale NGOs wie Transport& Environment, aber auch Protestbewegungen wie Wald statt Asphalt.
Sie alle kritisieren, dass im BVWP2030 in unterschiedlichen Bereichen Emissionen und ökologische Aspekte nicht oder mit falschen Annahmen berücksichtig wurden. Das betrifft vor allem die Nutzen-Kosten Berechnung im BVWP.
Falsche Annahmen zur Nutzen-Kosten Berechnung
Das kritisiert zumindest die europäische NGO Transport& Environment und stellt dazu fest:
„Im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) wird für die in Deutschland geplanten Fernstraßen eine Vorhersage über die Entwicklung der Verkehrsleistung getroffen. Dabei wird der induzierte Verkehr fast vollständig vernachlässigt. Dabei ist wissenschaftlich allgemein anerkannt, dass der Bau und die Erweiterung von Straßen eine höhere Verkehrsleistung induzieren. Im Vergleich zu empirischen Messungen der induzierten Verkehrsleistung ist die im BVWP angenommene Verkehrsleistung um fast eine Größenordnung zu niedrig. Aus diesem Grund werden auch die CO2-Emissionen, die durch neue Fernstraßen verursacht werden, um den Faktor 9 unterschätzt. Die Ergebnisse der Nutzen-Kosten-Analyse werden zusätzlich verzerrt, indem die Folgekosten für CO2-Emissionen sehr viel niedriger bepreist werden, als sie in der Realität sind.“
T&E 202309_Eine_Größenordnung_daneben – TE_Studie_Eine_Grosenordnung_daneben_0923.pdf
Und auch greenpeace hat sich zusammen mit T&E die Nutzen–Kosten-Berechnungen kritisch vorgenommen. Sie bemängeln, dass am Beginn der Planungen schon alle Projekte einen hohen Nutzen aufwiesen. Seitdem aber sind die Baukosten enorm gestiegen, wodurch allein schon 11% der Projekte unwirtschaftlich werden. Am Beispiel der A20 betrachten sie detailliert wie sich die Nutzen–Kosten-Rechnung verändert, wenn man die aktuellen CO2 Kosten und andere Umweltkosten mit in die Rechnung einbezieht.
Greenpeace bemängelt zusätzlich die Mauertaktik im Bundesverkehrsministerium.
Induzierter Verkehr: Mehr Straßen = mehr Verkehr?
Das schauen wir uns doch mal genauer an. Denn es klingt wie ein Paradoxon: Mehr Straßen führen zu mehr Verkehr. Dabei werden sie doch gebaut, um die Staus zu reduzieren! Lest dazu auch gerne den wurstend Artikel .
Hat sich also die Regierung mit dem Bundesverkehrswegeplan ein perpetuum mobile geschaffen? Oder schlimmer noch, ein sich selbst verstärkendes System? Einen Teufelskreis sozusagen, der nach einigen Jahren nach einem weiteren Ausbau verlangt?
Ein kürzlich veröffentlichter NCHRP-Bericht legt nahe, dass die meisten Verkehrsbehörden die induzierte Nachfrage zumindest implizit bereits einplanen. Laut der Studie sagen die Verkehrsprognostiker das Verkehrsaufkommen nach Fertigstellung eines Autobahnprojekts in der Regel mit einer Genauigkeit von 17 % des beobachteten Verkehrsaufkommens voraus, und ihre Prognosen liegen in der Regel sogar darüber. Damit ist induzierter Verkehr auch so etwas wie eine „self fulfilling prophecy“.
Ökologische Schäden nicht betrachtet
Neben den Verrechnungen bei dem induzierten Verkehrsaufkommen, werden häufig auch nicht die ökologischen Schäden betrachtet oder allenfalls zu niedrig beziffert. Der BUND kritisiert in seiner Veröffentlichung dies mit folgenden Worten: „Die aktuelle Verkehrswegeplanung des Bundes läuft den Klimazielen entgegen, zerstört wertvolle Naturräume und behindert die Mobilitätswende. Sie ist unvereinbar mit den deutschen und internationalen Zielen des Klima-, Lebensraum- und Artenschutzes.“
Was sich hier so trocken liest, ist ein gravierendes Problem, das auch den Zielen des Europäischen Green Deals zuwider läuft und dem gerade verabschiedetem Gesetz zur Wiederherstellung der Natur .
Ein Rechtsgutachten zum BVWP, das von der unter umweltanwaelte.de organisierten Franziska Heß erarbeitet worden ist betrachtet die und kommt zu dem Schluß: “ … dass der Bundesverkehrswegeplan juristisch nicht haltbar sein könne. Eine neuerliche Veröffentlichung des „Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages“ kommt zu einer ähnlichen Einschätzung und sieht die Erforderlichkeit einer „kritischen Überprüfung der derzeit noch gültigen Planungen, insbesondere des Bundesverkehrswegeplans 2030 und der gesetzlichen Bedarfspläne.“
Man könnte also auch sagen: Der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2030 ist aufgrund fehlender Berücksichtigung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens und des aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 24.03.2021 novellierte KlimaSchG in Teilen rechts- und verfassungswidrig.
Ist der Ausbau von Fernstraßen (Autobahnen) noch zu verantworten?
Wir können also feststellen, dass im BVWP2030 erhebliche methodische Fehler gemacht wurden.
- 1. Emissionen durch den geplanten Ausbau widersprechen den für den Verkehrssektor zur erzielenden Reduktion
- 2. Die ökologischen Schäden werden nur unzureichend (wenn überhaupt) betrachtet
- 3. Der BVWP2030 ist möglicherweise verfassungswidrig
- 4. Verzögerung der Anpassungsmaßnahmen des BVWPs
Doch die Mühlen der Gerichte mahlen langsam und so formiert sich bürgerlicher Widerstand gegen Autobahn-Projekte.
In der österreichischen Hauptstadt Wien wurde der Stopp des Lobau Tunnels gemeinsam mit dem WWF, den FFF und XR erreicht. In dem Ringen um Stadtplanung, Verkehr und Klimaschutz und nicht zuletzt der „wirtschaftlichen Entwicklung“ bestimmter Stadtteile. Ein Jahrzehnte lang geplantes Projekt wurde trotzdem es eigentlich schon den „point of no return“ überschritten hatte, gestoppt.
In der bundesdeutschen Hauptstadt Berlin waren die GegnerInnen der Verlängerung der A100 weniger erfolgreich. Interessant ist aber schon, dass für die heftig umstrittene Verlängerung der Berliner Stadtautobahn nach Lichtenberg die Autobahn GmbH zuständig ist, die 100 Prozent im Bundesbesitz ist, die unstrittigen Sanierungsprojekte: Rudolf-Wissel-Brücke, Dreieck Funkturm und Grundsanierung A 111 dagegen von der Deges gemanagt werden.
Im Ruhrgebiet streitet seit Jahren das Bündnis für den Erhalt des Sterkrader Forsts. Zusammen mit dem BUND sind sie aktiv geworden und haben diverse Eingaben im Oberhausener Stadtrat gemacht. Unter https://sterkibleibt.de/ fassen sie ihre Aktionen zusammen und kooperieren mit lokalen FFF Gruppen.
Leider sind sie mit der Beschlußvorlage: „Der Rat der Stadt Oberhausen beschließt: Der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2030 ist aufgrund fehlender Berücksichtigung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens und des aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 24.03.2021 novellierte KlimaSchG in Teilen rechts- und verfassungswidrig. Der Rat der Stadt Oberhausen fordert das Bundesverkehrsministerium, die Autobahn GmbH des Bundes und die Bezirksregierung Köln als Planfeststellungsbehörde auf, das laufende Planfeststellungsverfahren ‚Ausbau Autobahnkreuz Oberhausen‘ bis zu einer erfolgten Bedarfsplanüberprüfung des BVWP auszusetzen.“ gescheitert.
Auch in der überregionalen Wochenzeitung die Zeit wurde am 6.6.24 der Bau einer Autobahn durch das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide zum Aufhänger genommen, um die Bundesverkehrswegeplanung kritisch unter die Lupe zu nehmen.
Und was macht die Autobahn-GmbH?
Was in Österreich mit dem Baustopp des Lobaus-Tunnels geht, ist in Deutschland schwierig. Denn wir haben die Bundes Autobahn Gesellschaft.
Die Autobahn GmbH des Bundes ist eine deutsche GmbH des Bundes in Verantwortung des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr. Sie wurde vom Minister Mautdesaster Scheuer initiiert und am 13. September 2018 gegründet. Sie übernahm am 1. Januar 2021 Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung, Finanzierung und vermögensmäßige Verwaltung der Autobahnen in Deutschland.
Wichtigster Punkt bei der Gründung war, dass die GmbH im Besitz des Bundes verbleibt und nicht in private Hand gelangt.
Dennoch sind als Hauptinvestoren die Allianz- und Ergo-Versicherungen, sowie die Deutsche Bank beteiligt. Auch hier sollte der Privatisierung Einhalte geboten werden, indem nur Ausbauten unter 100 km als ÖPP (öffentlich private Partnerschaften) gefördert werden können. Ein Witz, denn die Teilprojekte im BVWP sind in der Regel von Anschlußstelle zu Anschlußstelle geplant und 100 km am Stück? Wo in Deutschland soll das bitte noch funktionieren?
Eigentlich sollte die Autobahn GmbH mit der Deges fudioniert werden, was aber aufgrund der Ausrichtung nicht gelang. Heute sind beide Gesellschaften Konkurrenten mit deutlichem Nachteil für die Autobahn GmbH.
Die vielen Berichte über die Autobahn GmbH lassen die Vermutung aufkommen, dass diese Gesellschaft in weiten Teilen dysfunktional ist. Die (möglicherweise) sinnvolle Bündelung der Aufgaben der Autobahnmeistereinen wird aber dadurch konterkariert, dass durch das Engagement privater Investoren der Autobahnbau zu einem FINANZPRODUKT geworden ist. Für das gelten andere „Regeln“ als für Vorhaben der Daseinsvorsorge.
Kein Plan, den man nicht ändern könnte
„Ein Plan, der nicht geändert werden kann, ist schlecht.“
Publilius Syrus
Sinnvollerweise sieht das BVWP2030 regelmäßige Revisionen vor. Denn Bedarfe ändern sich und Rahmenbedingungen auch. Wobei man die sich verändernden Rahmendbedingungen (auch schon 2016) durch die Klimakrise hätte antizipieren können. Der Ball liegt also nun im Bundesverkehrsministerium, das sich auch unter der Leitung von Wissing nicht wirklich in Richtung Klimaneutralität bewegt. Im Gegenteil: Erst reißt es seine eigenen Klimaziele, dann versucht die Ampel das Klimaschutzgesetz aufzuweichen und bedient sich dann auch noch des populistischen Tons der Bild-Zeitung, die das Gespenst von Fahrverboten an die Wand malt .
Auch in der Opposition ist man offenbar in seinen eigenen Glaubensgrundsätzen gefangen und blamiert sich mit einer Umfrage, das von der EU beschlossene Verbrenner-Aus zu kippen .
Was also tun? Ja, Planänderung. Vielleicht mal auf die eigenen Fachleute hören, die die Sinnhaftigkeit der flächendeckenden Asphaltierung der Republik in Frage stellen und die frei gewordenen Gelder in die Klimaanpassungsmaßnahmen der Kommunen fließen lassen. Denn dazu ist ja auch grade ein Gesetz verabschiedet worden.
Trotz alledem werden wir BürgerInnen wachsam sein müssen, damit nicht Autobahnen durch „die Hintertür“ gebaut werden. Denn häufig sind in den Ausbauplänen Lärmschutz und Sanierung von Brücken an den Ausbau der Straße gekoppelt. Dadurch werden sinnvolle und wünschenswerte Maßnahmen mit sinnlosen und klimaschädlichen vermischt. Das sollte aber auch in Politik und Verwaltung aufgefallen sein, oder?