Kipppunkt Fleischverzehr?
Die Nachrichten klingen unglaublich: Rückgang der Schweineschlachtung in Deutschland. Bedeutet das tatsächlich einen Wandel im Fleischverzehr? Was tut sich also wirklich in Richtung Tierwohl, Ernährung und Klimaschutz?
Inhaltsverzeichnis
Die Deutschen und ihr Fleisch
„Fleisch ist mein Gemüse“ oder „darauf brat ich jetzt mal ein Steak!“ sind so typische Kommentare unter Postings zu: welche veganen Restaurants eröffnet haben, wenn Martin Rütter (ja, der Hundeprofi) erklärt, dass ihm die vegane Bratwurst geschmeckt hat, oder wenn Cem Özdemir sagt, dass er Vegetarier ist. Die Republik empört sich über Fleischverzicht wie über Tempolimits , Klimakleber und das Gebäudeenergiegesetz. Wenn Du also die Grillparty sprengen willst, verzichte einfach auf Fleisch.
Öffentlich unterstützt wird diese Haltung von Leuten, die sagen: „Ja, was sollen die sozial schwachen denn essen?“ (und die schwer arbeitenden Kohlekumpels, die BauarbeiterInnen und die StreifenpolizistInnen…) Also eigentlich alle, denn das ist noch die vorherrschende Meinung in Deutschland: das Essen muss billig sein.
Ernährungsempfehlungen der DGE
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) ist kein Verband, dem man Avantgardismus oder Distanz zur Landwirtschaft vorwerfen muss. Aber selbst die so beharrlich konservative Organisation sagt: „Wenn Sie Fleisch essen, dann nicht mehr als 300 bis 600g pro Woche.“ Hier finde ich bemerkenswert, dass die DGE schon mit einer Einschränkung anfängt, nämlich mit „wenn“. Das könnte auch heißen, “falls Sie noch nicht darauf verzichten, dann essen Sie bitte weniger.“
Weniger, das ist etwas, was auch im Geschlechtervergleich der Deutschen (und ÖsterreicherInnen) auffällt. Von denen, die täglich Fleisch essen, sind es mehr Männer als Frauen. Signifikant mehr Männer.
Nun aber stehen Überlegungen im Raum, die empfohlene Tagesdosis drastisch zu reduzieren: 10g! Das wären dann 70g/ Woche und nur noch ein Zehntel der jetzt noch empfohlenen Menge. Woher kommt der Sinneswandel? Der Zeit war es immerhin einen Leitartikel wert. Die Überlegungen der DGE riefen sofort Herrn Söder auf den Plan, der den Fleischkonsum mit dem Hinweis: „Wir leben in einer Demokratie!“ verteidigte. Ja, Herr Söder muss man in Bayern wahrscheinlich so machen, denn sonst sind die Wähler schnell bei der AFD. Wie bei allen Vorschlägen, die eine Veränderung der Lebensgewohnheiten zugunsten von Klimaschutz, Tierschutz, Artenerhalt usw bedeuten.
Wird also Zeit, dass sich was ändert, denn die Ernährungsempfehlungen bei weight watchers werden auch kontinuierlich angepasst.
Inflation – Schluß mit billig
Doch der Traum vom billigen Fleisch ist aus. Der Merkur titelt sogar von Fleisch-Preisschock und brandmarkt den Landwirtschaftsminister auch gleich als den Übeltäter. Den Bestand der Tiere zu reduzieren! Das ginge am Bedarf vorbei. Und so sehen wir auch hier wieder die gleichen Spaltlinien der Gesellschaft.
Aber was ist dran, wenn die Tagesschau feststellt, dass in Deutschland die Bestandszahlen von Schweinen rückläufig sind? Will uns hier ein öffentlich rechtlicher Sender vorsichtig auf einen Kipppunkt vorbereiten?
Ein Rekordwert, der sicherlich nicht (nur) auf die Politik der Grünen zurück zu führen ist, denn insgesamt geht der Fleischverzehr in Deutschland zurück, besonders drastisch beim Schwein. Und zwar auf durchschnittlich 29 kg pro Jahr pro Kopf in 2022.
Dazu kommen sicherlich auch noch andere Punkte, wie fehlende Absatzmärkte wie zB China, das 2020 den Import von deutschem Schweinefleisch verboten hat. Und auch das hat einen Grund, nämlich die Afrikanische Schweinepest, die sich kontinuierlich weiter durch Europa ausbreitet. Das Friedrich-Löffler-Institut veröffentlicht regelmäßig Daten zur Ausbreitung.
Und Söder kann beruhigt sein. Während in Deutschland die Bestandszahlen zurück gehen, steigen sie in Spanien. Auf sein Schnitzel wird er nicht verzichten müssen.
Weltweiter Fleischboom bedroht das Klima
Häufig werde ich angesprochen darauf, warum wir denn in Deutschland die ersten sein sollten, die Klimaschutz betreiben, aufs Auto und Fleisch verzichten, wenn denn doch in der Welt viel größere Verursacher weiter CO2 emittieren und Tiere schlachten.
Stimmt, das Klima (und uns) werden wir nur gemeinsam retten. Doch irgendwer muss anfangen. Warum nicht also diejenigen, die die Probleme erkannt und dazu in der Vergangenheit profitiert haben? Also wir. Denn wir können nicht von Leuten, die gerade erst ihren Lebensstandard verbessert haben, erwarten, dass sie es sind. Wir als Industrienation, als Demokratie (Herr Söder!) sind in der Pflicht voranzugehen.
Die Heinrich Böll Stiftung veröffentlichte 2021 in ihrer neuesten Auflage des Fleischatlas, übrigens ein Kooperationsprojekt mit dem BUND und der Le Monde diplomatique, die dramatischen Auswirkungen unseres Konsums.
Ich finde, es ist endlich Zeit zum Handeln und nicht darauf zu warten, dass uns die Kipppunkte einholen. Die neuen Empfehlungen der DGE wären ein guter Auftakt, wenn sie nicht durch die Eingaben – sehr wahrscheinlich der Bauernverbände – verwässert werden.