Generation Global – wird sie die Klimaziele umsetzen?
Das neue Normal ist nicht normal – vielleicht versteckt sich dahinter eine Zeitenwende. Aber wenn, dann ist das Signal „Klar zum Wenden!“ noch nicht bei der Crew angekommen. Eher stecken wir den Kopf in den Sand und tun so, als ob Rasenmähen derzeit erste Bürgerpflicht sei. Den Wohlstandstanker wenden, das traut sich keiner. Da scheint es einfacher über hohe Gaspreise zu lamentieren, wie neulich bei Maischberger. Dr. von Hirschhausen stellte aber das Thema klar: Hitze.
It’s real, it’s us, it’s bad
Wir sind mitten drin – mitten im Klimawandel. Es ist so. Wirklich. Dabei klingt Klimawandel viel zu harmlos – es ist eine essentielle Krise mit Ansage. Und es geht jetzt nicht mehr nur darum, die Treibhausgas Emissionen zu reduzieren (Gassparen hilft!), sondern auch die Folgen der globalen Erwärmung abzumildern: Niemand spricht mehr von aufhalten, denn wir sind drin in einem immer schneller und dramatischer werdenden Wandel. Warum schauen wir also weg? Haben wir Angst vor der Wahrheit? Oder davor, in die Pflicht genommen zu werden?
Da postet jemand was in den sozialen Medien zum Klimawandel und die Kommentare darunter: „Die Politik muß endlich handeln!“ Oder noch besser: „Es muß jetzt dringend gehandelt werden!“ Alle, aber bitte nicht ich. Ich vegan? Klamotten second hand? Warum versuchen wir immer auf das „man“, das unbestimmte Pronomen zu referenzieren oder einfach auf „die Politik“? Möglicherweise sind „die“ genauso hilflos wie wir.
Tut sich außer FridaysforFuture denn gar nichts in unserer Gesellschaft?
Experts agree there is hope – die Sinus Milieus
Es ist richtig, die Probleme dieser „Multi Crisis Word“ scheinen so übermächtig, dass einzelne, individuelle Beiträge dagegen wirkungslos erscheinen. Aber das sieht nur so aus, denn in Wirklichkeit kann unser einzelnes Handeln viel bewegen. Denn wir sind nicht allein.
Denn als soziale Wesen gehören wir in der Regel zu sogenannten Wertegemeinschaften. Das kann die Familie sein, die Nachbarschaft, der Freundeskreis oder sogar das Quartier, in dem wir wohnen. Das sind die Nachbarschaften, wo du wegen deiner Vorliebe für Gemüse nicht komisch angesehen wirst und niemand dir eine fette Wurst unter die Nase hält. Diese Milieus verstärken auch bestimmte nachhaltige Verhaltensweisen wie zB das Recycling oder Foodsharing. Deswegen macht es Sinn, sich diese Milieus mal genauer anzusehen.
Das Sinus-Institut analysiert seit 1970 diese Wertegemeinschaften und gruppiert uns Deutsche in zehn Milieus, die sich nach sozialer Schicht und Grundorientierung aufspalten. Mit diesem Tool lassen sich Personen oder Gruppen zielgenau ansprechen, in der Werbung genauso wie im Wahlkampf oder bei der Mobilisation gegen den Klimawandel.
Insgesamt kann man die Milieus drei teilen in solche, die eine positive Einstellung zu Natur und Umweltschutz haben und sich auch aktiv einbringen wollen, das sind in der Regel die sozial besser gestellten Milieus. Dann solche, die keine Einstellung zu dem Thema haben, sie befinden sich in der unteren Mitte und solche, die sich durch die Maßnahmen zum Klimaschutz bedroht fühlen. Diese Milieus befinden sich in der sozialen Mitte.
Was motiviert die Leute aus verschiedenen Milieus?
In der Kommunikationsforschung gibt es konkrete Ansätze, wie man den Menschen Botschaften überbringt und zwar abhängig von ihren Werten, ihrem Informationsstand und politischen / religiösen Einstellungen. Das ist wichtig zu betrachten, denn Klimawandel und Naturschutz gelten in vielen Milieus als sogenannte „linke“ Themen und sind zB Konservativen schwerer zu vermitteln. Konservative sprechen eher von der „Bewahrung der Schöpfung“. Sinus erstellt nun für jedes Milieu ein „Persönlichkeitsprofil“, aus dem auch abzulesen ist, wie die Einstellung und der Umgang mit Klimawandel sind. Ob Personen dieses Milieus zum Mitmachen bei „Clean-ups“ zu bewegen sein könnten oder eher bereit sind, in eine PV-Anlage zu investieren.
Der Ruf nach der Politik oder ganz allgemein zu handeln kommt daher überwiegend aus der bürgerlichen Mitte. Dem Milieu, das Veränderungen am meisten fürchtet, weil sie das Erreichte gefährden könnten. Traditionelle und Prekäre haben aufgrund ihrer Einstellungen bzw des verfügbaren Einkommens einen eher geringen klimatischen Fußabdruck, sind leider auch schwer zu motivieren. Hedonisten sind Konsum orientiert und wollen Spaß haben. Die adaptiv Pragmatischen fühlen sich eher überfordert. Damit sind die klassischen Milieus, die aktiv etwas gegen Klimawandel unternehmen können die konservativ Etablierten, die technische Lösungen favorisieren. Die liberal Intellektuellen sind eher kosmopolitisch unterwegs und kompensieren ihren Fußabdruck, währen die sozial Ökologischen den Klimaschutz als Staatsziel sehen, Performer die ökonomischen Risiken sehen und die Expeditive Strategien zur Transformation entwickeln.
Das Ende der bürgerlichen Mitte – es ruckt in der Gesellschaft
Das Sinus Institut stellte im Oktober 2021 sein aktuelles Gesellschaftsmodell vor: „Das Ende der Bürgerlichen Mitte, wie wir sie kannten“. Dabei geht es darum, dass die Bürgerliche Mitte, die die gesellschaftliche Ordnung bejaht, aber gleichzeitig von Abstiegsängsten geplagt wird, sich abgehängt fühlt. Diejenigen, die resignieren, finden sich in der nostalgisch bürgerlichen Mitte wieder, die anderen sind dem adaptiv pragmatischen Milieu zuzuordnen. Auch diese hat sich neu formiert und ist Veränderungen gegenüber aufgeschlossener.
Die Veränderungen innerhalb von zwei Jahren traten stark bei den liberalen Intellektuellen und dem sozialökologischen Milieu auf. Diese verschmelzen zu den Post-Materiellen, das bisherige sozial ökologische Milieu geht aber auch auf in dem neuen Milieu der Neo-Ökologischen. In dieser neuen Gruppe finden sich viele ehemalige Hedonisten und wahrscheinlich noch weitere aus anderen Milieus. Insgesamt sind die Veränderungen in der gesellschaftlichen Mitte am größten. Sie betreffen überwiegend die Milieus, die sich nich aktiv im Kampf gegen den Klimawandel einbringen (können).
Die Transformation hat begonnen – die Postwachstumsgesellschaft kommt
Nichts ist so beständig wie der Wandel. Dies gilt auch für die Einstellung der Menschen zu bestimmten Problemen. In nur drei Jahren hat sich die Verteilung der Sinus Milieus deutlich verändert. Die drängenden Fragen des Klimawandels und des Bevölkerungsschutzes müssen angegangen werden. Die Leitmilieus dafür sind weiterhin die etablierten Konservativen, die Postmateriellen und Perfomer, sowie die Expedetiven. Von den Neo-Ökologischen dürfen wir aber die größten Beiträge zur Veränderung erwarten.
Während unser Bundeskanzler mit dem Refrain einer alten Fußballhymne die Befindlichkeiten der nostalgisch Bürgerlichen versucht abzuholen, finden die Veränderungen woanders statt. Angetrieben werden sie durch die Neo-Ökologie, die das Zukunftsinstitut als Megatrend der 2020iger Jahre benennt. Hier geht es um
- Die Reintegration des Menschen in das Ökosystem Erde
- Die Veränderung des Verbrauchs, nicht unbedingt weniger, sondern klüger
- Die Transformation des Wirtschaftssystems in ein Wertesystem
- Eine „Generation Global“, die eine nachhaltige Welt erschaffen will
Aus dem Milieu der Neo-Ökologie kommt sowohl Optimismus als auch Aufbruchsstimmung. Beides können wir als Gesellschaft insgesamt gut gebrauchen. Sie sind offen für neue Wertesynthesen und sehen sich selbst als progressive Realisten.
Das sind doch endlich mal gute Aussichten! Packen wir mit an!