Buchrezension: Klimakommunikation – Das Handbuch
Wurstend, jetzt seid Ihr komplett verrückt geworden? Ihr rezensiert ein HANDBUCH? Kommen von Euch demnächst auch Rezensionen zu DIN und ISO Standards?
Vielleicht, aber wir sind weder verrückt, noch einseitig Technik gläubig. Denn dieses Handbuch konzentriert sich auf etwas, was wir als RedakteurInnen täglich brauchen: die Kommunikation. Und bekanntermaßen ist das mit der Kommunikation ja etwas schwierig. Da es geht nicht nur um die unterschiedlichen Empfangsebenen, die vier Botschaften, die eine Nachricht beinhalten kann. Es geht auch darum, dass in den Zeiten von Corona leicht über Verbote und Ideologien gesprochen wird und gar nicht mehr über die Sache selbst. Und nicht nur im persönlichen Gespräch, sondern auch von den Parteien im politischen Kontext. Kommunikation ist heute eine echt komplexe Sache geworden. Da ist es sehr hilfreich, wenn es denn ein Handbuch gibt, das einem das Leben und vor allem das „darüber sprechen“ leichter macht.
Der Autor Christopher Schrader
Christopher Schrader ist Wirtschaftsjournalist und lebt in Hamburg. Er gehört zum Journalistenteam der Riffreporter und hat sich dieser Aufgabe der Erstellung des Handbuchs angenommen. Ihn zeichnen aus:
- seine relativ lange Tätigkeit in diesem Beruf, fast 30 Jahre
- seine naturwissenschaftliche Ausbildung
- sein persönliches Engagement im Klimawandel
Ich selbst fühle mich in seine Artikel förmlich hineingezogen und bewundere neidvoll seine fantastische Art, Sachverhalte so glasklar darzustellen. Dabei widmet er sich im Handbuch als Physiker ziemlich fachfremden Sachen: der Psychologie und den Sozialwissenschaften. Diese spielen in der Bekämpfung des Klimawandels entscheidende Rollen.
Die Fakten sind bekannt, warum handeln wir nicht?
Die Fakten sind bekannt, warum handeln wir nicht? Das könnte man als die zentrale Botschaft des Handbuchs verstehen. Und Schrader dröselt geduldig auf, warum wir nichts tun. Da sind zum einen die Lobby gesteuerten Desinformations-Kampagnen, die Zweifel säen sollen an den wissenschaftlichen Daten (merchants of doubt). Weiterhin die mentalen „Schleichwege“ derer wir uns selber bedienen, um das, was wir wissen nicht mit unseren Handlungen in Deckung zu bringen. Und darüber hinaus gibt es ganz viele Befangenheiten, Überzeugungen, Wertesysteme und soziale Strukturen, die uns daran hindern, selber aktiv zu werden oder Probleme zu erkennen und zu lösen.
Diese beleuchtet er Schritt für Schritt und führt uns vor, wo auch wir selber unsere „Sperren“ haben.
Viele Nachrichten zum Klimawandel erzeugen Angst und Abwehr
Als ich vor zwei Jahren begann, zum Klimawandel auf Facebook zu posten, erhielt ich immer mehr und immer unheilvollere Nachrichten zu den Katastrophen auf dieser Welt. Das Gefühl von Ohnmacht breitete sich bei mir aus. Das geht vielen anderen auch so. Damit man noch ein halbwegs vernünftiges Leben führen kann, ignoriert man dann diese Nachrichten oder leugnet sie gleich ganz. Eine Antwort, die ich häufig bekommen habe, ist: „Was kann denn Deutschland ausrichten gegen die mächtigen Amerikaner und Chinesen, die doch soooo viiiel mehr CO2 ausstoßen als wir?“
Oder ganz regelmäßig in Gesprächen im Freundeskreis oder wie auch zur Langen Nacht der Politik in Düsseldorf, die Antworten zu Veggie Day und Tempolimit: „Ich lasse mir nichts verbieten!“ Solche Diskussionen werden emotional aufgeladen geführt und bringen meist nichts, weil die GesprächspartnerInnen sich schon in die Ecke gedrängt fühlen.
Das Handbuch hält hier also ganz praktische Vorgehensweisen bereit.
Mehr Arbeitsbuch als Handbuch
Das Handbuch zur Klimakommunikation ist online verfügbar. KOSTENLOS! Das unterscheidet es positiv von vielen (wissenschaftlichen) Veröffentlichungen zu Klima und Klimawandel, die kostenpflichtig sind. Das nur als Vergleich, wie den BürgerInnen die Datensammlung und der Wissensaufbau in Sachen Klima erschwert werden. Publikationen zu Corona sind alle open access.
Dieses Handbuch kann man online lesen oder als pdf downloaden. Ich empfehle letzteres, denn es sind viele spannende links zu verwandten Wissensgebieten enthalten! Diese möchte man vielleicht später noch mal nacharbeiten. Weiterhin bietet das Handbuch Arbeitsmaterialien, mit denen man selber überprüfen kann, wie gut man z.B. mit Zahlen und Relationen umgehen kann, oder wie sehr einen das eigene Wertesystem bei Entscheidungen „leitet“.
Vortrag von George Marshall an der University of Sheffield
Wer steckt dahinter?
Transparenz und Glaubwürdigkeit sind in der Kommunikation wichtige Voraussetzungen. Auf der Seite https://www.klimafakten.de/ werden in einem Blog aktuelle Themen besprochen. Dabei kann man der Seite Klimafakten durchaus kritisch gegenüber stehen. Sie ist das gemeinsame Projekt der Mercator Stiftung und der European Climate Foundation. Das Handbuch zur Klimakommunikation wird auf der Startseite verlinkt. Als Projekt wird es von der Marga und Kurt Möllegard Stiftung ermöglicht und bekommt dadurch eine gewisse Unabhängigkeit.
Natürlich ist dieses Handbuch keine deutsche Erfindung, denn im Angelsächsischen Bereich – dort wo politische Ausrichtung und Weltbild häufig untrennbar miteinander zusammen hängen – gibt es verschiedene Ansätze: Aus den USA The Psychology of Climate Change Communication, aus UK mit dem sehr umtriebigen Klimaaktivisten George Marshall, siehe auch das Video weiter oben die Webseite Climateoutreach und aus Australien: https://skepticalscience.com/.
Vor diesen VordenkerInnen verbeugt sich Schrader übrigens, was mir das Ganze noch sympathischer macht.
Welche Inhalte darf ich erwarten?
Von der Struktur her unterscheidet sich dieses Buch nicht wesentlich von anderen Kommunikationshandbüchern. Gerade der Mittelteil, in dem Ziel, Zielgruppen, Botschaften und BotschafterInnen evaluiert werden, findet man auch woanders. Spannend wird es danach, nämlich bei den konkreten Umsetzungen, bei denen der Klimawandel absolut im Fokus steht. Natürlich gibt es auch hier Parallelen zur Wissenschaftskommunikation. Von den geplanten 23 Kapiteln sind bisher 16 fertiggestellt. Das Handbuch ist also noch nicht mal fertig! Daher erwarte ich mir gerade gegen Ende hochspannende Aktualität.
Wird das Handbuch denn überhaupt angewendet?
Gute Frage, aber genau das denke ich. Ich habe es zwar „zufällig“ entdeckt. Aber auf der Webseite der Klimaliste BW, einer Partei, der die Grünen nicht mehr grün genug sind, fand ich einen Textausschnitt und war begeistert. Diese Begeisterung hat beim Lesen der weiteren Kapitel nicht nachgelassen. Und ich hoffe, dass sich alle jungen und älteren KlimaaktivistInnen mit diesem Handbuch auseinandersetzen. Denn außer der Schweigespirale, bei der sich eine Mehrheit nicht mehr traut ihre Meinung zu sagen, weil sie soziale Konsequenzen befürchten , wird umgekehrt auch das Erreichen sozialer Kipppunkte beschrieben. Wenn also der Umgang mit dem Klimawandel und das Ergreifen von Maßnahmen als eine erstrebenswerte gesellschaftliche Aufgabe angesehen wird, wird es zu einer Welle des Mitmachen Wollens führen. Dann werden Leute, die sich der Sache anschließen positiv konnotiert und nicht mehr als vegane Öko-Spinner abgetan. Wohlgemerkt als eine bewusste Entscheidung.
Wir dürfen also erwarten, dass wenn Grüne und FDP ihren Auftrag der Jugend ernst nehmen, auch mehr und anders über den Klimawandel gesprochen werden wird. In diesem Sinne: Alle fürs Klima!
Nachtrag 23.09.2023: Nichts ist so beständig wie der Wandel. Jetzt gibt es das Klimahandbuch im Handel und glücklicherweise noch onliene hier.
Weitere links zu Klimafakten und Kommunikation:
http://climatefactsnow.org/en/
https://theclimatecommsproject.org/climate-communication-in-practice/
https://www.climatechangecommunication.org/why/
https://www.cornellpress.cornell.edu/book/9781501730818/communicating-climate-change/
Bildnachweise:
Titelbild, eigenes Werk Ghita Lanzendörfer-Yu
Abbildung 1: Screenshot des Inhaltsverzeichnisses Handbuch Klimakommunikation