Zeitenwende – was sich wirklich ändern muss
Zeitenwende ist gerade das Schlagwort der Politik, die dabei wohl etwas anderes meint als tatsächlich gebraucht würde. Zeitenwende, das klingt zumindest für mich nach einer fundamentalen Neusortierung unseres Lebens. Nicht nur nach Verzicht oder einer euphemistischen Gewohnheitsveränderung, sondern nach einem tiefgreifenden sozio-ökologischen Wandel. Dieser kann nicht nur bei mir in Küche und Bad passieren, sondern muß alle gesellschaftlichen Strukturen miterfassen. Wie es Prof. Mark Oelmann sagte: „Ich glaube nicht daran, dass wir wirklich weiterkommen, wenn wir nur an die Menschen in Deutschland appellieren, klimaschonender zu leben.“ Und meint damit den individuellen Verzicht auf Konsum.
Aber was braucht es dann?
Der Status Quo – die Geldschöpfungskette
Betrachten wir doch mal das, was gemeinhin als Wertschöpfungskette gilt. Also das Ausbeuten von Ressourcen, ArbeiterInnen und Umwelt und die „Veredelung“ des Produktes entlang dieser Kette (Abb.1) Was sich mir dabei nicht erschließt ist, warum ein Produkt wertvoller werden soll, wenn es verschiedene Schritte durchlaufen hat, an denen andere Marktteilnehmer verdienen.
Alles, was ich sehen kann, ist dass das Produkt entlang der Geldschöpfungskette teurer wird. Aber wertvoller?
Preis und Wert
Googelt man z.B. „das wertvollste Unternehmen der Welt“, bekommt man tataa: „Apple wurde zum Stichtag von PWC erneut zum wertvollsten Unternehmen der Welt gekürt. Der Marktwert lag laut der Analyse am 31. März 2022 bei 2,85 Billionen Dollar.“ Und das Magazin Capital sagt sogar: „Nie waren die 100 größten Firmen so wertvoll wie 2022!“
Genau hier steckt das Dilemma. Denn, ob etwas wertvoll ist, sollte doch nicht nur in Geld bemessen werden, oder? Die Ökonomin Mariana Mazzucato ist diesem Phänomen in ihrem Buch “Wie kommt der Wert in die Welt” (im Englischen “The Value of Everything”) auf den Grund gegangen. Früher bemaß sich der Wert eines Produktes an der Arbeit, die es brauchte, um es herzustellen. An zweiter Stelle stand dann erst, wie sehr es von den KonsumentInnen verlangt wurde und ob das Produkt selten ist. Heute wird der Wert synonym zum Preis verwendet.
Dass “Wert” klammheimlich zu “Geld” wurde ist eine längere Geschichte, in der Banken irgendwann als produktiv und damit wertvoll dazugerechnet wurden. Und jetzt verleihen Banken nicht nur Geld, sondern versuchen, es selber zu vermehren. Auch ins Bruttoinlandsprodukt gehen solche vermeintlichen „Wertschöpfungen“ mit ein und verzerren damit seine Aussagekraft. Aber bevor ich mich hier zu sehr im Detail verliere, empfehle ich nicht nur das Buch, sondern die grundsätzliche Beschäftigung mit Mariana Mazzucato.
Zeitenwende ist kein Weiter-So nur unter anderen Vorzeichen
Wenn wir das jetzt ernst nehmen mit der sozio-ökologischen wie der ökonomischen Transformation, dann müßte sich ja auch unser gesamtes Wirtschaftssystem ändern. Also weg von einer Fixierung auf die Rendite und einer Maximierung des sogenannten “Shareholder Values” hin zu einer wirklichen Wertsteigerung – einem gesellschaftlichen Mehrwert. Das fasst das Schlagwort „Gemeinwohlökonomie“ zusammen und ist eine von Christian Felber, dem Aktivisten und Gründer von Attac Österreich, ins Leben gerufene Initiative. Kernpunkt dieser Idee ist nicht die Abschaffung des Kapitals, sondern die zielgerichtete Nutzung desselben: Geldscheffeln à la Dagobert Duck ist passé. Das Geld soll vielmehr dienen.
Aber davon sind wir noch weit entfernt, wenn man sich z.B. den Marktbericht der Unternehmens- und Politikberatung Roland Berger zu Proteinalternativen ansieht.
Da wird im Paper folgendermaßen argumentiert: „The alternative proteins market is still relatively young but booming, and is dominated by plant-based protein sources – though novel sources like animal cell culture, fermented proteins and insect proteins are on the rise. This is a market that is set to grow substantially, driven by strong consumer pull, especially among the younger generations who are looking for more sustainable, animal-friendly and healthy food.”
Übersetzung: Der Markt für alternative Proteine ist noch relativ jung, aber er boomt und wird von pflanzlichen Proteinquellen dominiert – obwohl neuartige Quellen wie tierische Zellkulturen, fermentierte Proteine und Insektenproteine auf dem Vormarsch sind. Es handelt sich um einen Markt, der aufgrund der starken Nachfrage der Verbraucher, insbesondere der jüngeren Generationen, die nach nachhaltigeren, tierfreundlichen und gesunden Lebensmitteln suchen, erheblich wachsen wird.
Kurz, hier wird versucht, einen Wert zu schaffen, indem ein vermeintliches Verbraucherbedürfnis nach Proteinen kreiert wird. Abgesehen, davon, dass man zurecht fragen darf, ob denn ein Weiter-So unter anderen Vorzeichen – wie z.B. der Ersatz des Verbrenner-Autos durch das E-Auto – das Problem lösen kann. Ja, überhaupt der eingangs genannten Zeitenwende gerecht wird. Denn dies würde bedeuten, dass die VerbraucherInnen in diesem Fall erkennen würden, dass sie keine extra Proteine brauchen und ihr Bedarf durch eine ausgewogene Pflanzen basierte Ernährung gedeckt wird.
Die Publikation von Roland Berger würde dann ins Leere laufen, denn den vermeintlichen Markt für Proteine gäbe es nicht und auch der zu erwartende Gewinn würde nicht eintreten.
Natürlich macht es Sinn, tierische Proteine durch pflanzliche zu ersetzten, allein weil die industrielle Massentierhaltung unter ethischen, ökologischen und bald auch ökonomischen Gesichtspunkten nicht mehr tragbar ist. Es macht zudem Sinn, Geld (Investitionen) in einem weniger umweltschädlichen Bereich zu binden, damit dort die Transformation weiter gehen kann. Wenn wir unsere (weltweite) Ernährung sicher stellen wollen, ist eine dramatische Verringerung des Tierbestandes notwendig. Und die Veränderung unseres Speiseplans auch.
Ziel orientierte Politik
Mariana Mazzucato argumentiert in ihrer Veröffentlichung „Mission oriented innovation policies“, dass die Politik weg kommen müsse von einer reinen Korrektur von Fehlern hin zum Setzten der richtigen Ziele. Die Herausforderungen des Klimawandels müssten in konkrete Ziele herunter gebrochen sowie deren Lösungen technologieoffen und mit Nachdruck gefördert werden. Mazzucato nennt die deutsche Energiewende als positives Beispiel. Sie kritisiert weiter die fehlende Wertschätzung der Förderung durch die öffentliche Hand, die wie bei der Corona-Impfstoffentwicklung klein geredet und die Gewinne privatisiert würden. Das eigentliche Ziel, die Weltbevölkerung zu immunisieren, gerate dabei aus dem Blick.
Zum Fördern gehört auf der anderen Seite auch das Besteuern. Verfahren oder Verhalten, die der übergeordneten Herausforderung Klimawandel nicht dienlich sind, müssen bepreist werden. Mariana Mazzucato ist auch in diesen Gebiet unterwegs und beschreibt sechs Bereiche, die transformiert werden müssen, um die UN Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Ist das jetzt schon Kapitalismuskritik?
Wenn man sich nun die Forderungen und Handlungsempfehlungen der Wissenschaften anschaut, kommt man nicht umhin zu fragen, ob das nicht massive Kritik am Kapitalismus ist. Aus meiner Sicht ist es das. Wir sehen, dass unser derzeitiges Handeln und das System, in dem es stattfindet, nicht zukunftsfähig sind. Endloser Konsum ist genauso unmöglich wie unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten. Mit der Globalisierung haben wir viele Probleme unseres (westlichen) Konsums in andere Staaten verlagert, die, um wettbewerbsfähig produzieren zu können, die Umwelt hinten an gestellt haben. Ein Beispiel: Rodung des brasilianischen Amazonasregenwaldes zur Sojaproduktion für industrielle Massentierhaltung.
Zwar werden derartige Diskussionen gerne hinten an gestellt, wie auf dem “Zukunftsdialog Agrar und Ernährung” – vielleicht, um niemanden verschrecken zu wollen. Möglicherweise aber auch, um nicht deutlich aussprechen zu müssen, dass viele Unternehmen entlang der bisherigen Geldschöpfungskette dann obsolet wären. Wer braucht künftig Autowerkstätten, wenn der Verkehr überproportional mit dem Rad oder dem ÖPNV abgedeckt wird? Wer braucht noch Lebensmittelkonzerne, die nichts anderes tun, als aus Nahrungsmitteln Fastfood-Produkte zu erzeugen?
Aber, wenn wir das mit der wirklich Zeitenwende ernst nehmen wollen, dann müssen wir schleunigst anfangen, alles das umzusetzen, was uns persönlich möglich ist. Und dann unsere Politikerinnen in die Pflicht nehmen. Letzteres sollte einfacher sein als manche denken. Auch wenn Mariana Mazzucato noch in keiner Liste der einflußreichsten ÖkonomInnen geführt wird ist sie schon heute eine der wesentlichen Inspirationsquellen der Grünen. Dazu gehören übrigens auch alle diejenigen, die Geld neu denken und es mit „Modern Monetary Theory“ beschreiben.
Wie wir es drehen und wenden, nur mit Geld und einer anderen Verwendung desselben wird uns die Zeitenwende gelingen.