Bringen e-Scooter die Verkehrswende?
Im Jahr 2019 drängte das Bundesverkehrsministerium unter Führung von Andreas (Mautdesaster) Scheuer auf die Zulassung von E-Scootern in Deutschland. Viele Kommunen befürchteten ein dereguliertes Chaos wie 2017 in München als Billigfahrräder die Stadt überfluteten. Angeblich um die Verkehrswende voranzubringen setzte sich das BMV dann nach vielen Nachbesserungen durch. Sofort explodierte die Zahl der Tretroller in Großstädten – wie in Berlin.
Heute gehen Verleihfirmen auf Kommunen zu und machen „Angebote“, über deren Inhalt mir auch der Pressesprecher von TIER keine Details sagen konnte. Und dabei haben die Verleihfirmen hohe Ansprüche. Nicht jede Stadt oder Kommune bekommt ein „Angebot“: Es muss die sozio-demographische Struktur stimmen (also nicht zu alt oder arm), die Topographie (also nicht zu steil), ein (gut) ausgebautes Radwegenetz vorhanden sein, die Straßen asphaltiert und die Bürgersteige ausreichend breit. Wenn Scooter fahren sollen, wie beispielsweise in der Metropole Ruhr, dann vernetzt auch der ÖPNV diese Angebote. Über die tatsächlichen Hintergründe der Einführung von E-Scootern in Deutschland lässt sich spekulieren. Ich möchte hier die meist gepriesenen Vorteile – Verkehrswende und Nachhaltigkeit – unter die Lupe nehmen.
Fun-Faktor, Free-Float, Frustration
Das erste, was mir auffiel, als ich mich mit e-Scootern beschäftigte war: Fun, Spaß! Mit Fahrspaß werden im Prinzip alle Scooter angepriesen. Ob sie nun von Verleihfirmen oder von den Stadtwerken angeboten werden. „Fun“ – ist das jetzt das Schlagwort der Verkehrswende? Oder bedient es lediglich einen Trend aus Großstädten mit hipper Bevölkerung?
Ich betrachte hier genauer: TIER und lime, die ihre Dienste in meiner Kommune anbieten.
Damit das Geschäft mit den e-Scooter blühen kann, wurde anders als bei Leihrädern das Abstellen “vereinfacht”. Mit dem sogenannten Free-floating dürfen die Scooter überall dort abgestellt werden, wo es nicht verboten ist oder sie niemanden behindern. Kommunen können aber viele der öffentlichen Zonen zu Park-Sperrzonen erklären.
Toll! Die GegnerInnen kritisieren die permanenten Einschränkungen auf Fuß- und Radwegen (siehe auch Abbildung 3), die Fans würden gerne auch durch Fußgängerzonen cruisen. Die Verleihfirmen versuchen so etwas wie eine Scooter Etikette zu etablieren, aber ob die NutzerInnen das lesen? Das wilde Parken jedoch sorgt für hohes Frustrationspotential in den Städten, die nicht immer Maßnahmen dagegen ergreifen wollen Frust entsteht zum Teil auch bei den Verleihfirmen, denn manche FahrerInnen werfen die Stehroller schon mal von Brücken in Flüsse oder auf Straßen. Besonders in Gewässern werden die „nachhaltigen“ Leih-Scooter dann zu Gefahrgütern.
Mikromobilität und die letzte Meile
Mikromobilität verniedlicht meiner Meinung nach auf unzulässige Weise den emissionsfreien Verkehr. Denn nur, weil nicht hunderte von Kilometern zurück gelegt werden, sind zu Fuß gehen oder Radfahren keine unwichtige Fortbewegungsarten. Vielleicht kommt diese Wortschöpfung aber auch aus der Denke der Unternehmensberatungen, die die e-Scooter in irgendeinem Segment verordnen wollten- et violá! – Mikromobilität. Und zudem verspricht sie ein lukratives Geschäft: McKinsey schätzt den Umsatz, der in Europa bis 2030 generiert werden kann auf 150 Mrd Dollar. Für Deutschland immerhin 10 Mrd Euro.
Gedacht waren die e-Scooter ja zur Bewältigung der „letzten Meile“, und sollten verstärkt PendlerInnen den Umstieg auf den ÖPNV erleichtern. Und auch der ÖPNV erwartete sich dadurch höhere Nutzerzahlen. : E-Scooter zur Bewältigung der Fahrt zum Bahnhof oder vom Bahnhof zum Büro. Und das Auto kann stehen bleiben, oder? Doch so gut, wie gedacht, läuft es eben doch nicht.
Wer immer sich das mit der Einführung der e-Scooter also überlegt hat, hat entweder vorher die AutofahrerInnen nicht befragt oder nicht in andere Städte geschaut. Denn umgestiegen bzw aufgestiegen sind überwiegend FußgängerInnen und von denen auch nur diejenigen jüngeren Alters.
Statt einer Verringerung der automobilen Verkehrs haben die Städte und Kommunen jetzt ein weiteres Problem: Es stehen noch mehr Fahrzeuge rum. Wem nutzt das dann?
Und dann war da doch noch was!? Ja, die Reduktion der Emissionen! Ist der flächendeckende Einsatz von e-Scootern also auch eine Maßnahme zur Vermeidung von Dieselfahrverboten?
Offenbar weil sie die Elektrifizierung ihrer Fahrzeugflotte gründlich verschlafen haben, sprangen die Autobauer auf die Mikromobilität auf . Sie versuchen mit innovativen Designs eine Auto-ähnliche Haptik zu erzeugen. Im Zuge dessen promoten sie e-Scooter als ob sie diese selbst bauen würden.
Shared Economy zielt ganz Old School auf Gewinnmaximierung
McKinsey oder Roland Berger zeigen in ihren Studien deutlich auf, wo sich mit der „Shared Economy“ ordentlich Geld verdienen läßt. Wenn also so enorme Gewinnmargen locken – wer zahlt wirklich? Als in Californien 2018 das Scooter-Geschäft aufkam, machte man ganz im Stile von Wild West einfach erst mal los und lockte die NutzerInnen mit sensationell günstigen Angeboten. Für einen Dollar eine halbe Stunde fahren – das ist längst vorbei. Und mittlerweile sind von den drei angetreten Leihfirmen – Bird, Spin und lime– die erste bereits pleite , die zweite aufgekauft. Das nennt man gemeinhin Marktbereinigung.
Warum aber haben in Deutschland die Kommunen, das Geschäft aus der Hand gegeben und den „grünen Heuschrecken“ den öffentlichen Raum gebührenfrei überlassen? Die Anbieter behaupten natürlich, die Emissionen zu verringern. Schlüssig erklären konnte mir das die Firma TIER aber auf Anfrage nicht.
Im Gegenteil, wir dürfen vermuten, dass hier mit altbewährten, ausbeuterischen Methoden Umwelt und Mensch weiter geschädigt werden mit
- Fahrzeugen aus Billigproduktion aus Fernost
- Vollmundige und nicht nachvollziehbare Öko-Versprechen der Betreiber
- Gewinnmaximierung auf Kosten der Allgemeinheit
- Geschäftssitz in einem Niedrig-Steuer-Paradies der EU (lime in Irland)
- Ungeklärte Entsorgung der Batterien
Dabei ist die Rechnung ernüchternd. Bei einem Anschaffungspreis von etwa 400 USD könnte ein e-Scooter innerhalb von 3 Monaten schon die Gewinnzone erreichen, wenn da nicht Vandalismus und das Wetter einen Strich durch die Rechnung machen. Bei Regen, Matsch oder Schnee sind diese Fahrzeuge nicht mehr wirklich sicher.
Wieso also kam der damalige Verkehrsminister auf die Idee mit e-Scootern, wo er doch sonst eher als Vasall der Autoindustrie agierte? „Anbieter müssten den Hype um die Tretroller nun auch möglichst schnell nutzen, um von der Bevölkerung akzeptierte Geschäftsmodelle aufzubauen.“ Erklärte Kersten Heineke, Partner bei McKinsey. Die Beraterkosten des Bundesverkehrsministeriums stiegen im Jahr 2019 übrigens auf 48,7 Millionen Euro.
Haben also die Beraterfirmen besonders gut verdient?
Verkehrswende? – made in China
Damit mit den e-Scootern die Verkehrswende gelingen kann, müssen die AutofahrerInnen umsteigen. Das klappt nur, wenn die Scooter überall verfügbar und günstig und einfach buchbar sind. Man kann sie kaufen, eine Dauerleihe abschließen oder spontan leihen. In jedem Fall aber kommt das Vehikel aus China. Die zwei größten Anbieter Segway-Ninebot und Okai beherrschen den Weltmarkt. Und auch die Batterien – made in China. Die neuesten Scooter werden beworben mit – haltet Euch fest: Blinker, Vorder- und Hinterradbremse sowie Federung! Kann so also die Verkehrswende gelingen?
In ihrer Masterarbeit am Institut für Verkehrsplanung und Logistik der Technischen Universität Hamburg widmet sich Annalisa Rodehau der Frage, ob mit e-Scootern die Verkehrswende gelingen kann. Spoiler: nein.
Dennoch ist die Arbeit lesenswert, denn sie beleuchtet die Problematik Fahrzeug-FahrerIn eingehend. So verunfallen e-ScooterfahrerInnen häufiger als RadfahrerInnen. Das kann natürlich daran liegen, dass die Scooter auch ein sehr junges Publikum ansprechen, Mindestalter 14, kein Führerschein gebraucht wird und das ganze über eine App abgewickelt werden kann. Leihfahrzeuge werden zudem weniger sorgsam behandelt als eigene. Versicherungsunternehmen vergleichen die Schäden von Scooterunfällen mit denen von Mofas und Mopeds.
Das Fraunhofer Institut ging im Auftrag von lime der Frage nach, ob Mikromobilität die Emissionen reduziert und kommt zu einem vorsichtigen vielleicht. Wichtigster negativer Faktor dabei ist die (kurze) Lebensdauer der Leih-Scooter, die sie lime ins Aufgabenheft schreiben zu verbessern, sowie sich um Kreislaufwirtschaft zu kümmern.
Der Scooter-Trend rollt aus
Teurer und nicht bequemer als das Rad: Wenn ich mit einem Scooter fahren möchte, steht dieser in der Regel 500 m von meinem zu Hause entfernt. Die App zeigt mir die aktuellen Preise: 1,2 € Freischaltgebühr und 0,23 € / Minute. Wenn ich mit dem Scooter zum Bahnhof fahre, brauche ich etwa 16 min = 3,68 €. Ein Tagesticket im VRR für mein Rad kostet 3,80 €. Damit ist für mich die Rechnung klar. Ich kann weder mit dem Scooter vor meiner Haustüre parken, noch ist die Nutzung preiswerter als eine Fahrt mit dem ÖPNV. Zudem ist eine Gepäckmitnahme auf dem Scooter nicht wirklich möglich. Das war bei der Einführung übrigens schon bekannt.
AutofahrerInnen steigen nicht um: e-Scooter sprechen ein eher junges Publikum an, die überwiegend kurze Strecken damit bewältigen. Umsteigen tun die AutofaherInnen nicht, sondern FußgängerInnen und Touristen. Vorteile für den ÖPNV haben sich nicht ergeben und das Umweltbundesamt bescheinigt: Kein Beitrag zur Verkehrswende.
Klimafreundlichkeit sehr fraglich: Auch wenn sich die Anbieter der Leihscooter damit brüsten – TIER sagte mir in der App, sie hätten schon über 5000 t CO2 eingespart – der Nachweis ist dürftig. Auf Nachfrage erläuterte mir der Pressesprecher, die Werte seien mittels Nutzerbefragungen ermittelt worden. Das Fraunhofer Institut aber bewertet diese Erhebungen sehr vorsichtig. Es ist also fraglich, ob der Betrieb von Leih-Scootern einen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Ziemlich sicher ist es die Produktion nicht, genau so wenig wie die hohe Quote an beschädigten Rollern. Dazu gibt es bisher kein vernünftiges Konzept der Wiederverwertung oder zur Kreislaufwirtschaft. Die Deutsche Umwelthilfe bezweifelte schon gleich zur Einführung die Sinnhaftigkeit der e-Scooter in der Verkehrswende.
Der e-Scooter Trend rollt aus: E-Scooter waren offenbar wirklich nur ein Hype. Großes Wachstum ist nicht mehr zu erwarten und ob sie langfristig im Straßenbild erhalten bleiben, ist fraglich. In Frankreich ist man schon 2020 dazu übergegangen, die Anbieter und die Anzahl der Scooter zu begrenzen. Das ist offenbar sehr gedeihlich für beide Seiten. Für Investoren bedeutete das jedoch deutlich geringere Gewinnerwartungen.
Mit einer deutlich stärkeren Regulierung der Scooter und ihrer Anbieter beginnen jetzt auch in Deutschland die Kommunen. Es werden sich also nur wenige Anbieter dauerhaft durchsetzen, die darauf achten werden müssen, ihre Flotte gut in Schuß zu halten. Einen Platz im Modal Split der Mobilität werden sich e-Scooter wohl nicht erobern. Möglicherweise aber einen festen Platz im Tourismusgeschäft, in dem Hotels, Sight-Seeing und ÖPNV vernetzt werden.
Weiterführende Links: Vergleich der Scooter und Verleihfirmen
Die besten Sharingdienste: https://www.chip.de/artikel/Lime-Bird-Voi-Tier-Bolt-im-Test-Die-besten-E-Scooter-Sharingdienste_170385530.html
ADAC stekkt Scooter vor: https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/elektromobilitaet/elektrofahrzeuge/e-scooter/
Mit einer Melde App die falsch abgestellten Scooter in den Griff bekommen https://newsroom.jade-hs.de/magazin/stolperfalle-e-scooter-in-den-griff-bekommen
Forderung nach Verkehrsplanung mit Scootern und Mikromobilität https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2214367X2200062X