Ernährungssystem in Deutschland wie gelingt die ökologische Transformation?
Berlin 21.6.22 – Zukunftsdialog Agrar und Ernährung, die ökologische Transformation. Der Zukunftsdialog ist eine Veranstaltungsreihe des Studios ZX, die sich verschiedenen Themen widmen. Sponsor ist immer die Zeit, die überregionale Wochenzeitung in Kooperation mit verschiedenen Partnern. Hier die Agrarzeitung, und den Sponsorern BASF und lidl. Zum Thema Agrar und Ernährung haben sie verschiedene ExpertInnen geladen. Diese Themen standen zur Debatte: Welches sind die größten Verursacher von ökologischen Problemen in der Landwirtschaft und Ernährung und wie können Lösungen aussehen? Setzt die Politik die richtigen Anreize? Erhalt der Bodenfruchbarkeit und welche Strategien sind erfolgreich? Wie kann der Handel das Verhalten der KonsumentInnen steuern, machen Öko Labels Sinn oder verleitet es zum greenwashing und last not least ist Digitalisierung die Lösung in der Landwirtschaft? #carbonfarming #digitalfarming #precisionfarming #biodiversität #artensterben #klimaanpassung #resilienz #Transparenz #consumerbenefit #ökolandbau #transformation
Multi Crisis World
Die Rahmenbedingungen sind schlecht: Mit der Klimakrise haben wir es nicht einfach mit EINER Krise zu tun, sondern mit einem dynamischen Geschehen, das wir nicht mehr aufhalten, sondern allenfalls verlangsamen können. Es sind deswegen nicht nur Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen nötig, sondern Ideen zur CO2 Speicherung und Anpassungsmaßnahmen der Landwirtschaft. Zudem hat unsere Welt an Komplexität zugenommen, leidet an erhöhter Volatilität und Mehrdeutigkeit. Kurz eine multi cirisis world, in der die singuläre Lösung eines Problems dazu führen kann, dass andere Probleme nicht lösbar werden. Wir müssen bei den Lösungen also immer mehrere Probleme im Blick behalten. Die wichtigsten Bereiche sind der Klimawandel und das Artensterben.
Mein Eindruck war, dass den meisten der PanelistInnen dies durchaus bewusst war, auch wenn einige ewig gestrige noch versuchten, alte Verfahren zu rechtfertigen. Im ersten Panel sollte eigentlich die Umsetzung der politischen Vorgaben diskutiert werden. Dafür waren Albert Stegemann (CDU), Heike Müller (Landfrauenverband), Moritz Tapp (BUND) und Michael Wagner (BASF) auf dem Podium. Dies war aber die einzige Runde, in der die alten Konfrontationslinien aufbrachen. Erfrischend direkt und konkret war Moritz Tapp, der als Vertreter der BUND Jugend wahrscheinlich der jüngste Teilnehmer war. Er sprach aus was ist: Wir sind bereits bei einer Erwärmung von 1,3°C. Der Erhalt der Artenvielfalt durch ökologische Vorrangflächen ist Selbsterhalt, denn ohne Bestäuber wird auch der Ertrag geringer. Weltweit sind 35% der erzeugten Nahrungsmittel DIREKT von der Bestäubungsleistung von Insekten abhängig.
Transformation begleiten
Lukas Fesenfeld beleuchtete die Dilemmata, dass dem Klimawandel nur durch fundamentale Transformationen begegnet werden kann und gleichzeitig ein rasches Handeln für strategische Herausforderungen nötig ist. Ziel des Ernährungssystems – und damit auch der Landwirtschaft – muss es sein resilienter zu werden und dies auch mit einfachen Technologien zu erreichen. Seinen Blick richtete er dabei auf die gesamte Welt und benannte ein verändertes Konsumverhalten, das mit einem drastischen Anstieg des Verzehrs tierischer Produkte einher geht. Besonders in Schwellenländern wie China ist Fleisch ein Statussymbol. Weltweit ist der Fleischbereich also der größte Hebel im Kampf gegen den Klimawandel.
Die Rolle der Politik – ewig gestrig und mutlos?
Neben Albert Stegemann (erstes Panel und Vertreter der alten Konfrontationslinien, CDU) war Bettina Hoffmann (Staatssekretärin im Umweltministerium, Die Grünen) aus der Politik dabei. Mit ihren Statements tat sie der Politikerinnen Kaste keinen Gefallen. Sie sprach zwar die richtigen Themen an, war dabei aber zögerlich, sicherheitsverliebt und nicht progressiv sondern eher defensiv. Dabei sind es die Rahmenbedingungen, die die Politik ausformulieren und auch finanzieren muß im Transformationsprozess absolut notwendig. So wurde in der Pause über Ökosteuern für Lebensmittel mit großem ökologischem Fußabdruck diskutiert, sowie über geeignete Zeitpunkte, die Preise für tierische Produkte insgesamt anzuheben.
Bodenfruchtbarkeit, Carbon-Farming, Moorvernässung
In allen Diskussionen zog sich die Forderung nach dem Blick auf das Große Ganze wie ein roter Faden durch. Also keine kleinteilige Betrachtung einzelner Maßnahmen, die Abkehr von Standardlösungen und die Anerkennung der unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten. Und die Forderung nach der Souveränität der LandwirtInnen, die geeigneten Maßnahmen selber auszuwählen statt vorgeschrieben zu bekommen. Prof Peter Feindt plädierte dafür, Ertragssteigerung endlich nicht mehr als Maß zu nehmen. Es braucht eine Systemtransformation: Ernährungssicherheit durch Biodiversität und Resilienz. Denn schließlich werden EU Gelder nicht für Ertragssteigerungen sondern für den Erhalt der Ackerflächen gezahlt.
Eines ist jedoch von zentraler Bedeutung: Der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit. Diese wird durch den Erhalt und Neubildung von Humus gesichert. PD Axel Don (Thünen Institut) erläuterte den Prozess. Carbon-Farming ist übrigens das Schlagwort, unter dem Humusaufbau geführt wird. Dabei sind es die Wurzeln der angebauten Pflanzen, die die Bodenfruchtbarkeit signifikant beeinflussen. Großes Wurzelwerk und Ertrag schließen einander nicht aus. Als echter Biolandwirt berichtete Michael Reber davon, dass man seinen Acker auch in Biolandwirtschaft pfluglos bearbeiten kann. Die hohe Nachfrage am „wie“ zeigt sich in seinen Seminaren, an denen überwiegend junge LandwirtInnen teilnehmen.
Insgesamt sind für die Bodenfruchtbarkeit viele Parameter wichtig: Dauergrün, geeignete Sorten (Wurzelbildung), Untersaat und Zwischenfrüchte, sowie Hecken! Smart Farming kann im Einzelfall helfen.
Ins Handeln kommen: Machen ist wie Wollen nur cooler
In der Paneldiskussion zur Erreichung der Klima- und Biodiversitätsziele waren aus meiner Sicht die besten PanelisteInnen vertreten. Sie erläuterten konkrete Maßnahmen und den Verleich mit der Praxis. Als Rolf Sommer, der für den WWF Deutschland unterwegs ist, das Wort ergriff, merkte ich seinen Aussagen seine persönliche Betroffenheit an. In ihnen spiegelte sich die Dringlichkeit endlich ins Handeln zu kommen, die kleinteilige Diskussion aufzulösen und den Willen zum Wandel zu befördern. Ich denke, dass man seinen Aussagen besondere Bedeutung zumessen darf, denn er war in allen wichtigen lanwirtschaftlichen Gegenden dieser Welt aktiv. Deswegen fragte ich ihn in der Pause nach konkreten Möglichkeiten das Handeln zu beschleunigen. Er fordert den Artenschutz auf allen Agrarflächen, nicht nur auf den Ausgleichsflächen. Er bekannte, dass ihm der WWF in Teilen zu weich auftritt und die Krise noch zu positiv darstellte.
Die Schwierigkeit bestünde darin, die richtige Austarierung der schlechten Nachrichten zu finden. Denn je schlechter, desto mehr Ablehnung. Dieses Verhalten ist auch oder gerade im privaten Umfeld zu beobachten. Die Auswirkungen der Klimakrise sind auf der Welt ungleich verteilt. Jetzt schon sind durch die Klimaveränderungen diejenigen betroffen, die am Wenigsten dazu beigetragen haben, Afrika.
Best Practice – wie Frauen die Landwirtschaft verändern
Jana Gräbert ist aus meiner Sicht dabei zu einer Ikone der Biodiversität zu werden. Sie plädiert für kreative Ansätze und fordert einen allgemeinen Rahmen, in dem die LandwirtInnen ihre Maßnahmen selbst gestalten. Denn sie sind es, die ihre Äcker kennen und wissen, welche Kleintiere: Bienen, Käfer und Vögel in welchen Habitaten vorkommen. Derzeitige Anforderungen greifen zu kurz, wie zB ein Blühsteifen, der nach 5 Jahren wieder untergepflügt werden muss, um nicht aus der Förderung zu fallen. Durch ihre Kommunikation und verbindliche Art schafft sie aber Lösungsmöglichkeiten, deren Praxistauglichkeit sie prüft. Nach de Veranstaltung unterhielten wir uns noch intensiv und uwurden dabei mehrfach von interessierten Frauen unterbrochen, Das zeigt aus meiner Sicht den großen Bedarf an Austausch und Lernen.
Hier sehe ich auch ein Ergebnis der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) bestätig, dass den Frauen in der Landwirtschaft das größte Innovationspotential zuschreibt.
Die richtigen Anreize setzen, was können die KonsumentInnen bewirken?
Lange hieß es, das Problem in der Wertschöpfungskette sei, die KonsumentIn, die es immer nur billig haben wollte. Deswegen und wegen des globalen Wettbewerbes müsse die LandwirtIn billiger produzieren. Diese fühlten sich dann zu recht an die Wand gedrückt und in ihren Handlungsmöglichkeiten beschnitten. Lidl vertreten durch Christoph Graf, bewarb die Zusammenarbeit mit BiobäuerInnen in Bayern, deren Produkte in den regionalen Filialen vermarktet werden. Kritik erhielt er wegen der Erdbeeren, die zu spät und zu teuer auf den Markt kamen und die LandwirtInnen in Existenznöte brachte. Er bewarb die Rettertüte konnte aber die Mengen, die an die Tafeln gegeben werden, nicht benennen.
Insgesamt wurde aber in der Diskussion von Nicolas Barthlmé (Du bist hier der Chef), Jens Krüger (Bonsai GmbH) und Jörg Reuter (Artprojekt Natur & Nutrition) das Problem des richtigen Product Placements und der Öko-Siegel benannt. Durch dieses Chaos fühlen sich die KonsumentInnen verwirrt und kaufen – das billigste. Greenwashing ist ein ernstzunehmendes Thema und auf der Plattform „Du bist hier der Chef“ können VerbraucherInnen eingeben, was ihnen wichtig ist und sehen die Auswirkungen auf den Preis des Produktes. Nice: Es kann in ausgewählten Filialen in Berlin auch gekauft werden.
Sind digitale Lösungen wirklich sinnvoll?
Last not least die Digitalisierung in der Landwirtschaft. Es unterhielten sich Ralf Kalmar (Fraunhoferinstitut), Andreas Schweikert (Bitkom eV), Dirk Voeste (BASF) und Moritz von Oertzen (Landwirt). Digital Farming hat über die Datenbanken, über die es laufen soll einen enormen Investitionsbedarf. Moritz von Oertzen fragte deswegen mehrfach nach dem Mehrwert und konkreten Verbesserungen. Das nutzte Voeste, um Productplacement zu betreiben. Insgesamt war die Diskussion eher theoretischer Natur, denn der Umsetzungshorizont beträgt ca 10 Jahre und für erfolgreiche Umsetzung werden Schulungen gebraucht.
Das Ernährungssystem in Deutschland steht vor fundamentalen Nachhaltigkeits-Herausforderungen
Letztes Jahr war ich bei dieser Veranstaltung online dabei und habe verschiedene kontroverse Diskussionen erlebt, in der die „Konventionellen“ auf die „Öko-Bewegten“ trafen und ich auf Bauer Willi. Pestizide, Herbizide und Co waren erfreulicherweise nicht mehr der Fokus der Diskussionen, sondern tatsächlich, wie man ins Handeln kommen kann. Auch LandwirtInnen müssen bei uns ein Auskommen erwirtschaften können. Wenn man Biodiversität fördern will, muss man sie auch bezahlen. Dabei ist es nicht mehr eine Frage des Wollens, sondern eine absolute Notwendigkeit: wir brauchen Biodiversität überall, auch in der konventionellen Landwirtschaft.
Die zentrale Frage ist, wie man mit dem Veränderungsdruck durch den Klimawandel umgeht. Das bedeutet nicht nur das Umsetzen von Biodiversitätszielen, sondern eine höhere Resilienz in der Landwirtschaft zu erzeugen. Die bisherigen politischen Maßnahmen setzen die falschen Anreize.
Natürlich sind Firmen wie die BASF (noch dazu als Hauptsponsor) bemüht, ihren Beitrag im Pestizid- und Herbizideinsatz im guten Licht da stehen zulassen. Ihr Schlagwort Effizienzsteigerung. Dieses Dogma aber wurde kritisch hinterfragt und auch, ob sich eine Effizienzsteigerung nicht mit weniger waste auf dem Acker besser erzielen ließe. Insofern standen sich häufig traditionelle Ansichten und Forderungen nach einer Transformation gegenüber, ohne dass im einzelnen Wege zur Umsetzung / Überzeugung diskutiert wurden. Die Um- bzw Durchsetzung wird von der Politik gefordert, die sich allerdings ziemlich blass und regelhörig präsentierte. Dabei sind Ansätze dazu von Thinktanks (Prof Fesenfeld – Nahhaft als auch Prof. Feindt – SureFarm) klar benannt und wurden in den anschließenden Diskussionen vertieft. Die Schwierigkeit liegt in der Umsetzung und reicht von „weich steuern“ bis hin zu harten Maßnahmen.
Offen blieb (vielleicht auch weil es zu weit führen würde), was die ökologische Transformation insgesamt für unser Wirtschaftssystem bedeutet. Denn Kapitalismuskritik war explizit nicht erwünscht. Eine Pflanzen basierte Ernährung (man kann das auch Fleischverzicht nennen) ist der Schlüssel zu mehr Resilienz, die frei werdenden Flächen (fast 60% der Ackerflächen in Deutschland) stünden dann für den Anbau von Nahrungsmitteln zur Verfügung. Eine zentrale Forderung von wurstend!
Aktualisierung am 17.01.2024, da eines der eingebetteten Videos so nicht mehr verfügbar war