Nachhaltig auf dem Holzweg – wie Forstwirte den Wald kaputt pflegen
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Buchrezension: “Der Holzweg – Wald im Widerstreit der Interessen”, erschienen 2021 im Oekom Verlag, beschreiben 36 hochkarätige AutorInnen, wie es um den Wald steht. Im Fadenkreuz der Kritik befindet sich der Raubbau an der Natur unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit. Man kann das auch als das Lebenswerk dreier engagierter Naturschützer (den Herausgebern) verstehen. In dem reich bebilderten Mammutwerk finden sich viele Fotos und Abbildungen, die das Lesevergnügen deutlich erhöhen. Es gehört für NaturschützerInnen, ForstwirtInnen und PolitikerInnen gleichermaßen zur Pflichtlektüre. Es ist erhältlich als gedruckte Version (Holzklasse) für 39 € oder e-Book für 22,99 €.
Inhaltsverzeichnis
Der Holzweg ist eine fachlich fundierte Streitschrift, die darlegt, dass und warum wir die Natur nicht managen müssen. Wenn wir in Deutschland Wälder auch im Klimawandel erhalten wollen, müssen Forstwirtschaft, Administration und Gesetzgeber umdenken. Sie müssen die Ökologie in den Vordergrund stellen. Zu Deutsch: Paradigmenwechsel. Die Herausgeber haben dazu 12 Thesen aufgelistet, die getrost an jedes Forstbüro genagelt werden dürfen. Uns BürgerInnen rufen sie auf, uns zu engagieren z.B. in der Waldallianz.
Der Waldzustandsbericht 2020
Vor wenigen Wochen verkündete die sonst so aufgesetzt gut gelaunte Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft den Zustandsbericht des Deutschen Waldes. Es sieht schlecht aus: 80% lichte Kronen, bei Buchen fast 90%. Freudig kündigte sie danach den Betrag von 1,5 Milliarden Euro an. Damit soll gegen Schäden durch Dürre, Borkenkäfer, Sturm und Brand vorgegangen werden .
Und genau das ist das Problem. Frau Klöckner ist auf dem Holzweg.
Die Herausgeber sind ausgewiesene Naturschützer
Doch zunächst zu den Herausgebern des Buches. Sie sind in der Wald-Szene bekannte Persönlichkeiten, die sich für die Erhaltung der Wälder und das Ausweisen von Naturschutzgebieten einsetzen. Aufgrund ihrer langjährigen Expertise und Waldpraxis lassen sich ihre Erkenntnisse und Empfehlungen nicht einfach wegdiskutieren. Den Titel “Der Holzweg” haben sie geschickt gewählt, denn sie entlarven die derzeitigen Forstmethoden als unökologisch. Dass es besser geht, zeigen sie aber auch.
Prof. Dr. Hans Dieter Knapp, rechtes Bild, ist Biologe und leitete 25 Jahre lang die Außenstelle des Bundesamtes für Naturschutz auf der Insel Vilm. Darüber hinaus setzt er sich auch im Ruhestand noch für den grenzüberschreitenden Naturschutz von EuroNatur ein. Ebenfalls Biologe ist Dr. Siegfried Klaus, Bildmitte. Er begleitete die Entstehung des Nationalparks Hainich – Weltnaturerbe in Thüringen. 2015 erhielt er für sein Lebenswerk das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Dr. Lutz Fähser, linkes Bild, ist Forstwirt. Auf ihn ist das Lübecker Konzept zurück zu führen. Das ist ein Konzept der naturnahen Waldnutzung. Mit minimalen Eingriffen werden mehr Erträge erwirtschaftet als in einem konventionellen Forst. Er ist weiterhin engagiert im Naturschutz und als Experte für Stadtwälder aktiv.
Vom Leistungsgedanken und dem Management des Waldes
Im Fokus der Bewirtschaftung eines Waldes steht üblicherweise dessen Leistungsbilanz. Die reine Ertragsfixierung auf den Rohstoff Holz geht so weit, dass der Wald als „Holzfabrik“ behandelt wird. Allein daran kann man schon sehen, wie groß das Dilemma zwischen Ökonomie und Ökologie ist. Verschärft wurde diese Ertragsfixierung vor 30 Jahren als Landesforstverwaltungen in privatwirtschaftlich organisierte Forstunternehmen umgewandelt wurden. Der Vergleich zu dem deutschen Gesundheitswesen drängt sich förmlich auf, das ebenfalls auf Effizienzsteigerung getrimmt wurde und nun unter Corona zusammen bricht. Im Wald erledigt das der Borkenkäfer.
In die Tasche gelogen – die deutsche Forstwirtschaft ist nicht nachhaltig
Wer kennt denn schon den Unterschied von Naturwald und Dauerwald? Wie sah denn der ursprüngliche Wald in Mitteleuropa aus? Die AutorInnen geben Antworten auf diese Fragen und führen uns zu der Erkenntnis, dass unsere Nadelwälder eben Holzfabriken sind, die mit den ursprünglichen Wäldern nichts mehr gemein haben. Offizielle Seiten verkaufen uns den Verlust von Biodiversität als Nachhaltigkeit. Denn, man ernte nur, was auch wieder nachwachsen würde. Und das Verbrennen von Holz gilt als Beitrag zum Klimaschutz. Bitte geht’s noch?
Offizielle Grafiken, wie auch die Seite des Bundeslandwirtschaftsministeriums bedienen diese Fehlinformationen. Es wird systematische Schönfärberei betrieben. Wer Böses vermutet, würde sagen, es wird gelogen.
Mit Kahlschlagmentalität und 70-Tonnern
Ist dieser Wald aber krank oder soll geerntet werden, wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Ganze Hänge werden kahl geschlagen und gleichen einer Marslandschaft. Oder es wird der Harvester vorgefahren, der die Stämme an Ort und Stelle rodet, entrindet und zerlegt. Danach wächst dort kein Gras mehr. Diese Bewirtschaftungsmethoden des „Waldes“ nehmen die AutorInnen ebenfalls kritisch unter die Lupe und zeigen, wie sehr man damit auf dem Holzweg ist. Sie beleuchten, welch schwere Schäden sie verursachen: Von Bodenverlust bis Bodenverdichtung, die den Wald zusätzlich noch in der Tiefe schädigen. Dabei werden die empfindlichen Kommunikationsstrukturen der Bäume gestört. Bei denen fühle ich mich wohl nicht ganz zufällig an den Planeten Pandora aus dem Film “Avatar” erinnert. Kurz, die Bewirtschaftungsmethoden selbst sind erheblich an den Problemen des Waldes mit verantwortlich. Dazu empfehle ich auch die Rezension von Barbara Fröhlich-Schmitt, die sich mindestens genauso interessant liest.
Wildnis und Naturschutz – wirklich unversönlich mit dem Wald?
Offenbar scheint man in den deutschen Forststuben der Natur nicht zu trauen. Sie muss gehegt und gepflegt werden wie in einer Kleingartenkolonie. Wildformen unseres Waldes gibt es nicht mehr und Deutschland verfehlte das das Wildnis-Ziel insgesamt deutlich.
Im Januar 2021 kassierte Deutschland diesbezüglich eine Rüge der EU. Man darf davon ausgehen, dass sich nur etwas ändert, wenn massiver Protest entsteht. Dabei geht es nicht nur um den Perspektivwechsel vom Nutzwald hin zum Urwald, sondern auch um das Hinterfragen unserer industriellen Produktion. Kann man Ökologie und Ökonomie nicht miteinander versöhnen? Noch 2017 hieß es im Waldbericht:
Das hört sich an wie eine Drohung. Und trotz langer Bemühungen einzelner Initiativen werden selbst Naturschutzgebiete „bewirtschaftet“. Und auch der “professionelle Mainstream” marginalisiert gerne die ökologische Waldwirtschaft. Diese Festhalten an veralteten Methoden kritisieren AutorInnen und Herausgeber.
Urwälder in Europa
Wälder sind die bedeutendste terrestrische Vegetationsform, und Laubwälder sind die eigentlichen Naturwälder Mitteleuropas. Besonders die märchenhaften Buchenwälder sind gefährdet. Naturwälder zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich selbst verjüngen, dort standortheimische Arten wachsen oder zurückkehren. Üblicherweise werden sie nicht bewirtschaftet. In Europa ist ihre Fläche ist auf optimistische 1,1 Millionen Hektar geschrumpft.
Dabei gibt es auch EU-weit viel zu tun. Vor allem die Eindämmung der – von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkten – Abholzung von Europas letztem Urwald in Rumänien. Diese wird von der Mafia vorangetrieben und durch Korruption befördert, die administrativen Stellen versagen.
Der Holzweg – eine Herzensangelegenheit
Unsere wurstend-Redaktion hat mich beauftragt, dieses Buch zu rezensieren, weil ich hier bereits über den Wald veröffentlicht habe. Bei meiner Recherche zu diesem Buch bin ich auf viele Organisationen gestoßen (siehe auch unter weiterführende Links) und habe Kontakt zu Personen, inklusive der Herausgeber aufgebaut. Die Offenheit und das Engagement aller Beteiligten hat mich dabei tief beeindruckt. Allen liegt die Verbreitung des Inhalts und die Mahnung der Dringlichkeit am Herzen. So hat z.B. die Succow Stiftung die Herausgabe des Buches „Der Holzweg“ unterstützt. Michael Succow ist der Stiftungsgründer und mit Herausgebern und AutorInnen gleicher Meinung.
Dieses Buch ist also ein Apell zum Umdenken und mehr Ökologie in den Wäldern. Sie in ihrer Gesamtheit als vitalen Baustein gegen die Folgen des Klimawandels zu sehen und entsprechend zu behandeln. Denn auch die Probleme, die unser Wald derzeit hat sind Menschen gemacht. Im Endeffekt wird es uns weniger kosten, Wälder pfleglich zu behandeln, als Unsummen in synthetische CO2 Senken zu investieren, wie es Bill Gates vorschlägt.
Weiterführende Links:
https://www.erdgeschoss-design.de/de/infografiken/klimabuch-wirtschaft-gegen-wald
https://naturwald-akademie.org/
https://www.bundesbuergerinitiative-waldschutz.de/
https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/internationaler-tag-wald-100.html
Martina Mueller
29/10/2023 @ 14:12
Euer Artikel beschreibt wunderbar, welche tragende Rolle der Wald für unser alltägliches Leben ist. Besonders interessant finde ich die Betrachtung des Waldes als Holzfabrik. Da gehört auch die Pflege des Waldbestandes dazu, der einen Einfluss auf die Zusammensetzung des Waldes hat. Sehr interessant!
Ghita
30/10/2023 @ 14:59
Hallo liebe Martina,
wir freuen uns, dass wurstend auch in Österreich gelesen und kommentiert wird. Vielen Dank dafür!
LG Ghita