Nachwachsende Rohstoffe (Teil 1) – der Biodiesel-Skandal
Tucholsky soll gefragt haben, was das Gegenteil von „gut“ ist. Seine Antwort war „gut gemeint“. Wenn also in bester Absicht etwas Gutes zu tun eine Sache derartig verschlimmbessert wird – möglicherweise so schlimm – dass sie lebensbedrohlich ist. Dann sprechen wir von der Idee der nachwachsenden Rohstoffe (NAWARO). Diese kannte Tucholsky seinerzeit noch nicht, hätte aber sicherlich nichts gegen die Anwendung seiner These.
Ich schaue mir in zwei Beiträgen an, warum wir nachwachsende Rohstoffe anbauen, wie sie in Konkurrenz zu Nahrung und Futter stehen, welche wichtigen industriellen Produkte daraus gefertigt werden und – last not least – wie wir als VerbraucherInnen diesem „Spiel“ entkommen können.
In diesem ersten Teil geht um den Ersatz fossiler Brennstoffe durch Biodiesel.
Das Ende des Wachstums oder the limits TO growth*
Ausgangspunkt meiner Betrachtung ist der Club of Rome, der schon 1968 gegründet wurde: 1970 ließen sie von ForscherInnen des MIT (Massachusetts Institute of Technology) die fünf wichtigsten Faktoren der Begrenzung des Wachstums ermitteln und mittels Computersimulation deren Auswirkungen berechnen
- Bevölkerungswachstum
- Lanwirtschaft
- Begrenzung der nicht erneuerbaren Rohstoffe
- Industrielle Produktion
- Umweltverschmutzung
Ich fokussiere hier auf den dritten Punkt, die Begrenztheit der Rohstoffe, meint hier die nicht erneuerbaren Rohstoffe, auch genannt fossile Brennstoffe. Dabei ist der Begriff „Brennstoffe“ eigentlich zu kurz gegriffen, denn fast die gesamte chemische Entwicklung beruht auf der Raffination von Rohöl und der Weiterverarbeitung der dort gewonnenen Substanzen. Man spricht deswegen auch von der Petrochemischen Industrie.
Die Veröffentlichung „The Limits To Growth“ erschien 1972 und kostete damals USD 2,75, heute ist sie als pdf download verfügbar.
*Fußnote: Ich finde es an dieser Stelle wichtig, den englischen Originaltext zu betrachten, der nicht sagt, das Wachstum ist begrenzt, sondern die limitierenden Faktoren des Wachstums beschreibt. Aus meiner Sicht ein feiner Unterschied, denn damit geben uns die AutorInnen Mittel in die Hand, selbst aktiv zu werden, statt passiv abzuwarten, bis das Ende erreicht ist.
Aber selbst, wenn man sagt, das hätte ja damals nicht jede/r lesen können. Die Veröffentlichung war da und hat vieles angestoßen. Zum Beispiel die Umwelt – und Friedensbewegung der 70- und 80iger Jahre. Aber ansonsten blieben diese Ideen eher in den intellektuellen Eliten verortet.
Das Ende des Wachstums? Lief doch gerade alles so gut.
UN Konferenz von Rio setzt erste Ziele – mit Extrawürsten für alle
1992 also 20 Jahre NACH Veröffentlichung der Einschätzung des Club of Rome fand dann erstmals eine internationale Tagung statt, in der diese Themen besprochen werden sollten. Es ging darum, die wirtschaftliche Entwicklung in Einklang mit der Umwelt zu bringen.
Der Gipfel von Rio wurde auch „Earth Summit“ genannt und war immerhin ein Anfang. Er mündete in der „Deklaration von Rio“.
Das eigentliche Ziel wird im ersten Absatz formuliert, um dann im zweiten Absatz jäh zu ernüchtern: Jedem Staat wird eingeräumt, die Deklaration so auszulegen, wie es halt paßt. Noch im gleichen Jahr fragte man: Was lief schief? Und offenbarte damit, dass das, was wir heute wissen – nämlich der Klimawandel – für viele eine Utopie war.
Wenn nun diese Konferenz, die ja sehr hoch angesiedelt war, nichts bewirkt hat, was dann?
Denn gerade in den 90iger Jahren wurden erste genveränderte Saaten eingesetzt und mit ihnen explodierte der Einsatz von Glyphosat.
Die Limitierung der fossilen Brennstoffe
Doch schon länger drohten Rohstoffengpässe. Die Alleinstellung der OPEC in der Preisgestaltung und Belieferung der Welt mit Rohöl war schon länger eine „Bedrohung“. Erinnern wir uns an die Ölkrise 1972:
Die Ölkrise war eigentlich „nur“ ein Preisschock, bei dem erstmals die Preise für Rohöl dramatisch angehoben wurden. Damit verteuerten sich nicht nur das Benzin, sondern auch die Rohstoffe für die chemische Synthese. Logischerweise kamen also auch die ersten Gedanken zu Alternativrohstoffen aus der Chemie.
Liebe LeserInnen, ich würde Euch hier gerne zu Veröffentlichungen aus den Jahren 1970-2000 verlinken, allein das Internet war damals noch nicht so weit. Ich bin sicher, dass es sie gibt, sie müssen aber derzeit noch auf anderen (bibliothekarischen) Wegen gesucht werden. Dennoch einer der wichtigen Verfasser ist Jürgen O. Metzger, der verschiedentlich zu NAWAROs publiziert hat. Z.B. 2004 für die GDCh (Gesellschaft Deutscher Chemiker). Doch auch namhafte Journals wie Spektrum oder „Die Angewandte“, DAS Journal der ChemikerInnen in Deutschland … haben dazu Artikel veröffentlicht. Auch in Österreich, das man nun eher nicht mit Chemieindustrie in Verbindung bringen würde, beschäftigte man sich mit dem nachhaltigen Wirtschaften.
Und schließlich die Bayer Ausgründung covestro, die sich Nachhaltigkeit sozusagen als Firmenimage gegeben hat.
Das Problem bei der Verarbeitung von Biomasse in den bisherigen Raffinerien allerdings ist, dass das Kohlenstoff/Wasserstoff-Verhältnis ein anderes ist als bei den fossilen Energieträgern. Völlig neue Synthesemethoden müssen also überlegt werden, um die gleichen Ausgangsstoffe zu erhalten wie in der Petrochemie. Hat überhaupt jemand die Frage gestellt, ob wir die brauchen? Ist es also ein rein technisches Problem oder ein mentales?
Nachwachsende Rohstoffe (NAWARO) als Lösung – Energiepflanzen
Wollen wir fossile Energieträger mit nachwachsenden Rohstoffen ersetzten so bieten sich die sogenannten Energiepflanzen an. In Deutschland sieht das so aus.
Biodiesel – die Äcker im Tank
Während es sich bei Benzin und Diesel um aliphatische Kohlenwasserstoffe mit einer hohen Energiedichte handelt, sind Pflanzenöle Triglyceride, bei denen drei Fettsäuren mit einem Glycerinmolekül verestert sind. Die kann man zwar auch verbrennen, aber eben nicht im Motor. Dafür müssen diese Triglyceride umgeestert werden. Man erhält dann im Fall des Rapsöls Rapsölmethylester.
Prinzipiell läßt sich aus allen Fetten und Ölen durch chemische Modifikation Biodiesel gewinnen.
Offensichtlich ist, dass nicht alle genannten Ackerfrüchte (Abb.4) in der EU wachsen, sondern importiert werden. Überwiegend Palmöl und Soja. Ja und genau, für diese NAWAROs werden tropische Regenwälder abgeholzt oder verbrannt. Und, um das hier an dieser Stelle mal festzuhalten, nicht um Streichfett für Nutella oder Futter für die Säue zu erhalten, sondern für Ausgangsmaterialen für BIODIESEL! Man kann also sagen, wir verheizen den Regenwald.
Liebe VeganerInnen Ihr müßt jetzt ganz stark sein, wenn Ihr ein Auto fahrt und tankt. Biodiesel kann auch aus tierischen Fetten gemacht werden. Gerade letztes Jahr machten die Nerze ja nicht nur wegen Corona Schlagzeilen, sondern auch dadurch wie ihre Kadaver weiter verarbeitet wurden.
Gekennzeichnet ist das an der Tanke nicht.
Die energetische Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe ist also die Hauptverwendung. Und nicht nur Ölpflanzen, auch ganz normale Nahrungsmittel werden umgewandelt. Dann meist in Bioethanol.
Konkurrenz auf dem Acker: Essen oder (ver)heizen?
Ich hatte eine ganz einfache Idee. Ich schaue, wieviel Raps in Deutschland produziert und wieviel Biodiesel daraus gewonnen wird. Die Differenz steht dann als Nahrungsmittel zur Verfügung. So einfach, wie gedacht ist es leider nicht. Zwar stellt das BMEL die Erntemengen für verschiedene Jahre bereit, schlüsselt diese aber nicht nach ihrer Verwendung auf.
Dazu kommt, dass Ölsaaten gehandelt werden, Deutschland führt also Rap aus und aus verschiedenen Regionen der Welt wieder ein. Die großen Ölmühlen haben zu dem eine ausgeklügelte Vorratshaltung, um wirklich das ganze Jahr hindurch arbeiten zu können. Eine buchhalterische Betrachtung wird zwar versucht, ist aber irgendwo immer unvollständig.
Food-Feed-Fuel – Konkurrent oder Komplement?
Auch wenn verschiedene wissenschaftliche Betrachtungen auf die Konkurrenz zwischen Food und Feed eingehen, so ist am Beispiel Raps das gar nicht so einfach. Denn aus den verschiedenen Komponenten lassen sich unterschiedliche Rohstoffe gewinnen:
Rapsöl: Wird entweder durch Kaltpressung oder Extraktion gewonnen. Verwendung als Nahrungsmittel, Futtermittel, Biodiesel, chemischer Grundstoff.
Rapskuchen: Ist das, was nach der der Ölgewinnung übrig bleibt und wird überwiegend als eiweißreiches Futtermittel verwendet. Dieses Produkt ist, wenn es aus der EU kommt, tatsächlich nicht genmanipuliert.
Rapsstroh: Ist alles das, was nicht Ölsaat ist, also das Grüne. Es kann zum einen als Dünger auf dem Acker verbleiben oder in Biogasanlagen energetisch genutzt werden.
Rapsblüte: Durch die Nektar reichen Blüten ist Raps eine ergiebige Futterpflanze für Bienen und liefert somit relativ große Mengen an Honig. Von 1 ha Raps können dabei bis zu 490 kg Honig geerntet werden.
Das klingt doch alles gut, oder? NAWAROs als die Problemlöser in der Klimakrise? Weit gefehlt! Die Konkurrenz ist groß und wird meist nur klein gerechnet. Schauen wir mal ins Detail.
Die meisten sogenannten Biofuels werden aus eßbaren Pflanzen gewonnen. Selbst wenn wir sie nicht essen würden, so ist die Ackerfläche aber mit ihnen belegt und kann nicht für etwas anderes genutzt werden. Außer um Ackerfläche konkurrieren die NAWAROs um Wasser, Arbeitskraft und Kapitaleinsatz.
So identifizierten Muscat et al. sieben Faktoren, die relevant für die Produktion von Biomasse sind und veröffentlichten dies in dem Journal „Global Food Security“. Es besteht Übereinstimmung darin, dass Bioenergie und die globale Versorgung mit Nahrungsmitteln Konkurrenten sind. Deswegen wird nach anderen Wegen gesucht, nicht für die Nahrung verwendete Biomasse in Energie zu konvertieren.
Kurowska et al. beleuchten die Menge der erzeugten flüssigen Biofuels 167,9 x109 (Milliarden) Liter in 2018 und Ahmed et al. betrachten in ihrem Review die Biofuels zweiter (Lignocellulose) und dritter (Mikroalgen) Generation.
Biodiesel, Massentierhaltung und Glyphosat
Die Idee der NAWAROs war ja, eine Entkopplung der Wirtschaft von fossilen Brennstoffen und eine Reduktion der Treibhausgase. Diese Idee konkurrierte mit der „wirtschaftlichen Entwicklung“, die bisher immer auf Wachstum fußte. Unterm Strich werden weltweit also immer mehr Ölsaaten angebaut, da der Verbrauch von Kraftstoffen weiter steigt. Die Expansion der Bioenergie hat natürlich auch negative Folgen für die Umwelt. Zusammengefasst wurde das von Popp et al. schon 2014 in einem Review.
Biofuels, also Bioethanol für Benzin und Biodesel für Diesel sind bis maximal 7% zugelassen, ohne dass Veränderungen am Motor vorgenommen werden müssen (Abb. 8). Mehr wird an der Tanke auch nicht gezapft. Kurz, durch die Steigerung im Individualverkehr und Gütertransport auf der Straße werden die positiven Effekte der NAWAROs komplett aufgebraucht. Und andere Probleme auf dem Acker erzeugt. In der Fruchtfolge werden auf dem Rapsacker im kommenden Jahr andere Ackerfrüchte angebaut, die verbliebenen Rapssamen aber keimen und werden in der Regel durch Glyphosat gekillt.
Hinzu kommt, dass im Biodiesel auch Komponenten enthalten sind, die wir ethisch ablehnen, wie Palmöl, das trotz seiner guten Flächenbilanz (Abb. 7) eben tropischen Regenwald und die Habitate der Orang-Utans gefährdet. Dabei ist das Problem nicht das Palmöl selbst, sondern die kontinuierliche Steigerung des Verbrauchs. Weiterhin werden auch Tierkadaver zu Biodiesel verarbeitet, was aus ökonomischer Sicht sinnvoll sein mag, diesem Produkt aber ein echtes Ekelimage verpasst. Auch die Verarbeitung von alten Speisefetten zu Biodiesel lässt einen nicht von blühenden Landschaften träumen.
Da gibt es nur einen Weg raus: Weniger verbrauchen.
Das ist auch gut vor dem Hintergrund, die industrielle Massentierhaltung zu beenden. Denn – wir erinnern uns – der Presskuchen, der nach der Ölgewinnung übrig bleibt, geht ins Tierfutter.
Welche Maßnahmen würde ich mir also wünschen? Erst mal eine signifikante, spürbare Erhöhung des CO2-Preises, dann merkt jede/r was der Individualverkehr bringt. Eine technische Weiterentwicklung der Verbrennungsmotoren, so dass vielleicht tatsächlich mehr pflanzliche Öle verbrannt werden können? Und wirkliche Anreize, weniger Kraftstoff zu verbrauchen. Gab‘s da nicht mal das 2 Liter Auto? Radfahren aber ist auch eine Alternative und bei längeren Strecken Fahrgemeinschaften. Die technischen Voraussetzungen dafür haben wir. Wir müssen sie einfach nur nutzen.
Steckbrief Biodiesel
Bildnachweis: Titelbild aus Wikipedia: Rapsblüte, Urheber: https://www.wikidata.org/wiki/Q29586018 in Kombination mit Clipartgrafik.